“Montagsdemos, danach Petry, danach Heil” – OK Kid über 11 Lines ihres neuen Albums ‘Sensation’

Ok Kid im Interview 2018 über deutschen Pop und AfD

OK Kid machen Popmusik in der Sprache eines Landes, in dem Songs sich immer noch fantastisch verkaufen, wenn man sie ohne Nachzudenken durch ein Bierzelt schreien kann. Über dieses Land singt die Band aus dem Umland von Gießen immer wieder. Und über seine “Guten Menschen”, die auch ganz anders betitelt werden könnten. Nämlich “Wutbürger, besorgte Bürger, Pegida-Gänger und Elite-Faschos”. Auf ihrem neuen Album Sensation, das am 19. Oktober erscheint, sind sie alle wieder Thema.

In elf Songs behandelt die Platte gefühlt mehr Themen als ein Universal-Lexikon. Es geht um die Stumpfheit deutscher Musik, den politischen Zustand ihrer Hörerschaft und den gesellschaftlichen Zustand überhaupt. Und dann ist da noch dieser Song, in dem zu gutgelaunter Schunkel-Musik frei und funny von zwei Sex-Urlaubern erzählt wird.

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OK Kid haben große Ansprüche und verpacken sie in Texte, in denen moralische Fragen zwischen ironischem Wortspiel und einem ernsten Blick in die Zukunft Platz finden. Mit sprachlichen Bildern, die einfach nicht peinlich sind.

Weil sie wirklich was zu erzählen haben, weil sie über Dinge reden, die Deutschpop viel zu oft erfolgreich verdrängt und weil sie einfach ein sehr gutes drittes Album gemacht haben, hatten wir ein paar Fragen an OK Kid. Deswegen haben wir uns mit Moritz, Raffi und Jonas in Berlin getroffen und uns mal über jeden Song auf Sensation unterhalten. Elf Songs, elf Lines, ganz schön viele Antworten.

1. “So gehen die Deutschen, ein deutscher Song geht so”

(aus “Lügenhits”)

Gibt es einen stereotypischen deutschen Song, einen deutschen Hit?
Jonas: Das ist angelehnt an “So gehen die Gauchos”, was ja gut nach hinten losging. Es ist eigentlich eine Persiflage auf den Song. Der Song ist sehr poppig geschrieben und das ganze Album hat durchaus Anleihen an deutscher Musik, klingt durchaus deutsch. Das ist natürlich ein Joke.

Wenn man uns kennt, weiß man auch, wie wir zu Dingen wie “So gehen die Gauchos” stehen. Ein deutscher Song hat oft eine sehr einfache Melodie und ist auch inhaltlich einfach zu konsumieren. Auch “Lügenhits” ist leicht zu konsumieren und nicht mega um die Ecke gedacht.

Die deutsche Musiktradition, wie sie vielleicht in den 20er Jahren war und sich ab den 50ern weiterentwickelt hat, besteht aus Verdrängungsmusik – das is Schlager. Der deutsche Mainstream ist immer noch leichte Musik, die nicht weh tut und gute Laune machen soll. Sie setzt sich selten mit Themen auseinander, die eine Diskussion auslösen könnten.

Was verdrängt man heutzutage?
Ich weiß nicht, woran das in Deutschland liegt, aber bis ich deutsche Musik hören konnte, musste ich erst 16,17 werden. Dann kam Deutschrap, was ich cool fand. Die generelle Affinität zur Musik ist in Deutschland eine ganz andere als in England oder Schweden, vor allem in der Jugendkultur. Die Kids bekommen dort in der Schule so etwas wie “Band” als Unterrichtsfach, insgesamt ist Popkultur viel höher angesehen.

2. “Ich habe einen Sprachfehler, ich verspreche dir zu viel”

(aus “Hinterher”)

Warum lügt man beim Beeindrucken?
Jonas: In gewissen Situationen greift man auf Grund von entsprechenden Folgen natürlich zu dem Mittel, Dinge anders zu interpretieren. Die Zeile ist aber anders gedacht, die ist viel wörtlicher gemeint. Ich hatte echt einen Sprachfehler und habe früher krass gestottert. Deswegen ist das einfach eine funny Line. Damit meine ich weniger, dass ich jemanden belügen will. Was aber natürlich auch immer wieder vorkommt.

