Ein togolesischer König sitzt in seinem deutschen Wohnzimmer auf dem Sofa
Alle Fotos: Eva L. Hoppe

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Zu Besuch bei westafrikanischen Königen und Königinnen – in Deutschland

Hier Tellerwäscher oder Obstverkäufer, in Afrika Oberhaupt eines ganzen Volkes oder einer Stadt.

Für die meisten Weißen Deutschen sind Könige und Königinnen reiche Adelige, die den ganzen Tag in ihrem Schloss abhängen und deren Hochzeitsbilder auf Porzellantassen gedruckt werden. Doch auch abseits europäischer Monarchie-Romantik gibt es Länder, in denen Könige und Königinnen gekrönt werden. Und das sogar, ohne dass sie den Titel geerbt haben.

Besonders in westafrikanischen Ländern haben viele Völker ihre traditionellen Strukturen behalten. Neben den demokratisch gewählten Landesoberhäuptern stehen bei Völkern wie den Akan weiter ein "Nana" oder ein "Hene" an der Spitze. In der Kolonialzeit übersetzten Europäer und Europäerinnen die Titel als "Könige" oder "Chiefs". Und vielen Leuten sind diese Begriffe auch heute noch geläufiger als die korrekten Bezeichnungen. Manche der Chiefs und Queen Mothers halten eine Art repräsentatives Ehrenamt inne und kommen nur bei offiziellen Festen zusammen. Andere regieren als Oberhäupter über ganze Stämme.

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Doch nicht alle von ihnen leben auch dort, wo sie ihr Amt innehalten. Wir haben drei Könige und eine Königin westafrikanischer Städte und Völker besucht – in ihrer deutschen Heimat.

Jules Samlan, 50: König der Ewe/Mina in Togo

König Jules Samlan aus Bayern

Nicht alle Mitglieder des Stammes fänden gut, was ihr König in Deutschland macht, erzählt Manuela Samlan. "Ein König arbeitet nicht", sagt sie. "Und schon gar nicht als Tellerwäscher in Bayern." Manuela ist die Frau von Jules Samlan, dem 50-jährigen, togolesischen König der Ewe/Mina. Samlan regiert über etwa 40.000 Untertanen und Untertaninnen, Manuela ist als seine Frau die Königin. Die gebürtige Berlinerin sagt, in Togo dürfe niemand ihren Mann ansprechen. "In Deutschland ist das anders, da sind wir locker vom Hocker."

Tatsächlich führt das Königspaar im bayerischen Hermannsdorf ein eher unroyales Leben: Jules Samlan arbeitet in einem Wirtshaus als Küchenhilfe. Seinen königlichen Pflichten geht er am Telefon nach. "Die Stammesmitglieder können auch nachts bei uns anrufen, wenn sie Probleme haben", sagt Manuela. "Und wir haben schon viel eingeführt: Säuglinge werden nun nach der Geburt registriert, damit sie später leichter einen Pass bekommen. Wir haben in Togo ein Haus, in dem Geflüchtete leben, die sich die Flucht nach Europa nicht leisten können. Dort gibt es Kleidung, Hygieneartikel und Nahrung für Geflüchtete aus allen möglichen afrikanischen Ländern."

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Manchmal fliegt seine Frau Manuela nach Togo. Dem König selbst bleibt diese Möglichkeit verwehrt. Vor über 20 Jahren musste Samlan, damals noch Prinz, aus seiner Heimat flüchten. Zum König wurde er 2009 im Exil gekrönt.

Jules und Manuela Samlan

"Anfang der Neunziger sollte Jules für den Besuch einer Delegation Bilder malen", erzählt Manuela, die die Geschichte für ihren Mann wiedergibt. Jules Samlan hatte in Lomé Kunst studiert, er ist Maler. Die Prinzen erlernen einen normalen Beruf. "Der damalige Präsident Gnassingbé Eyadéma wollte der Delegation zeigen, wie toll und frei Togo sei", sagt Manuela. "Doch über Nacht tauschte Jules die ursprünglichen Gemälde der Ausstellung gegen regierungskritische Motive aus." Samlan saß deswegen drei Jahre im Gefängnis. Er konnte fliehen, als ein befreundeter Wächter ihm half. 1996 kam er nach Deutschland.

Samlan darf immer noch nicht nach Togo einreisen. "Er steht auf der schwarzen Liste. Solange dort eine Diktatur herrscht, kann Jules nicht zurück nach Togo", erzählt seine Frau. Daran änderte auch Samlans Krönung nichts: Als 13 Jahre nach seiner Flucht der Vater starb, trat Jules Samlan die Nachfolge an. Die Angelegenheiten der Ewe/Mina organisierte er fortan von Deutschland aus. Zum ersten Mal unterbricht der König den Redefluss seiner Frau: "Ich denke jeden Tag an Togo", sagt Jules Samlan. Dann verstummt er wieder.

