Für die meisten jungen Menschen ist Baby-Jesus heute nichts weiter als der fett glasierte Sohn des Coca Cola-Weihnachtsmanns, der am 24. Dezember im Life Ball-Outfit seiner Schwester einen auf Felix Baumgartner macht und einem dieselben Geschenke unter den heidnischen Plastikbaum legt, die Mama und Papa letztens im Einkaufszentrum so eingehend inspiziert haben (und die sie bei der Gelegenheit eigentlich genauso gut selber hätten kaufen können).
Manche würden das vielleicht als Grund für Kritik am heutigen Konsumismus sehen und das mangelnde Geschichtsverständnis der jungen Generation anprangern, aber nicht ich. Schließlich sind die mündigen Ugly Christmas Sweater-Verbraucher von morgen nicht mit dem personalisierten Internet und Lana del Gaga aufgewachsen, ohne eine Sache oder zwei über ihre Rolle im globalen Medienzirkus und sein Verhältnis zu geschichtlichen “Wahrheiten” zu lernen.
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Wer im biblischen Sinne also ohne Schuld ist und den ersten Stein auf andere wirft, nur weil sich diese herausnehmen, unter Weihnachten etwas anderes zu verstehen als das Fest der Entbehrungen im Geiste des 19. Jahrhunderts, als man sich noch in dunklen Stuben traurige Wurstsuppe hinter die aufgesprungenen Bauernlippen schob, der sieht den Wald vor lauter Christbäumen nicht mehr.
Denn historisch gesehen ist gerade besagter Weihnachtsbaum ein heidnisches Symbol, das früher kopfüber aufgehängt wurde — ganz abgesehen davon, dass selbst Jesus Christus eigentlich zirka vier Jahre vor Christi Geburt auf die Welt kam und ziemlich sicher kein speckiger, weißer, blondlockiger Bengel war, der in einer schönen Heukrippe von andächtigen Nutztieren und gewürzbringenden Königen umringt wurde (was zur Hölle überhaupt?). Hinzu kommt noch, dass sich ja selbst die heutige Christenheit international nicht einig ist, was man unter Weihnachten zu verstehen und wie man es zu feiern hat — weshalb die Katalonen einen Baumstamm als Mann verkleiden und scheißende Zwerge aufstellen und Japaner ihr traditionelles Festtagsessen am Heiligen Abend ausschließlich bei Kentucky Fried Chicken holen.
Neuinterpretationen sind das Um und Auf jeder Kultur — sie zeugen davon, dass wir noch nicht zu kalter Scheiße erstarrt sind und uns nach wie vor heiße, dampfende Gedanken machen, auch wenn diese Gedanken manchmal idiotisch, meistens völlig willkürlich und jedes Mal irgendwem ein Dorn im Auge sind. Vor allem reudige Reaktionäre, die sich trügerischerweise “Konservative” nennen (obwohl sie nichts bewahren, sondern nur das eigene Altertum erhalten wollen) und die den Fortschritt durch die kafkaeske Bürokratenbrille sehen, hätten es natürlich lieber, wenn wir für jeden neuen Gedanken zuerst einen Antrag stellen müssten, über den außerdem sie allein entscheiden dürfen. Aber genau dieselben reudigen Reaktionäre wären wohl auch schon auf die Barrikaden gestiegen, als die ersten Wurstsuppen-Hipster überhaupt auf die Idee gekommen sind, dieses seltsame neue Szenefest namens “Weihnachten” in die Hood zu bringen.
Insofern braucht mir niemand mit dem Argument kommen, dass er oder sie sich doch nur für die Erhaltung unserer Tradition stark macht. Unsere Tradition kann sich auch ganz gut selbst erhalten, vielen Dank für die Mühe, und wenn sie sich doch über die Zeit organisch verändert, wie einer dieser Monster-Welse, die ihre Barthaare in alle Richtungen ausstrecken und einfach immer weiter wachsen, dann ist das eben so und ich werde das zuckende fischige Monstrum bestimmt bestimmt nicht in ein viel zu kleines Aquarium umsiedeln, nur damit ein paar alte Säcke keine Angst um ihre arthritischen Zehen haben müssen, wenn sie die konservativen Füßchen in unbekannte Wasser stecken. Also, jetzt bildlich gesprochen.