3. “Entweder du stirbst oder du frisst einfach mit”

(aus “Ich und die Planierraupe”)

Es gibt keinen Ausweg aus dem Raubtierkapitalismus. Oder etwa doch?
Jonas: Ich glaube, um erfolgreich in einem System wie Deutschland oder generell in der westlichen Welt zu sein, muss man akzeptieren, dass man entweder am Anfang oder am Ende der Nahrungskette steht. Du musst dafür zu sorgen, deinen eigenen Arsch zu retten, weil das System dich nicht schützen wird. Ob das jetzt positiv oder negativ ist, sei dahingestellt. Ich bin jetzt auch nicht für Kommunismus oder Sozialismus.

Der Song spielt in einer Ecke von Köln-Ehrenfeld, in der krasse Gentrifizierung stattgefunden hat. Ich wohne seit über elf Jahren da. Man könnte jetzt natürlich sagen: “Fickt euch alle, ihr Investoren!” Aber du bist ja selbst Teil davon, weil du hingezogen bist.

Ich finde es wichtig, da beide Seiten der Medaille zu sehen. Ich bin selbst auch daran schuld, dass es so teuer geworden ist und dass alles aufgekauft wird. Der Song ist aber leider keinesfalls eine Utopie-Vorstellung, sondern mehr Dystopie, als wir vielleicht wahrhaben wollen.

4. “Hier bin ich der hellste Stern auf der Wall of Shame”

(aus “Heimatschänke”)

Wann habt ihr euch das letzte Mal nach dem Saufen richtig geschämt?
Moritz: Puh, sehr oft.
Raffi: Habe ich vergessen! Ich glaube, man schämt sich nicht mehr für Sachen, die man gemacht hat, sondern eher dafür, dass man mega wasted ist und sich denkt: “Ich bin eigentlich zu alt für den Scheiß.”

Ich habe schon 1.000 Mal gesagt, dass ich zu alt fürs Saufen bin und dann wache ich trotzdem wieder auf, bin am Reihern und frage mich: “Wann hört das denn endlich auf?”

Das ist aber ein Schamgefühl, das nicht wirklich schlimm ist. Ich mache ja nicht alles falsch, sondern meistens ist das auch ganz lustig. Ich bin mega verkatert, aber denke auch, dass es trotzdem Spaß gemacht hat.

Ihr habt in dem Song die Line “Hier zeuge ich meine Enkel”. Dumme Frage: Wie zeugt man denn Enkel?
Jonas: Oh mein Gott, du hast es entlarvt. Man sagt ja: “Hier zeuge ich meine Kinder.” Damit ist gemeint, dass man an einem Ort so lange bleibt, bis es dann auch Enkel gibt. Nachdem das Album fertig war und alles aufgenommen war, ist uns dann aufgefallen: Oh, das riecht ja ein bisschen nach Inzest. Fuck, das war natürlich überhaupt nicht die Intention.

Man darf auf dem Album nicht alles wörtlich nehmen, damit meine ich natürlich, dass man so lange immer wieder an denselben Ort zurückkehrt. Egal auch, wenn ich mich abschieße und es mir scheiße geht. Es gibt ja trotzdem manchmal nichts Besseres als einen Abend in der Kneipe.

5. “Ich habe Ausschlag, ich bin komisch, ich bin ätzend – du bist es nicht”

(aus “1996”)

Ihr erzählt vom Anderssein, vom Außenseiterdasein in der Jugend. Gibt es in eurem jetzigen Alter Dinge, die euch das Gefühl geben, komisch oder anders zu sein?
Jonas: Das Außenseiterdasein habe ich damals krass erlebt. Ich war in meiner frühen Jugend zwischen 10 und 14 oft außen vor, aus verschiedensten Gründen, die meistens sehr oberflächlich waren.

Zum Glück hat dieses Gefühl, sich nicht zugehörig zu fühlen, bis heute immer noch oft Bestand. Weil es mir den Spiegel vorhält und mich dazu antreibt, an mir selbst zu arbeiten. Eher mein eigenes Ding zu machen, als mich in irgendwie anzupassen.

Gerade für die Musik und das Texten ist es sehr wichtig, nicht von einem Standpunkt zu schreiben, an dem ich davon ausgehe, dass mich alle mögen. Ich schreibe lieber für die, die sich missverstanden fühlen, als für die, bei denen alles gut läuft. Lieber hinterfrage ich die ganze Zeit, warum Dinge so sind wie sind, als wie ein Mitschwimmer mich mit allen freudetrunken in den Armen zu liegen.

