High das Sakrale gebären – Farce bricht mit euren Popvorstellungen
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Interview

High das Sakrale gebären – Farce bricht mit euren Popvorstellungen

Langsam haben wir den gesamten Roster von Futuresfuture abgedeckt, aber mit Farce holen sie sich einfach die nächste großartige Künstlerin.

Irgendwann im tiefsten Winter diesen Jahres fand sich ein Relikt der fast-digitalen Zeit auf meinem Schreibtisch: eine CD, auf welcher der viel zu lange Titel I ch sehe im vorbeifahrenden Auto den Unfall mitvorbeifahren in Zeitlupe und rückwärts prangerte . In weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund. Nicht catchy, nicht bunt und auffallend, kein Satz, der sofort Sinn ergibt. Interessiert war ich trotzdem oder sogar deswegen. Weil mein Laptop aber bereits in der Cloud lebt und keinen CD-Schlitz mehr hat, fragte ich bei Google, was es mit dem kryptischen Ding auf sich hatte.

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Stellte sich heraus, das Ding ist eine Debüt-EP und kommt von Farce alias Veronika König. Drückt man auf Play, wird man von Kirchenorgeln, schwermütigem Gesang, verzerrten Synthesizern und generell viel Lärm begrüßt. Die Beats schleppen sich durch die sechs Songs, werden oft aufs Minimalste reduziert, nur um dann in noch mehr Noise auszubrechen. Farce steht offensichtlich auf Verzerrer und das sakrale Thema taucht auch immer wieder auf (siehe "Silent Night"). Zusammengehalten wird alles von Veronikas Gesang, der Melodie in die Songs bringt und für Pop-verwöhnte Ohren eine der wenigen Komponenten darstellt, an denen man sich festhalten kann. Refrains gibt es nämlich auch keine. Ein mutiger Move, den beispielsweise alt-J auf Relaxer auch schon brachten, dort aber leider oft für Langeweile sorgten (Eh nicht alles. "3WW" ist super).

Gibt man der EP aber noch ein paar Durchgänge, wird man mit einem gefühlvollen, bombastischen Stück Musik belohnt, das auch ohne Repetition funktioniert. Die guten Leute von Futuresfuture haben das erkannt und Farce für ihr Debüt-Album gesignt. Langsam könnte man uns unterstellen, irgendeinen Deal mit dem Label zu haben, aber sie haben einfach wirklich ein Händchen für Musik, die wir spannend finden.

Also hab ich mich mit Veronika bei ihr zuhause getroffen, um ein bisschen was zu rauchen (wir haben übrigens den selben Dealer. Wien, du Dorf.), Musik zu hören und anschließend in eine Kirche zu gehen. Die Kirche hatte natürlich geschlossen, also haben wir das Foto draußen gemacht und über Veronikas Pop-Verständnis, ihren Bezug zu Religion und wie sie es schafft, bekifft Songs zu schreiben, geredet.

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Noisey: In deiner Musik hört man immer wieder kirchliche Themen oder Orgeln. Was ist deine Beziehung zu Religion?
Farce: Ich bin sehr lax, aber schon katholisch aufgewachsen. Ideologisch tatsächlich viel weniger als wegen der Rituale, also Kommunion und so. Aber ich bin sehr stark geprägt von Kirchenmusik. Ich liebe Orgeln. Das ist, glaube ich, das beste Instrument überhaupt.

Was machen Orgeln so spannend für dich?
Du musst dich einfach bekifft in den Stephansdom setzen und jemanden Orgel üben hören. Dann weißt du, was ich mein. Der Klang ist überall. Im Boden, in den Wänden. Wie das dann klingt, ist einfach pervers. Zu institutioneller Religion steh ich aber marxistisch gegenüber. Ich habe zu Religion per se keine positive, emotionale Beziehung.

Du kommst ja ursprünglich aus einem kleinen Dorf im Schwarzwald. Was hat dich nach Wien gezogen?
Es war der Plan B zu Glasgow. Glasgow war zu 80 Prozent sicher und dann ist es doch nichts geworden. Ich wollte aber auf keinen Fall in meinem Ort bleiben. Freunde von mir haben in Wien außderem schon studiert und ich war dann so: "OK, weißt du was, mir hat die Stadt so gut gefallen, let's do it."

