Illustration mit Krebszellen, Pilzen und einer Frau
Illustration: Lia Kantrowitz

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Popkultur

Interview: Wenn du weißt, dass du mit 35 an Krebs stirbst

"Unsere Körper sind geliehen. Dieser Tag ist geliehen. Nichts bleibt."
Lia Kantrowitz
illustriert von Lia Kantrowitz

In den Tagen zwischen unserem Gespräch und der Veröffentlichung des Interviews ist Katia Bozhikova gestorben. Sie wurde 35. Sie wusste, dass es bald passieren würde. Sie hatte sich schon länger mit ihrem Tod beschäftigt. Katia war 26, als sie ihre erste Krebsdiagnose bekam. In diesem Frühjahr sagten die Ärzte ihr, dass die Krankheit in ihre Leber, Rippen, Lymphknoten, Lunge und ihr Gehirn gestreut hatte. Trotzdem hat mich ihr Tod schockiert. Wahrscheinlich, weil der Tod das in einer Gesellschaft wie der unseren eben tut. Die einzig beiden sicheren Ereignisse unseres Lebens – wir werden geboren, wir sterben – sind nicht gerade gut in unser Bewusstsein integriert.

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Ich habe Katia über meine Schwester kennengelernt. Als klinische Psychologin forscht sie zu Tod und Sterblichkeit. Als ich mitbekam, wie der nahende Tod ihre Sicht aufs Leben beeinflusst hatte, fragte ich, ob ich sie interviewen könne. Was folgt, ist eine kurze Unterhaltung, die wir führten, als Katia sich einen Tag Ruhe von einer Runde extrem schmerzvoller experimenteller Behandlungsmethoden gönnte.

Zwischen Hustenanfällen und vorsichtigen Schlucken aus ihrem Wasserglas sprach sie mit Klarheit und entwaffnendem Selbstbewusstsein. Nicht, weil sie keine Angst hatte, traurig oder wütend war, sondern weil sie lange genug mit dem Gespenst des Todes gelebt hatte. Sie hatte von ihm gelernt. Oder wie ich zu meiner Schwester in der Nacht von Katias Tod sagte: Sterben klingt angsteinflößend, geheimnisvoll, hart und sonderbar, aber wenn irgendjemand wusste, wie man ihm am besten entgegentritt, war es Katia.


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VICE: Wie hat sich deine Sicht auf den Tod durch die Krankheit verändert?
Katia Bozhikova: Als ich zum ersten Mal diagnostiziert wurde, war ich 26. Das ist kein Alter, in dem man dich dazu ermutigt, dich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Wenn du so jung bist, kommt vor allem aus der Medizin ein gewisser Druck, nicht über den Tod nachzudenken. Es war dieses große Tabu. Allein die Frage zu stellen, fühlte sich manchmal an, als würde ich etwas falsch machen.

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Welche Frage zu stellen?
Was passiert beim Tod? Was passiert, wenn ich sterbe? Ich wurde ständig davon abgebracht. Meine Auseinandersetzung damit hat sich allerdings extrem vertieft, als ich erfuhr, dass sich der Krebs im Körper ausgebreitet hatte. Da hatte ich keine wahnsinnige Angst mehr vor dem Tod selbst. Ich hatte Angst davor, durch diesen Todesabschnitt des Lebens zu gehen.

Das Sterben hat dir keine Angst gemacht?
Genau. Ich habe ein paar psychedelische Erfahrungen unter spiritueller Anleitung gemacht – also nicht in einem Party-Umfeld – und das hat mir viel Angst vor dem Tod genommen. Diese Art der Behandlung eignet sich vielleicht nicht für alle, aber für mich persönlich war es so ziemlich das, was Menschen als die Auflösung des Egos beschreiben.

Außerdem musste ich vor etwa zwei Jahren mitansehen, wie eine gute Freundin an Krebs starb. Sie war von einer Menge piepender Maschinen umgeben und nicht zu Hause. Ehrlich gesagt macht mir das mehr Angst als der Augenblick des Todes selbst – es ist meine größte Angst. Die Diagnose, dass der Krebs gestreut hat, ist jetzt etwa ein halbes Jahr her und ich bin durch so viele Wellen verschiedener Erfahrungen gegangen – manche sehr positiv, andere sehr negativ.