6. “Sie wird über uns herfallen, traue nicht dem Frieden, das ist kein böses Blut, saurer Regen wird fließen”

(aus “Wolke”)

Warum die Thematik Apokalypse?
Jonas: Wenn man sich anschaut, was gerade in Deutschland passiert, ist das gar nicht so weit weg. Die Wolke steht als Symbol für das Unbekannte. Als Symbol für etwas, was kommt, von dem man aber gar keine Ahnung hat. Dann werden andere aufgehetzt und im Endeffekt passiert einfach nichts. Die ganze Angst, das ganze Aufgebausche, auch die Sensationsgeilheit machen dann doch keinen Sinn.

Das ist in Deutschland näher, als man denkt und lässt sich zurzeit auf viele Dinge übertragen. Das ist nicht nur die Flüchtlingskrise oder die Angst, dass die Welt untergeht. Es gibt so viele Sachen, die Leute dazu veranlassen, Panik zu verbreiten, obwohl es keinen Grund dafür gibt.

7. “Wenn ich will, dass etwas von mir überlebt und meine Urenkel immer noch von mir erzählen, dann mach ich Sensation”

(aus “Sensation”)

Wofür ist eine Sensation heutzutage denn notwendig?
Jonas: Es gibt eine enorme Sensationsgier, zu der man sich immer irgendwie hingezogen fühlt, sie aber im selben Moment auch völlig ablehnt. Eine Sensation wäre auf jeden Fall der Schlüssel, zurzeit aufzufallen. Wenn Nachrichten aufgepimpt werden und Politiker immer krasser reden, kommt man nur noch mit einer sensationellen Nachricht durch.

Könnt ihr noch einschätzen, was eine Sensation ist oder wird man durch den täglichen Nachrichtenfluss dahingehend abgestumpft?
Man stumpft ab. Dadurch, dass die eine Sensation ständig von der nächsten Sensation eingeholt wird, verliert man dafür das Gespür. Da muss man sich für sensibilisieren, dass genau das nicht passiert. Wenn man Politik betrachtet, passieren Dinge, die man einfach übergeht, obwohl man sie eigentlich als Sensation wahrnehmen sollte. Als etwas, was zuviel ist.

8. “Oh, du hattest Pech, Harry, Sugar Baby ist auf Ibiza / Sie stand in High Heels in der Küche, jetzt bleibt dir nur noch Tiefkühlpizza”

(aus “Pattaya”)

Was interessiert beim Songschreiben an diesen Außenseiterfiguren, hier im speziellen an Sex-Touristen?
Jonas: Ich habe mich da von der Paradies-Doku von Ulrich Seidl inspirieren lassen. Da geht es um Weiße Frauen, die sich von weniger privilegierten Männern im Urlaub gegen Bezahlung abschleppen lassen. Man hat überhaupt kein Mitleid, sondern schaut einfach zu.

Ich wollte das Thema dann von beiden Seiten beleuchten. Von ihrer und von der Seite eines Mannes. Das war eher Zufall, dass so ein Thema auf dem Album Platz hat. Das hatten wir davor noch nie gemacht, aber jetzt passt das. Es geht darum, Themen auf die Agenda zu bringen, über die man im Alltag nicht redet. Zum Beispiel über den Markt des Sextourismus für Frauen.

9. “Da hilft nur noch ‘ne Flex, schneid mich ab und ich schenk dir ein paar Funken zum Abschied”

(aus “Reparieren”)

Seid ihr gut im Dinge reparieren?
Raffi: Ich glaube ja, aber auch genauso gut im Dinge-kaputt-reparieren. Kennst du das, wenn du dich mit einem Schraubenzieher ans Werk machst und es klappt einfach nichts? Das passiert ab und zu mal. Wir sind jetzt nicht die mega Bauarbeiterband. Wir haben aber mal unser Studio abreißen müssen, das war schon ein ziemlicher Abfuck.

10. “Es fing an mit Montagsdemos, danach Petry, danach Heil”

(aus “Warten auf den starken Mann”)

Was kommt nach dem Heil?
Jonas: Ist es nicht spannend, dass es jetzt einfach wirklich so ist? Das “Heil” haben wir jetzt auf einer Demo gesehen, die “Wir sind das Volk” von sich behauptet hat. Wir sind jetzt schon soweit, dass eine Phase eingetreten ist, die der Anfangszeit des Nazitums in den 20er-Jahren stark ähnelt. Das riecht gerade ein bisschen so. Auch wenn man Politologen hört, die klare Parallelen dazu ziehen.