Früher warst du ja in einer Hardcore-Band. Warum hast du aufgehört damit?
Im Grunde, weil ich aus Deutschland weggezogen bin. Und auch, weil sich mein Ex-Freund und ich dann wenig später getrennt haben. Wir haben zusammen die Band angefangen und ich wusste, dass ich nicht weiter in dem Projekt bleiben kann. Weil wir auch viel zu zweit daheim geschrieben haben.

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Und dann hast du dich entschieden, als Farce weiterzumachen?
Vor dem Umzug hab ich Garage Band bei mir am Laptop gesehen und mich da dran gesetzt. In Wien wollte ich dann weiter Musik machen, hab aber leider niemanden gefunden. Wenn ich eine Band hier geformt hätte, hätte ich wahrscheinlich sowas wie Godspeed You! Black Emperor, Post-Rock mit Geigen und Gitarren gemacht. Und ich wäre wahrscheinlich weiter an der Gitarre geblieben und hätte nicht gesungen – das hab ich auch nie in meinen anderen Bands. Aber ich hätte wahrscheinlich trotzdem an den selben Orten gespielt, wie dem Venster beispielsweise.

"Nicht jede Garageband ist der große Wurf. Es ist eh cool, aber dafür geh ich nicht aus dem Haus."

Also ist der Underground so und so dein Ding.
Je weniger ich daran teilnehme, desto mehr merke ich, wie viel Einheitsbrei es da gibt – wie viele Bands exakt das Gleiche machen. Und nicht jede Garageband ist der große Wurf. Es ist eh cool, aber dafür geh ich nicht aus dem Haus. Oh Gott, das klingt viel shadier, als es gemeint war. Es muss interessant sein und es gibt Bands, die interessant sind, aber einige machen immer noch Tough-Guy-Hardcore. Das muss sich, glaube ich, niemand mehr geben.

Deine Musik ist ja nicht unbedingt massentauglich, sag ich jetzt mal ganz unverfroren. Hast du schonmal mit dem Gedanken gespielt, aus dem Underground rauszugehen?
Ich habe tatsächlich die Vermutung, dass die Musik, zu der du auch meine zählst, gar nicht da hin muss, sondern es sich in den Mainstream ausweitet. Wenn ich mir große Popveröffentlichungen aus diesem Jahr anhöre, hör ich überall verzerrte Drums, verzerrte Bläser und Synths. So haben das auch Kanye und Bon Iver gemacht. Übelst verzerrte Drums und sowas. Inzwischen hört sich Lorde auch so an und in Sukzession hört sich Taylor Swift wie die endgültig kommerzialisierte Version davon an. Es passiert die ganze Zeit.

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"Der Mainstream war schon immer ein bisschen weird, aber es musste das richtige Weird zur richtigen Zeit sein."

Du glaubst also, dass der Mainstream noch mehr verweirdet wird?
Ja, der war auch mal viel weirder. Wenn ich mir so 90er- und 2000er-Videos anschaue von Sachen, die damals omnipräsent waren, war da ziemlich weirder Shit dabei.

Was zum Beispiel?
Zum Beispiel sowas wie Linkin Park. Dass sowas in so ein poppiges Licht gerückt wurde, ist crazy. Limp Bizkit, The Offspring, Nirvana oder Joy Division waren auch Mainstreambands. Der Mainstream war schon immer ein bisschen weird, aber es musste das richtige Weird zur richtigen Zeit sein.

Was macht für dich Pop aus?
Ich kann gar nicht mehr sagen, dass es eine bestimmte Art von Musik ist, die sich über Instrumentation, Klangästhetik oder sonst was definieren lässt. Es gab so viel, das mal Konjunktur hatte und als Pop galt. Ich glaube, es liegt viel mehr daran, ob das Produkt als Pop gehandelt wird oder nicht.

Gefällt dir der Gedanke, mal Bilderbuch-groß zu sein?
Ich denke nicht so weit, weil dann würd ich richtig viel Anxiety bekommen und sofort aufhören.