Und wenn wir schon mal bei wuchernden Traditionen und sprechenden Bildern sind, spricht auch nichts dagegen, dass ihr euch gleich ein Paradebeispiel in der Gestalt von PG PORN: A VERY PEANUS CHRISTMAS anseht, in dem Charlie Brown das jugendfreie Pornopanorama mit seinem kleinen Psychoknacks zersprengt:
Das Ganze ist heute bereits doppelt umgewertet, weil dieses Video in den Nachwehen von Newtown — wie jedes Mal kurz nach einem Amoklauf — ungute Erinnerungen an das Kinder-Massaker weckt, bei dem ein gestörtes Arschloch die Waffen seiner Mutter aus dem Schrank und damit 26 Menschen das Leben genommen hat. Ich für meinen Teil habe keine Ahnung, was die Moral aus der Geschichte sein könnte oder wie man mit sowas nachträglich umgehen soll. Vielleicht sagen uns sowohl das Video als auch der Amoklauf, dass eigentlich immer nur Schund und Schlacke dabei rauskommt, wenn man Leute kommunizieren lässt — und dass der einzige Weg zu echter Besinnlichkeit über Gegengewalt funktionieren kann. Unter euch gibt es zwar bestimmt auch einige Pazifisten, die ihren abgemagerten Kopf gerade vehement schütteln, aber lasst euch gesagt sein: Selbst der große Vater des gewaltlosen Widerstands Mahatma Gandhi hatte seine Schattenseite und war ein bekennender Rassist, der die Vorherrschaft der Weißen und damit auch die Apartheid in Südafrika aufrecht erhalten wollte.
Und obwohl das nicht viel über den pazifistischen Rest von euch aussagt, bin ich mir ziemlich sicher, dass mich das wieder zu meinem eigentlichen Punkt zurückbringt (von wegen Schund und Schlick) und die einzige angemessene Reaktion auf den ganzen Müll darin besteht, stellvertretend für all die gescheiterten Kommunikationsvorhaben auf diesem Planeten dieses Jahr symbolisch eine Sexsklavin zu einem Weihnachtsbaum umzufunktionieren und sie dabei so gut abzuschnüren, dass ihr nichts übrig bleibt, als “Stille Nacht” und “Oh Tannenbaum” ohne jeden Ton zu verkörpern. Das Ergebnis wirkt wie eine gute Performance-Mischung aus Marina Abramović und Sasha Grey, in das man sehr viel Gesellschaftskritik hineindeuten kann. Oder man wichst einfach dazu. Je nachdem, wie man sich eben besinnlicher fühlt. Bitte:
Ja, auch das kann Weihnachten sein — wir müssen nur wollen (und ein paar Sklaven finden, die eben nicht wollen wollen). Wäre jedenfalls schön, wenn 2013 schon bei einigen Trendsettern unter euch ein Sklavenbäumchen zuhause stehen würde. Meinetwegen mach in unserem Haus auch ich den ersten Schritt, damit es zu den Festtagen nicht aus allen Richtungen Genderkritik hagelt.
Also bitte lassen wir zu Weihnachten die Reaktionäre mit ihrem ewigen Blick in den Rückspiegel alleine und feiern stattdessen das große Fest der Umdeutung. Wenn Jesus ein glasiertes Cola-Baby mit Kerzendocht im Arschloch sein soll, dann bitte. Dasselbe gilt, wenn ihr Fastfood statt Gansl essen wollt oder lieber kleine Holzpflöcke mit Umhängen dekoriert, als einem Esel Myrrhe um die Ohren zu räuchern. Und bevor jetzt jemand krächzt, dass doch nichts reaktionärer ist, als eine geknebelte Frau, gebe ich zu bedenken: Schau mal, Bruce Willis! Wo war ich? Ich glaube, es hatte etwas mit Vergebung und Offenheit und Nächstenliebe zu tun. Und damit, dass Jesus selbst immerhin auch eine völlig neue Bewegung geschaffen hat, die auf der Idee der Umdeutung basierte, als er wie ein beschissener Punk im Tempel randalierte und den Kapitalisten die Tische umdrehte. Wichtig war nicht, welche Hüte die Rabbis tragen oder wer in welcher Montur zu welchem Zweck an welche Stange gebunden wird, sondern die hinter dem Ganzen liegende Bedeutungsgebung. Und wenn wir uns ehrlich sind, könnte das Weihnachtsbaum-Fetisch-Video genauso gut unter dem Titel “Political Correctness” im MoMA gezeigt werden.
Wie dem auch sei — der beste Christbaum ist immer noch aus Mensch gemacht. Wow, klingt das daneben. In diesem Sinne: Frohes Kommen! Und nicht vergessen: Wer einen Wrong Boner hat, kriegt auch ohne Schnee weiße Weihnachten. Mahalohoho!
ALMOSEN FÜR DIE HOSENLOSEN:
Ich wünschte, ich hätte einen richtigen Schwanz Fitness im Körper, Finnland im Kopf Die Fetische der Stars zum Notieren und Ausprobieren