Schmuddelkram für Besserwichser: Wie "ethische Pornos" die Branche reinwaschen wollen

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Schmuddelkram für Besserwichser: Wie "ethische Pornos" die Branche reinwaschen wollen

Kritiker sehen in dem Label nicht mehr als eine Marketing-Taktik.

Schlechte Bezahlung, systematische Grenzüberschreitungen am Set und eine Zunahme riskanter Sexpraktiken, um auf dem übersättigten Markt noch herauszustechen. Stigmatisierung fürs Leben, gesundheitsgefährdende Praktiken hinter der Kamera, Missbrauchsvorwürfe und immer wieder die Frage: Sind Pornos nicht von Natur aus frauenfeindlich und ausbeuterisch?

Moral- und Ethikfragen sind für die Pornobranche nichts Neues. Seit etwa einem Jahrzehnt ist neben der Fraktion der kategorischen Pornogegner jedoch noch eine weitere kritische Strömung hinzugekommen. "Ethical Porn" lautet das Schlagwort, unter dem sich an "ethisch korrekten" Alternativen zu gängigen Produktions- aber auch Konsumpraktiken versucht wird. "Ethical Porn" ist das Fairtrade-Siegel der ErwachsenenunterhaltungSchmuddelkram für Besserwichser.

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Wer jedoch wissen will, was "ethisch korrekt" bei Pornos überhaupt bedeutet, merkt schnell, wie weit die Definitionen auseinandergehen – und das nicht nur zwischen Branchen In- und Outsidern. Deshalb hat jetzt eine Gruppe Menschen, die sich theoretisch und beruflich mit Pornos befasst, die Plattform ethical.porn ins Leben gerufen. Nicht nur soll sich dort einer Ethikdefinition angenähert werden, sondern endlich die Stimme derjenigen im Vordergrund stehen, die tatsächlich in der Sexindustrie arbeiten.


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Wenn Darsteller und Produzenten über Porno-Ethik sprechen, geht es um Themen wie Sicherheit am Arbeitsplatz, gegenseitiges Einvernehmen am Set, Transparenz und faire Bezahlung. Akademiker und Kulturkritiker hingegen sagen, dass Pornos nur ethisch sein können, wenn sie keine Vergewaltigungs- oder Zwangsszenarien darstellen, wenn sie ausdrücklich den erniedrigenden Ton und die Bildsprache traditioneller Pornos ablehnen oder bewusst unterschiedliche Körpertypen und sexuelle Erfahrungen zeigen, anstatt nur die Fantasien westlicher Männer zu bedienen.

"Wie die Szene am Ende aussieht, ist ein schlechter Indikator für die hinter den Kulissen herrschende Ethik."

Die ethical.porn-Crew ärgert sich über Ethikdefinitionen, die bestimmte Sexualpraktiken aus Pornos ausschließen. Kritiker aus diesem Lager "versuchen oft, selbst zu definieren, was 'korrekte' Formen sexuellen Ausdrucks sind", schreiben mir die Plattformbetreiber per E-Mail. "Dabei stützen sie sich auf beschränkte und verklemmte Vorstellungen davon, was Sex 'zu sein hat'". Vermeintliche Tabu-Fantasien oder wildere Sexspielarten könne das besonders hart treffen. Diese muten für Außenstehende vielleicht entwürdigend an, können aber sicher und vor allem gerne von damit einverstandenen Darstellerinnen und Darstellern durchgeführt werden. "Wie die Szene am Ende aussieht, ist ein schlechter Indikator für die hinter den Kulissen herrschende Ethik", sagt Jiz Lee, Darstellerin und Produzentin bei den queer-feministischen Pink and White Studios, die ebenfalls bei ethical.porn aktiv ist.

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"Zu oft ist es bei Pornodebatten so, dass die einzigen Stimmen, die wirklich Gewicht haben, von Outsidern kommen", sagt Lee. "Therapeuten, Autoren und Akademiker, die alle nie in dem Bereich gearbeitet haben." So auch der meistbeachtete Beitrag des letzten Jahres, das Buch Ethical Porn for Dicks: A Man's Guide to Responsible Viewing Pleasure. Es stammt vom Psychologen David Ley und setzt sich vor allem mit den Konsumenten auseinander.

Das von ethical.porn abgesteckte Gebiet ist weitläufiger. Es geht um Einvernehmen, Transparenz, Sicherheit und die Einhaltung der wenigen existierenden Industrie-Standards wie die Model Bill of Rights des Adult Performer Committees. Man wolle allerdings keine autoritäre Stimme der Industrie darstellen. Die Seite diene lediglich als Plattform für die Auseinandersetzung mit Ethik in Pornos.

Welche Verantwortung tragen die Studios, welche die Darsteller?

Und Diskussionsbedarf ist definitiv vorhanden. Die Branche selbst versichert immer wieder, dass die bestehenden Sicherheitsvorkehrungen und Regelungen robust seien. Aber gegenseitiges Einvernehmen und Freiwilligkeit zu kontrollieren, ist schwierig. Selbst Studios wie Kink.com, die sich damit brüsten, die Szenen gemeinsam mit den Darstellern zu planen und den Beteiligten die Option zu geben, einen Dreh jederzeit abzubrechen, sind in der Vergangenheit heftig von Darstellerinnen kritisiert worden, weil Handlungen am Set zu weit gegangen seien.