Deine Texte wirken sehr persönlich. Wie sieht dein Schreibprozess dabei aus?
Die Texte sind sehr persönlich. Wenn ich anders schreibe, kommt dabei nichts raus, mit dem ich zufrieden sein kann. Generell habe ich zu Lyrics ein schwieriges Verhältnis. Weil ich will, dass etwas da ist und ich will, dass es auch Inhalt hat, aber eigentlich ist mir das Instrumentale fast wichtiger.

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Aber du schreibst Lyrics hauptsächlich, weil dir nichts anderes übrig bleibt?
Voll. Manchmal will ich unbedingt und es passt ganz perfekt und manchmal ist es ein richtiger pain in the ass.

"Dort war ich voll konfrontiert damit, über was und wen die Songs gehen und musste nach der Show einfach weinen."

Deut ich das richtig, wenn's viel um Liebe in deinen Texten geht?
Nicht unbedingt, nein. Aber immer um Zwischenmenschliches.

Aber zumindest sind es Erinnerungen an Personen. Wie ist das für dich, wenn du die Sachen immer wieder live aufführst?
Es ist manchmal sehr scheiße, weil ich dann check, worüber ich das geschrieben. Da war offensichtlich etwas nicht in Ordnung. Oft denk ich mir, dass es eigentlich lächerlich ist, wie präzise es diese Situation beschreibt. Das hat mich auf der Tour auch richtig krass ereilt. Bei einem Gig war die Anlage nicht so Bombe, es gab keinen Subwoofer oder sonst was. Deswegen war ich voll konfrontiert damit, über was und wen die Songs gehen und musste nach der Show einfach weinen. Aber manchmal ist es auch erleuchtend und erleichternd.

Wir wechseln die Location und gehen zur Kirche, die leider verschlossen ist, setzen uns auf die Stiegen und zünden uns den restlichen Ofen an.

Schreibst du Songs, wenn du etwas geraucht hast?
Schon viel, ja. Ich mach meistens das Groundwork, wenn ich bekifft bin und am nächsten Tag ordne ´ichs, mach Vocals dazu und misch es. Genau so mach ich das mit meiner Uni-Arbeit. It works. Die Arbeit würde ich ja sowieso im Bett schreiben. Might as well be stoned for that.

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"Ich war irgendwann um vier Uhr morgens mit einem Kaffee und einem kleinen Joint auf bdsm.at und hab mich gefragt, ob es eine wissenschaftliche Quelle ist."

True.
Auch, weil sich viele Sachen bekifft viel leichter erschließen lassen. Ich hab auch eine Analyse von Im Keller in einer Nacht bekifft geschrieben, das war das Schlimmste. Ich war irgendwann um vier Uhr morgens mit einem Kaffee und einem kleinen Joint auf bdsm.at und hab mich gefragt, ob es eine wissenschaftliche Quelle ist. Hab's dann angegeben. Woher soll ich denn sonst eine Fußnote herkriegen, wenn ich über BDSM-Praktiken schreib? Ich bin dann um sieben oder acht fertig geworden, hab fertig geraucht und bin schlafen gegangen.

Find ich sympathisch, aber denkst du, dass du ohne Gras keine Songs mehr schreiben kannst?
Davor hatte ich schon Angst. Dann hab ich einen ganz nüchtern geschrieben und wusste, es geht eh. Mit den Seminararbeiten hab ich's auch so gemacht. Ich musste es mir selber beweisen, dass ich das kann und es hat geklappt. Aber es war eine richtige Quälerei währenddessen und ich dachte mir nur, ich mach das nie wieder, nur um es mir zu beweisen.

Dann noch viel Erfolg weiterhin! LG an den Chris.

Farce könnt ihr hier live sehen:

09.09.2017 Ternitz, Nitz Fest
30.09.2017 Wien, Fluc
12.10.2017 Berlin, Musik & Frieden*
13.10.2017 München, Sunny Red*
14.10.2017 Würzburg, Cairo*
15.10.2017 Sindelfingen, Dit is schade-Festival*
16.10.2017 Köln, MTC Cologne*
17.10.2017 Hamburg, Astra Stube* * mit I Salute

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