In Togo würde Samlan seinen Stamm offiziell repräsentieren, sagt Manuela. Er hätte dort einen Sprecher, einen Schreiber und sogar Leute, die ihm die Tasche tragen. In Bayern hat er nur sein Gewand und der Regenschirm in den Landesfarben . "Es ist ihm wichtig, seine Kultur traditionell auszuleben", sagt Manuela. "Und in Bayern, wo eh alles traditionsbehaftet ist, ist das ziemlich einfach."

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Sonja Liggett-Igelmund, 44: Königin im Dorf Have in Ghana

Sonja Liggett-Igelmund aus Köln

"Für die Bewohner und Bewohnerinnen von Have bin ich Mama Enyonam", sagt Sonja Liggett-Igelmund. "Enyonam ist Ewe und bedeutet 'gut für uns'. Süß, oder?" Die 44-jährige Kölnerin ist seit 2013 eine der Königinnen des Dorfes Have in Ghana, nahe der togolesischen Grenze. Doch mit Zepter und Krone läuft sie deswegen nicht herum.

"Wir haben hier in Europa dieses verzauberte Bild von Monarchien", sagt Liggett-Igelmund. "Aber in Have gibt es viele Chiefs und Queen Mothers." Das Amt sei vergleichbar mit einem Bürgermeisterinnenjob, jede und jeder habe eine andere Zuständigkeit. Liggett-Igelmund kümmere sich vor allem um die Entwicklung des Dorfes. "Bei Zeremonien und Besprechungen kommen wir alle zusammen", sagt sie. "Aber niemand würde auf die Idee kommen, eine Veranstaltung abzusagen, nur weil ich aus Deutschland nicht anreisen kann."

In Köln arbeitet Sonja Liggett-Igelmund als Hebamme. Und ihr Beruf war es auch, der ihr zu ihrer besonderen Position in Ghana verholfen hat. "Im Oktober 2011 hat mich der WDR wegen einer Sendung angeschrieben", sagt Liggett-Igelmund, "die wollten eine Hebamme aus Nordrhein-Westfalen in Afrika arbeiten lassen." Sie habe vor allem mitgemacht, weil ihr in Deutschland langweilig war, sagt sie. Und weil sie schon einmal ein Interview vor der Kamera geführt und dabei nicht gestottert habe. "Die vom WDR haben sich überlegt, wo es in Afrika besonders sicher ist", erzählt Liggett-Igelmund. "Dann wurde ich mit einem Kamerateam nach Ghana geschickt."

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Sonja Ligget-Igelmund in ihrem Wohnzimmer in Köln

Wenige Monate später begleitete sie im ghanaischen Have für den WDR Geburten, strich Kreißsäle neu und ließ einen Container mit Spenden schicken. "Dann wollte der Ältestenrat einen Krankenwagen", sagt sie. "Und ein Jahr später hatte ich ihn organisiert." Als Dank für den Einsatz der Deutschen nannte eine der Mütter ihren Sohn Bismarck. Doch die Bewohner und Bewohnerinnen von Have wollten ihre Wertschätzung für die Weiße Besucherin offensichtlich auch noch anders zur Geltung bringen. Und als der bestellte Krankenwagen kam, machte der Ältestenrat Liggett-Igelmund als Dank selbst zur Queen Mother.

Sonja Liggett-Igelmund denkt, dass solche Gesten auch dazu da sind, Leute wie sie an den Ort zu binden. Sie sagt, sie fände das in Ordnung. Dennoch könne die zweifache Mutter es sich nicht vorstellen, länger als drei Monate in Have zu Leben. "Das Leben da ist wie im Mittelalter", sagt sie. "Nur mit Handys."

Didi De Graft, 51: König der Stadt Suma Ahenkro in Ghana

König Didi De Graft in seinem Wohnzimmer in Bielefeld

Als Didi De Graft vor über zehn Jahren sein Amt als König der ghanaischen Stadt Suma Ahenkro übernahm, regierte er die rund 3.500 Bewohner und Bewohnerinnen per Skype. Die Sendung Galileo nannte ihn damals den "Skype-König". Heute ist sein Telefon sein Herrschaftsinstrument. Tagsüber regiert der 51-jährigen Bielefelder über die Obstabteilung eines Supermarkts – abends über eine Stadt in Westafrika.

"Um zu wissen, wie es meinem Volk geht, telefoniere ich abends über WhatsApp nach Ghana", sagt De Graft. Er entscheidet über Bauprojekte in der Stadt und regelt Konflikte. Und wenn er ein- bis zweimal im Jahr in seine alte Heimat fliegt, darf De Graft als König sogar die traditionelle, ghanaische Eheschließung vollziehen. "Die Verantwortung ist groß", sagt er. "Und eigentlich wäre es sinnvoll, vor Ort zu sein."