Das macht mich sauer und traurig, dass es nicht nur Leute gibt, die einen Hitlergruß zeigen, sondern noch viel mehr, die einfach mitlaufen. Die passen nicht auf, dass genau so etwas nicht mehr passiert. Die Zeichen der Zeit sind gerade extrem unsicher, aber ich habe kein Geheimrezept, wie man damit umgehen soll.

Wer ist für euch der starke Mann, von dem ihr singt?
Diese konkrete Person hat man überall gerade. Wo man eigentlich dachte, man hätte eine gefestigte Demokratie, tauchen Populisten wie zum Beispiel Trump auf. Die spielen alle mit denselben Mitteln. Hierzulande gibt es Björn Höcke in der AfD. Das sind Führer-Figuren, von denen ihre Anhänger sagen, dass es endlich wieder jemanden gibt, der sich nicht den Mund verbieten lässt. Ich glaube, der ganze Rechtsruck ist an Persönlichkeiten gebunden, die diesen forcieren, die Hetze betreiben und Angst schüren. Trump, Le Pen, Erdogan, Höcke, you name it. Man bemerkt den Wunsch nach einer harten Hand.
Raffi: Man bemerkt auch den Wunsch nach Verhärtung der Rhetorik. Das passiert gerade auch. Es bilden sich Fronten, die sich nach und nach verhärten und irgendwann sind wir alle an dem Punkt, an dem man ein Problem mit Kommunikation lösen muss oder es kommt zu dem, was die Rechten immer heraufbeschwören wollen: dem Kampf auf der Straße. Hoffen wir nicht, aber das wird stark gepusht.

Glaubt ihr, dass die Angst den Verängstigten genommen werden kann oder kämpft man gegen grundsätzlichen Hass an?
Jonas: Es müssen positive Anreize geschaffen werden, um Ängste zu beseitigen. Die Leute, die auf die Straße gehen, fühlen sich zurückgelassen, alleine gelassen, sind irritiert und kommen mit der Komplexität der modernen Welt anscheinend nur schwer klar. Eigentlich ist es, wie Die Ärzte damals gesagt haben: Hass ist ein Schrei nach Liebe. Nur gibt es eben jetzt ein sehr komfortables Auffangbecken bei der AfD.

Wenn man hier über den eigenen Schatten springen kann und diese Menschen durch eine argumentative Weise davon überzeugen kann, dass genau solche Auffangbecken nur von Rattenfängern gemacht sind, die keine Alternative bieten, dann wäre ein Anfang gemacht.

11. “Wut lass nach, bitte gönn mir meine ein, zwei Stunden Schlaf”

(aus “Wut lass nach”)

Wo ist die Wut in eurer Musik?
Jonas: Wut ist eine treibende Kraft. Man merkt, dass man noch lebt, durch sie setzt man sich für Sachen ein. Wut war auch schon immer ein genialer Motor für Kunst und dafür, sich nicht mit dem Status Quo abzufinden. In gewissen Situationen ist Wut aber auch nicht das bessere Mittel, um Sachen zu erreichen.

Der Song ist zu einer Zeit entstanden, als wir nicht wussten, wie es mit dem Songwriting für das neue Album weitergehen soll. Das war dann eine gewisse Einkehr nach Songs wie “Gute Menschen” oder “Warten auf den starken Mann”. Wir haben realisiert, dass Wut auch ein Mittel ist, das wir versucht haben, aber das uns nicht wirklich weitergebracht hat. Auch gesellschaftlich ist sie nicht das geeignete Mittel, auch wenn sie berechtigt sein sollte. Aber man kommt durch sie einfach nicht zusammen.

OK Kid auf Tour

14.11.2018 Wien, Arena
15.11.2018 Zürich, Dynamo
16.11.2018 Stuttgart, Im Wizemann
17.11.2018 Frankfurt, Batschkapp
18.11.2018 Köln, E-Werk
20.11.2018 Hannover, Capitol
21.11.2018 Hamburg, Docks
22.11.2018 München, Muffathalle
23.11.2018 Berlin, C-Halle
24.11.2018 Leipzig, Täubchenthal

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