Es ist nicht einfach in Deutschland, wirklich erfolgreich zu sein. Es gibt nur ein bestimmtes Zeitfenster, in dem man vom Großteil der Öffentlichkeit geliebt werden kann, bevor die Situation kippt. Deswegen schienen sich sehr viele Menschen auf Twitter darüber zu freuen, als Kritikerliebling Jan Böhmermann sich vor Kurzem einem harten Vorwurf ausgesetzt sah: Er soll den Comedian und Autor Oliver Polak antisemitisch beleidigt haben. Öffentlich machte das Journalist Stefan Niggemeier in einem Artikel für die Wochenzeitung Der Freitag. Personen, die Böhmermanns Moral-Comedy schon immer ein bisschen selbstgefällig fanden, freuten sich diebisch.
Polak hatte in seinem Buch Gegen Judenhass zwei Geschichten aufgegriffen, in denen er von einem nicht namentlich benannten “Fernsehmoderator mittleren Alters” angegangen worden sei. Der Moderator soll, zusammen mit zwei anderen Komikern, Polak von der Bühne gejagt und anschließend sich und den beiden anderen Männern die Hände desinfiziert haben. Juden, so die angestrebte Pointe, fasse man schließlich nicht an. Eine zweite Situation schilderte, wie die gleiche Person Polak als Studiogast rein auf sein Jüdischsein reduzierte. Als der Comedian äußerte, dass sein aktuelles Buch doch aber von Depressionen handle, soll der Moderator erwidert haben: “Sorry, aber dein Judentum ist dein Unique Selling Point, da musste jetzt durch.”
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Jan Böhmermanns Reaktion auf die Vorwürfe machte das Ganze auch nicht besser. Er twitterte nämlich lediglich, er könne “ohne eine angemessene Umsatzbeteiligung nicht an der nachträglichen Umdeutung von ultrakrassen Ficki-Ficki-Comedykarrieren in schillernde, sensible Intellektuellenbiografien mitwirken”. Auf die konkreten Situationen, die Polak in seinem Buch ansprach, ging er dabei nicht ein. Bis jetzt. Am Sonntag äußerte sich der Moderator des Neo Magazin Royale im Podcast Fest & Flauschig erstmals ausführlicher zu den Vorwürfen.
“Vier hauptberufliche Komiker haben sich 2010, vor acht Jahren, im Rahmen eines Roasts zu Serdar Somuncus 25. Bühnenjubiläum im FZW in Dortmund in Reaktion auf das damals frisch erschienene Buch von Thilo Sarrazin gemeinsam einen Sketch ausgedacht”, erzählt er. Die vier hauptberuflichen Komiker sind Serdar Somuncu, Klaas Heufer-Umlauf, Jan Böhmermann und Oliver Polak. Bis auf Somuncu nennt er im Gespräch mit Olli Schulz allerdings keinen Namen. “Alle Beteiligten haben ihre Rollen freiwillig, selbstbestimmt gespielt”, sagt Böhmermann. Und: “Alle Beteiligten haben im Nachhinein zugestimmt, dass es auf DVD veröffentlicht wird.”
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Worum es in dem Sketch ging und warum er damals für eine gute Idee gehalten wurde, erklärt der Moderator nicht. Stattdessen kritisiert er, wie “persönlich” und “unseriös” die Debatte um antisemitische Witze geführt werde. “Angesichts der Aktualität und der Ernsthaftigkeit des zugrundeliegenden Themas”, sagt Böhmermann, sei das “eigentlich völlig unangemessen”. Man dürfe “gehegten Groll” nicht mit “ernsthaften Themen in einer ernsthaften Debatte” mischen: “Das finde ich nicht richtig.”
Vielen Medien kann man tatsächlich vorwerfen, dass sie sich nur mit Polaks antisemitischen Erfahrungen auseinandersetzen, weil sich daraus ein schwelender Beef mit Jan “Traffic-Gold” Böhmermann konstruieren lässt. Hätte Polak selbst darauf gesetzt, möglichst viele Exemplare von Gegen Judenhass zu verkaufen, wäre es womöglich aber einfacher gewesen, die vielen Personen, die in seinem Buch vorkommen – vom Verleger, über den Satiriker bis zum deutschen Rapstar –, direkt namentlich zu benennen. Und nicht darauf zu hoffen, dass irgendein Journalist aus dem Fernsehmoderator mit dem Desinfektionsspray einen Artikel macht.
“Alles, was Oliver Polak zum Thema Antisemitismus zu sagen hat, steht in seinem Buch”, heißt es auf unsere Anfrage hin von Oliver Polaks Management. Zu Böhmermanns Gegendarstellung, der Sketch sei einvernehmlich geplant und aufgeführt worden, möchte man sich nicht äußern. Auch nicht zu Böhmermanns Vorwürfen. Dem Autor ginge es bei der Veröffentlichung von Gegen Judenhass schließlich vor allem um ein Thema: Antisemitismus. “Es ist ein sehr persönliches, autobiografisches Buch, in dem es um konkrete Erfahrungen geht, nicht um die beteiligten Personen. Deswegen werden auch keine Namen genannt.”
Jan Böhmermanns späte Äußerung ist vor allem deswegen aufschlussreich, weil er sich mit ihr einmal mehr in die Position der moralisch unantastbaren Humor-Instanz hebt. Er möchte ja über Antisemitismus sprechen, aber eben nicht so! Spricht dann aber Menschen, die Antisemitismus erlebt haben, ihre Erfahrungen ab. Oder zumindest der einen Person, die antisemitische Witze durch Böhmermann erfahren haben will.
Schade auch, dass der Moderator den zweiten Vorfall, den Oliver Polak in seinem Buch schildert, überhaupt nicht thematisiert, geschweige denn aufarbeitet. Sich selbst kritisch zu fragen, ob es retrospektiv wirklich so korrekt war, auch dann noch Judenwitze über den jüdischen Showgast zu machen, wenn der deutlich macht, dass ihm das langsam unangenehm wird – das hätte vielleicht genau die “seriöse” Antisemitismusdebatte beflügeln können, die sich Böhmermann so sehr wünscht.
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