Weil ich nicht in meinem Heimatland und bei meiner Familie lebe, hatte ich Angst, dass ich in fremde Hände gegeben werden würde. Meine Freunde und mein Umfeld haben mir aber gezeigt, wie falsch ich damit lag. Ich weiß nicht, wo ich jetzt ohne sie wäre. Ich habe immer Menschen gefunden, die sich um mich gekümmert haben. Es gibt so viele Tage, an denen mein ganzer Körper schmerzt, und es ist keine Kleinigkeit, jemanden mit einem Job zu fragen, die ganze Nacht mit mir wach zu bleiben, damit ich auf Toilette gehen, Wasser trinken oder meine Medikamente nehmen kann. Ich nahm das als große Belastung wahr, aber niemand von meinen Freundinnen und Freunden hat mir je das Gefühl gegeben, ich sei eine Belastung. Sie haben mich nie im Stich gelassen.

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Haben das ganze Nachdenken über den Tod und sein möglicherweise baldiges Eintreten deine Sicht aufs Leben verändert?
Viele kleine Dinge, über die ich mir immer Gedanken gemacht habe, sind ein bisschen weggefallen – mein Aussehen und bestimmte soziale Standards zum Beispiel. Es hat eine Menge Filter entfernt und ich bin viel authentischer mir selbst gegenüber. Ich sehe andere Leute nicht länger als Teil meines Selbstbilds. Dadurch fällt eine Menge unnötiges Leid weg. Wenn wir das Gefühl haben, dass man uns einer Sache beraubt hat, die wir haben sollten – etwas, das uns angeblich zusteht, weil andere es habe –, dann wird die Sache "ernst". Das Leben ist zu ernst, um es ernst zu nehmen.

Würdest du diese Einsicht als ein Gefühl größerer Klarheit beschreiben?
Absolut. Und das hat sich auf die Beziehung zu meiner Mutter und andere Menschen ausgewirkt, die eine andere Sicht auf das Leben und den Tod haben. Mir ist klar geworden, dass es nicht mein Job ist, dass sich irgendjemand gut fühlt. Mein Job ist es, ehrlich zu sein.

Welche Rolle spielt der Schmerz für dich im Leben? Verstehst du ihn als wichtigen Teil der menschlichen Erfahrung?
Das ist der perfekte Zeitpunkt für diese Frage, weil ich gerade erst zwei Wochen Schmerzen hinter mir habe. Ich habe meinen Verstand verloren. Es war nicht schön. Es war nicht die Art von Schmerz, die dir irgendwelche Erkenntnisse erlaubt.

Jemand meinte letztens zu mir, dass "Schmerz ein wunderbarer Lehrer ist, aber erst danach". Während dieses Schmerzes gab es keinen Zeitpunkt, an dem irgendwelche Meditation oder Affirmation funktioniert hätte, denn Schmerz bringt dich runter – runter bis auf die Wurzeln. Er tut das auf eine Art, die dir wahrhaft die Grenze zeigt, an der Körper und Seele zusammenkommen.

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Das ist auch meine Erfahrung: Schmerz engt dich ein und erlaubt dir keinen Raum für Perspektive und Offenheit.
Das Einzige, was mir geholfen hat, war, mich auf meine Atmung zu konzentrieren und nicht weiter zu kämpfen. Das hat dabei geholfen, ihm das Stechen zu nehmen, aber es ließ den Schmerz nicht verschwinden. Es linderte ihn nicht. Menschen betreiben eine Menge Gezerre und ich habe irgendwann gelernt, damit aufzuhören und die Erfahrung einfach zuzulassen. Die große Lektion für mich war, dass ich mich durch die Verdrängung des Schmerzes des Lebens beraube, das ich noch habe. Schmerz ist nämlich aktuell ein großer Teil meines Lebens, das lässt sich nicht verleugnen. Aber dieses Gezerre raubt mir jede Energie.

Die Krebsdiagnose hat dein Leben verändert. Erfordert eine echte Veränderung immer derartig enorme und folgenreiche Einschnitte?
Wir verändern uns, wenn uns etwas genommen wird, das uns unserer Meinung nach zusteht. Unsere Körper sind geliehen. Dieser Tag ist geliehen. Nichts bleibt. Und wenn wir mit dieser "Ich habe ein Recht darauf, ich verdiene das"-Einstellung leben, halten wir irgendwann an etwas fest, das uns nicht gehört oder das nicht länger da ist – und dann müssen wir uns ändern.

Hast du einen guten Ratschlag, wie man mit dem Leben klarkommt?
Es ist wichtig, sich mit Liebe zu umgeben. Wir sind Stammesgeschöpfe. Aber das ist nichts, das durch Verpflichtungen entsteht. Es entsteht dadurch, indem wir Beziehungen pflegen. Ich mache gerade die verrücktesten Behandlungsmethoden durch, die ich alleine nie hätte in Angriff nehmen können. Die Unterstützung und Liebe meines Stamms zu haben, bedeutet alles.

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