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Doch De Graft hat in Deutschland eine zweite Heimat gefunden. Nach seinem Abitur zog er 1989 nach Hamburg, um Betriebswirtschaftslehre zu studieren. Als das mit dem Studium nicht klappte, machte er eine Kaufmannslehre. Anfang der 90er fing er bei einer Supermarktkette an. Dort arbeitete er auch noch, als sein Onkel ihn 2007 anrief und fragte, ob er König von Suma werden wolle.

König De Graft auf seinem Thron

"Mein Onkel hat gesagt, er sei alt geworden und wolle mir den Thron übergeben", erzählt De Graft. Als Nächster in der Reihenfolge wusste er, dass er irgendwann das Amt übernehmen könnte. "Ich habe sofort Ja gesagt." Als De Graft zwei Jahre später in der offiziellen Zeremonie gekrönt wurde, nahm er einen zweiten Namen an. "Nana heißt König", sagt der Bielefelder. "Und mein Titel ist Nana Adutwum Barimah."

Ob es ihn und seine Familie irgendwann nach Ghana zurückbringen wird, weiß er noch nicht. "Wir haben ein schulpflichtiges Kind", sagt er, "und mein Sohn soll erst die Schule beenden." Das ist nicht der einzige Wunsch, den De Graft für die Zukunft seines Sohnes hat. Wenn der Junge einverstanden sei, so der König, werde er irgendwann die Nachfolge seines Vaters antreten. "Und dann werden wir auch entscheiden, ob wir für immer zurück nach Ghana ziehen."

Gerhard Meickl, 69: König in der ghanaischen Stadt Awukugua

König Gerhard Meickl aus Rheinland-Pfalz

Jeden Morgen liest Gerhard Meickl in seinem Haus in Ghana beim Frühstück die Nachrichten der Süddeutschen Zeitung. Dafür hat sich der 69-Jährige extra einen Stick und einen Satelliten für mobile Daten besorgt. Als der Rheinland-Pfälzer im November 2006 in der Stadt Awukugua zu einem der Chiefs gekrönt wurde, war sein Haus zunächst vom Internet abgeschottet. "Ich konnte höchstens CNN im Fernsehen gucken", sagt Meickl. "Aber mein Englisch hat nicht gereicht, um alles zu verstehen."

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Die sprachlichen Probleme hat der SPD-Ratsherr Meickl allerdings nur vier Monate im Jahr. Wenn er nicht gerade in seinem Haus in Ghana residiert, arbeitet er im rheinland-pfälzischen Ockenfels als Architekt. "In Ghana ist mein Leben anders organisiert", sagt er. "Dort habe ich eine Köchin, die für mich europäisch kocht. Und einen Houseboy, der das Haus in Ordnung hält." Meickl sagt, er zahle dem Mann dafür 80 Euro im Monat. Davon könne er besser leben, als wenn er, wie viele andere, auf einer Mango-Plantage arbeite.

Als Weißer ist Gerhard Meickl unter den zwölf Königen von Awukugua ein Einzelfall. "Für die Menschen in Ghana sind alle Weißen reich", sagt er. "Aber mein Amt wurde nicht an diese Erwartung gebunden." Dass er diese Rolle überhaupt habe, verdanke der Deutsche auch seiner Lebensgefährtin. Diese besitzt ebenfalls ein Haus in Awukugua, Teile ihrer Verwandtschaft leben in der Stadt. 2003 nahm die Frau Gerhard Meickl zum ersten Mal mit in ihre Heimat. Und verschaffte ihm Kontakt zum "Hene", dem obersten König des Ortes – der Meickl schließlich fragte, ob er sich ein offizielles Amt in der Stadt vorstellen könne.

Gerhard Meickl in seinem Haus

"Die korrekte Bezeichnung ist eigentlich Chief", sagt Meickl. Er sei, wie die meisten anderen Chiefs der Stadt, eine Art ziviler König über die rund 15.000 Einwohnenden. "Ich bin so etwas wie ein Ehrenkonsul", sagt er. "Wegen meines Alters erwartet man sonst nichts von mir." Dennoch ließ der 69-Jährige den Dorfplatz pflastern, richtete einen Computerraum in der örtlichen Schule ein, finanzierte Stipendien und organisierte den Bau einer Bücherei.

"Viele sind stolz auf den Weißen König", sagt Meickl. "Ich bin jedes Mal im Fernsehen oder in der Zeitung, wenn ich eine Schule besuche." König zu sein, bedeute für ihn vor allem Öffentlichkeitsarbeit. Und es freut ihn, dass er so beliebt ist – und das sogar bei Politikern und Politikerinnen. "Ich kenne einen Minister sehr gut", sagt der Pfälzer. "Und wenn der Präsident mich bei einem Fest sieht, winkt er mir auch zu."

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