Wenn Darstellerinnen am Set mehr mitmachen, als sie eigentlich wollen, kann das viele Gründe haben. Vielleicht fühlten sie sich von Kräften außerhalb des Sets zu etwas überredet oder haben etwas ausprobiert, auf das sie nicht wirklich vorbereitet waren. Vielleicht haben sie sich aber auch nicht frei genug gefühlt, um den Dreh tatsächlich abbrechen zu können. Damit wären wir auch bei den Argumenten der Soziologieprofessorin, Feministin und Pornogegnerin Gail Dines. Sie sagt, dass zu Einvernehmen mehr gehört, als einfach nur zu jeder Handlung immer wieder Ja zu sagen.

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Ihr zufolge setzt ethisch korrektes Einvernehmen voraus, dass die Darsteller unter keinerlei ökonomischen oder sozialen Zwängen stehen – also zum Beispiel keine Doppelpenetration machen, weil sie mit einer einfachen Szene gerade ihre Miete nicht bezahlen können. Pornodarsteller müssten auch die Risiken und Verpflichtungen umfassend verstehen, die sie mit ihrer Arbeit eingehen. Dazu gehört auch zu akzeptieren, dass die Szenen wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit im Netz umhergeistern werden und das Potential haben, ihr Leben für immer zu verändern.

Unter den Darstellern, Regisseuren und Produzenten selbst dürften jedoch nur ganz wenige ein ähnlich negatives und risikobehaftetes Bild von ihrer Branche haben. Trotzdem sind auch dort viele der Meinung, dass das Konsensprinzip überarbeitet werden muss. Darstellerinnen sollten ein prinzipielles Mitspracherecht bei der Konzeption und Produktion einer Szene haben, anstatt nur willige Statistin in der Fantasie eines anderen zu sein, lautet eine der Forderungen.

Ist "Ethical Porn" doch nur eine PR-Maßnahme?

Ethical.porn hat das Potenzial, ein wertvolles Branchenforum zu werden, in dem Insider die Grenzen der eigenen Ethik definieren können. Außenseiter könnten durch die Inhalte der Seite einen besseren Eindruck davon bekommen, wie ernst Ethik hinter und vor der Kamera tatsächlich genommen wird und wie das zu den eigenen Werten passt, die man als Zuschauer hat.

Skeptikerinnen wie Gail Dines allerdings sehen in "Ethical Porn" nicht viel mehr als einen Marketingstunt, der den Konsumenten ihr schlechtes Gewissen nehmen soll. Wenn man hinter einem Produkt stehe, sei man auch eher dazu bereit, Geld dafür auf den Tisch zu legen – selbst wenn das Internet voll mit kostenlosen Filmchen ist. Und natürlich bestehen die allermeisten Akteure von ethical.porn darauf, dass Konsumenten ethisch korrekte Inhalte finanziell entsprechend unterstützen müssen. Für Dines ist die Branche aber dermaßen korrumpiert und miteinander verflochten, dass jeder ernstzunehmende Ethikansatz zum Scheitern verurteilt sei. Sie versteht das Projekt vor allem als Ablenkungsmanöver. Es solle dafür sorgen, dass Menschen eine oberflächlich ethische Pornografie feiern.

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Branchen-Insider tun Einwände wie von Dines oft mit der Begründung ab, dass sie von den tatsächlichen Abläufen bei Pornodrehs keine Ahnung hätten. Sie würden sich Negativberichte rauspicken, die eine bestimmte Ideologie bestätigen. "Unsere Hoffnung ist", schrieb mir das ehtical.porn-Team, "dass diese Menschen sich auch über andere Betrachtungsweisen informieren."

"Es mangelt an Porno-Bildung" – Jiz Lee

Ob das Label "Ethical Porn" jetzt der gutgemeinte Versuch ist, eine Branche zu regulieren, oder doch ein Schlupfloch, um den geschätzten Zuschauern ihre Schuldgefühle zu nehmen, bleibt offen. Fest steht allerdings, dass die Seite ein Sammelbecken für verschiedene Auffassungen von Ethik in Pornos ist. Das ist eine wertvolle Ressource für alle – von Dines bis hin zum Gelegenheitskonsumenten.

Für die Konsumenten, also uns, könnte dieses Thema ein paar ernsthafte Gedanken über das eigene Ethikverständnis heraufbeschwören. Es könnte uns dazu zwingen, das System der Pornoproduktion kritischer und nuancierter zu betrachten – genau so, wie wir das bereits zunehmend in anderen Branchen wie Schmuck, Landwirtschaft oder Fleisch tun.

"Es mangelt an Porno-Bildung, wie ich das immer nenne. Das hindert Konsumenten und Medien an einem Dialog über Pornografie", sagt Lee. "Projekte wie ethical.porn füllen diese Lücken und erweitern unser Grundwissen."

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