Was ist da eigentlich los? In Österreich kriechen die Skandale an allen Ecken und Enden aus den Löchern. Kaum scheint einer unter den Teppich gekehrt, schleicht sich an anderer Stelle schon der nächste heran. Trotzdem scheinen die Politiker nicht wirklich vorsichtiger zu werden. Per WhatsApp schicken sie ungeniert Nachrichten hin und her, in denen sie offen über mutmaßlich korrupte Pläne diskutieren und sich beglückwünschen, wenn die Pläne aufgehen oder ein politischer Gegner besiegt wurde.
Obwohl es schon gruselig ist, wie wenig diese Politiker offensichtlich von Verfahren halten, die demokratisch legitimierte Entscheidungen ermöglichen, so unterhaltsam ist es auch, diese Gespräche zu lesen. Denn am Ende sind auch Politiker nur Menschen, die sich Smileys schicken und die Zeichensetzung vernachlässigen.
Videos by VICE
Auch bei VICE: Was kostet ein neues Gesicht?
Einer, dessen Nachrichten ihm nun zum Verhängnis wurden, ist Thomas Schmid von der Regierungspartei ÖVP. Der Vorstand der ÖBAG musste Dienstag zurücktreten. ÖBAG steht für Österreichische Beteiligungs AG und ist die Gesellschaft, die die staatlichen Beteiligungen an zahlreichen Unternehmen verwaltet. Glücksspiel, Öl und Gas, Post, all so was, mit einem Gesamtwert von fast 27 Milliarden Euro.
Auf dem Papier ist das ärgerlich, denn Schmid, ein Freund von Kanzler Sebastian Kurz, ebenfalls ÖVP, hatte sich die Stellenausschreibung des Jobs, den er selbst wollte, auch selbst schreiben dürfen. Einen qualifizierteren Menschen kann es also per Definition gar nicht geben. Schmid war Kabinettschef und Generalsekretär im Finanzministerium, bevor er im September 2019 zum alleinigen Vorstand der neu gebildeten ÖBAG wurde.
Ein Chat mit seinen Mitarbeitern aus dem Jahr 2018 zur Ausschreibung [Anm. d. Red.: VICE hat im Folgenden die Chats nachgebaut]:
Obwohl der Deal offensichtlich schon durch war, blieb Schmid vorsichtig. Er wollte verhindern, dass vorzeitig bekannt wird, welch hohen Posten er bald übernehmen würde. Zu dem Zweck manipulierte er auch die Medien. Hier wendet er sich an Kanzler Kurz, damit dieser Helmut Brandstätter, den Chefredakteur des Kurier, bearbeitet.
Schmid rief “Brandi” dann an und siehe da: Der Artikel erschien weniger eindeutig, als von Schmid ursprünglich befürchtet. Später will die Tageszeitung Die Presse einen Artikel über die ÖBAG bringen. Auch hier wird Schmid nervös und greift ein, diesmal bei Chefredakteur Rainer Nowak.
Am Dienstag ist Schmid nun zurückgetreten, nachdem er angekündigt hatte, den Betriebsrat der ÖBAG zu entmachten. Außerdem ist mittlerweile ziemlich deutlich, dass Österreichs Kanzler Sebastian Kurz die Ernennung Schmids zum ÖBAG-Vorstand beeinflusst hat. Dafür droht Kurz sogar eine Anklage, das wäre nämlich verboten.
Von diesem mutmaßlich illegalen Freundschaftsdienst weiß man auch aus Chat-Protokollen zwischen den beiden – aber auch aus Nachrichten zwischen Schmid und anderen ÖVP-Funktionären. Schmid und Kurz sind nämlich sogar so gute Freunde, dass sie sich “Familie” nennen.
Einer dieser innigen Chats liest sich so. Es geht um die Aufsichtsräte der ÖBAG:
Was überrascht, ist weniger der Anschein der Korruption. Als Deutsche sollten wir uns ohnehin zurückhalten – man denke an Masken-Deals, Aserbaidschan-Connections und so weiter. Was verwundert, ist viel mehr die Menschlichkeit, die in diesen Chats zum Ausdruck kommt.
Nachdem der Nationalrat – auch mit Stimmen der Sozialdemokratischen Partei Österreichs – die Neuausrichtung der staatlichen Beteiligungsgesellschaft beschlossen hatte, die Voraussetzung für Schmids neuen Posten, chattete Schmid mit dem Finanzminister Gernot Blümel, ebenfalls ÖVP.
Diese widerlich männerbündlerische und demokratieverachtende Menschlichkeit, mit der sich die Funktionsträger gegenseitig die Genitalien streicheln, während sie sich Posten zuschieben, über Freunde und Feinde lästern und ihre Verachtung für die Wählerinnen zum Ausdruck bringen, ist typisch für die Chatverläufe zwischen den ÖVP-Funktionären.
Nachdem Schmid den Posten bekommen hatte, schrieb er an Kurz:
Und nicht nur die Ausschreibung für seinen eigenen Posten durfte Schmid designen. Er hatte auch Mitspracherecht bei der Bestimmung der ÖBAG-Aufsichtsräte. Hektisch wurde es, als reihenweise potenzielle Kandidatinnen absprangen, obwohl es die für die Frauenquote brauchte. Aber Schmid hat bald wieder eine Favoritin.
So schreibt er an Kanzler Kurz:
Bei Kurz’ Partei scheint man generell Probleme mit der Gleichberechtigung. Die ÖVP-Beraterin Gabriela Spiegelfeld schreibt an Schmid:
Doch bei aller Widerwärtigkeit und dummer Arroganz: In den Chats offenbart sich vielleicht auch einfach Politik in seiner schmutzigsten, weil ehrlichsten Form. Denn natürlich geht es dabei um Macht. Es geht um Sieg und Niederlage, um Kompromisse, aber auch darum, die richtigen Karten zur richtigen Zeit zu spielen, um seinem Gegner die größtmöglichen Zugeständnisse abzutrotzen.
Als Schmid noch im Finanzministerium arbeitete, musste er hin und wieder für Kurz unangenehme Termine erledigen. Wie mit dem Generalsekretär der österreichischen Bischofskonferenz Peter Schipka. Schmid fiel es also zu, Schipka mit finanziellen Verschlechterungen der Kirche zu drohen. Und dem Chat nach zu urteilen, lief das Gespräch im Sinne von Kurz.
Freundschaften unter Politikern sind nicht anders aufgebaut als die unter Privatleuten. Wenn ich dir beim Umzug helfe, hilfst du mir beim nächsten Mal und die erste Runde zahlst du, die zweite geht auf mich – wenn ich nicht gerade supermüde werde und morgen ja auch früh raus muss. Unter Politikern funktioniert es ähnlich, nur dass es bei ihnen um Posten und Gelder geht.
Ein Chat zwischen Schmid und Kurz ermöglicht eine Vermutung, woher die enge Freundschaft der beiden kommen könnte. Im Jahr 2016 war Kurz Außenminister und aufstrebender Star seiner Partei, die er bald darauf vom bisherigen Vorsitzenden Reinhold Mitterlehner übernahm.
Auch Finanzminister Blümel sollte erfahren, dass Kurz’ Budget jetzt neue Möglichkeiten eröffnen würde.
In Österreich ist die Welt also noch in Ordnung. Freundschaften werden hier größer geschrieben als demokratische Prozesse, damit wird der eigene Freundeskreis praktisch zur Republik. Und wenn alle miteinander befreundet sind, vielleicht sogar Familie, dann bleibt alles für immer so hübsch und beschaulich, wie es immer war.
So schreibt auch Finanzminister Gernot Blümel einmal an Schmid:
Vielleicht ist die Lehre aus der österreichischen WhatsApp-Affäre auch einfach: Egal, wie korrupt du bist, wenn du die Reichtümer deiner Republik zu deinem Nutzen instrumentalisieren willst, dann besprich das lieber am Telefon.
Folge Robert auf Twitter und Instagram und VICE auf Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat.