"Ich hoffe, du wirst wieder vergewaltigt": Der Alltag einer Sportreporterin
Illustration by Eleanor Doughty

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Feminisme

"Ich hoffe, du wirst wieder vergewaltigt": Der Alltag einer Sportreporterin

Sexuelle Belästigung und Morddrohungen gehören für Sportjournalistinnen nach wie vor zum beruflichen Alltag—vor allem, wenn sie sich gegen Gewalt und Sexismus einsetzen.

In einem Beitrag für das amerikanische öffentlich-rechtliche Fernsehen haben die Sportjournalistinnen Sarah Spain und Julie Dicaro in diesem Jahr das beliebte Format aus der Show von Jimmy Kimmel nachgemacht, in dem Prominente vor laufender Kamera an sie adressierte, gemeine Tweets vorlesen. In dem Kurzfilm von Spain und Dicaro werden ihnen die Tweets allerdings von Männern vorgelesen, die den anonymen Stimmen aus dem Netz ein Gesicht geben sollen. „Ich hoffe, du wirst wieder vergewaltigt", heißt es in einem. „Ich hoffe, dein Freund schlägt dich", heißt es in einem anderen. „Man sollte dir mit einem Hockeypuck den Schädel einschlagen", lautet ein Dritter. Die Männer haben sichtliche Schwierigkeiten damit, all diese Kommentare laut auszusprechen und wenn sie einen besonders bösartigen Kommentar vorlesen müssen, entschuldigen sie sich hastig.

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Spain, die für den amerikanischen Fernsehsender ESPN arbeitet, ist eine der bekanntesten Sportreporterinnen der Branche. Genau wie viele andere Frauen, die in einer traditionell männerdominierten Branche bekannt geworden sind, wird auch Spain immer wieder zum Ziel von Hasskommentaren, in denen ihr Männer mit sexueller oder körperlicher Gewalt drohen. „Selbst Männer aus der Branche sperren sich zum Teil so sehr gegen diese Veränderung, wie man es eigentlich nur von irgendwelchen Idioten erwarten würde, die kein eigenes Leben haben", erklärte sie Broadly vergangenes Wochenende bei dem jährlichen Treffen von espnW im St. Regis-Resort in Südkalifornien, wo sie mehrere Diskussionsforen moderiert hat—unter anderem auch eins über die anhaltende Diskriminierung von Sportreporterinnen.

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Es geht dabei allerdings nicht nur um anonyme Twitter-Kommentare und die regelmäßigen Besucher der Kommentarspalten, sagt Spain und sieht zu Jessica Mendoza, einer olympischen Goldmedaillengewinnerin und Ikone des Sportjournalismus, die nach ihrem Auftritt als Sprecherin bei einer Diskussionsrunde gemeinsam mit uns im Konferenzraum sitzt. Mendoza ist eine ehemalige Spitzenathletin, die als die erste weibliche Sportkommentatorin, die große Spiele der amerikanischen Baseball-Liga auf ESPN kommentiert hat, in die Geschichte einging. Mendoza, sagt Spain, wurde zu Beginn ihrer Karriere als Baseballkommentatorin von einem Mann attackiert, der im Gegensatz zu all den anderen Hasskommentatoren „nicht nur irgendein komischer Troll war." Er, der Moderator einer großen Sportradiosendung, sagte öffentlich: „Wieso redet Tits McGee im Fernsehen über Baseball?"

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„Über manche Kommentare kann man nur lachen, weil sie einfach nur dumm sind", sagt Mendoza. Sie muss zugeben, dass sie den Großteil der Hasskommentare, die sie bekommt, überhaupt nicht ernst nimmt. „Einige sind allerdings ernstzunehmen", sagt sie. „Es gab auch schon Zeiten, da wollten mir Leute wirklich etwas antun."

Spain sagt, dass viele Menschen glauben, man müsse sich als Person des öffentlichen Lebens im 21. Jahrhundert damit abfinden, beleidigt zu werden. Laut ihr sind die Drohungen, die gegenüber Sportreporterinnen ausgesprochen werden, allerdings besonders heftig—auch deshalb, weil sie aus einer Kultur kommen, in der Gewalt gegen Frauen noch immer ein sehr reales Thema ist.

Es war ein Weckruf. Mir war bis dahin nicht wirklich klar, dass ich einen solchen Einfluss auf diese verletzlichen Männer hatte.

„Frauen leben mit der ständigen impliziten Bedrohung, dass ihnen jemand Gewalt antut", sagt Spain, die nicht glaubt, dass man Hasskommentare im Internet einfach ignorieren sollte. „Wenn man damit droht, einen zu vergewaltigen, ist das noch mal ein ganz anderes Level."

Kavitha Davidson ist ebenfalls als Sportreporterin tätig und sagt, dass sie ernstzunehmende Morddrohungen bekommen hat, als sie noch nicht einmal ein Jahr bei Bloomberg gearbeitet hat. „Ich war es gewohnt, Kommentare wie ‚Kavitha ist fett' oder ‚Kavitha ist hässlich' zu bekommen. Aber das war das erste, was mir wirklich richtig Angst gemacht hat", sagt Davidson.

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Im Herbst 2014, erzählt Davidson, hat sie über die jüngsten Entwicklungen in einem Fall von Kindesmissbrauch an der Penn State University berichtet, bei dem mindestens zehn Jungen über einen Zeitraum von über 15 Jahren von ihrem Trainer Jerry Sandusky missbraucht wurden. Davidson kommentierte die Entscheidung der NCAA—ein Verband, über den zahlreiche Sportprogramme an Colleges und Universitäten in den USA organisiert werden—, die Auflagen gegen das Football-Programm der Penn State schon zwei Jahre nach dem Skandal um die Vertuschung des Missbrauchs wieder aufzuheben.

„Das Ziel der Sanktionen gegen die Penn State ging weit über die ordnungsmäßige Bestrafung eines schrecklichen Verbrechens hinaus", argumentiert sie in ihrem Artikel. „Es sollte eine grundlegende Veränderung herbeigeführt werden, um nicht länger eine Kultur zu fördern, die bereit ist, im Namen des Footballs wegzusehen und damit zulässt, dass es zu so einem Verbrechen kommt." Allerdings, beklagt Davidson, hat sich an dieser Kultur an der Penn State nichts verändert. Sie merkt auch an, dass einige Fans noch immer hinter den Verantwortlichen der Universität stehen, die zugelassen haben, dass der Missbrauch über Jahre unentdeckt blieb. „Lasst nicht zu, dass uns der Sport über die Missbrauchsopfer hinwegsehen lässt, so wie die Universität und die Stadt lange Zeit über sie hinweggesehen haben", schrieb sie.

Es gab auch schon Zeiten, da wollten mir Leute wirklich etwas antun.

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Davidson bekam daraufhin immer mehr feindselige Tweets—insbesondere nachdem jemand in einem Forum für Universitätsabsolventen der Penn State etwas über sie postete. „Eine Person tweetete: ‚Ich hoffe, Kavitha wird heute auf dem Weg von der Arbeit nach Hause vergewaltigt'", sagt Davidson. „Dann postete er einen Screenshot von Google-Maps, auf dem die Adresse der Bloomberg-Büros markiert war." Davidson bekam zur Sicherheit vorübergehend Personenschutz.

Auf lange Sicht, meint Davidson, haben sie diese Erfahrung und andere Drohungen nur noch mehr dazu ermutigt, über gewisse Probleme zu berichten—damals wünschte sie sich allerdings, ihre Arbeit würde weniger Aufmerksamkeit erregen. Das ist bedauerlich, sagt sie, denn als Journalistin wolle man ja eigentlich etwas bewegen und von so vielen Menschen wie möglich gelesen werden. „Mich hat überrascht, wie sehr sich diese Gruppe organisiert hat. Es war eine Art Weckruf: Mir war bis dahin nicht wirklich klar, dass ich einen solchen Einfluss auf diese verletzlichen Männer hatte."

Dass gerade Sportfans das traditionelle Bild von Männlichkeit verteidigen, macht durchaus Sinn, so der Psychologe Andrew Smiler, der auf Männer und Männlichkeit spezialisiert ist. In einem Interview mit Broadly erklärt Smiler, dass Sport schon immer eine Festung der Männlichkeit war. Die Rolle, die der Sport beim Erhalt der Männlichkeit spielt, hat „über die letzten Jahrzehnte allerdings immer mehr an Bedeutung gewonnen, weil handwerkliche Berufe, in der typisch männliche Merkmale wie körperliche Kraft und Ausdauer eine wichtige Rolle gespielt haben, eine immer geringere Rolle in unserer Gesellschaft spielen. Stattdessen gibt es immer mehr Jobs in der Dienstleistungsbranche und der Digitalwirtschaft, bei denen mehr Wert auf zwischenmenschliche Fähigkeiten gelegt wird und die dadurch auch sehr viel gleichberechtigter sind."

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Die meisten Männer haben kein Problem mit Frauen, sagt Smiler, aber „es gibt eine Teilgruppe von Männern, die eine Abneigung gegen (die meisten) Frauen oder sogar Angst vor ihnen hat. Der Großteil dieser Männer hat keine weiblichen Freunde oder Bekannte, obwohl die meisten von ihnen eine Freundin haben."

Genau wie Davidson berichtet auch Spain neben sportlichen Ereignissen vor allem von den kulturellen Problemen, die damit in Verbindung stehen: Geschlechterrollen, Rassismus und sexuelle Gewalt; Anders als Mendoza, die hauptsächlich als Sportkommentatorin tätig ist. Spain glaubt, dass dieser Unterschied dazu führt, dass sie und andere Sportjournalistinnen, die über ähnliche Themen berichten, noch stärker zum Ziel von offenen Drohungen oder belästigenden Kommentaren werden. „Wenn ich über häusliche Gewalt wie im Fall von Aroldis Chapmans oder sexuellen Missbrauch wie im Fall von Patrick Kane berichte—oder jedes andere Thema, beim dem es im Grunde um das Verhältnis zwischen Männern und Frauen geht—, bekomme ich in der Regel die meisten Hasskommentare", erklärt Spain.

Spain sieht den Grund dafür, dass sich einige Männer so sehr dagegen sträuben, dass Frauen mit der entsprechenden Autorität über Probleme wie Rassismus und Sexismus im Sport sprechen, darin, dass sie „andere Männer und ihre sportlichen Vorbilder schützen wollen—ungeachtet aller Fakten und Beweise." Sie verweist auch auf „die vielen Leute, die keine Mühen gescheut haben, [den amerikanischen Footballer] Ray Rice zu verteidigen", nachdem Überwachungsbilder von ihm aufgetaucht waren, die zeigten, wie er seine bewusstlose Verlobte aus dem Fahrstuhl zerrte.

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Als ein zweites Video auftauchte, dass ganz klar zeigte, wie Rice seine Verlobte wenige Sekunden zuvor im Inneren des Fahrstuhls bewusstlos geschlagen hat, verstummten die Kritiker. Spain sagt, dass viele Leute dazu neigen, Gewaltvorwürfe gegen Männer zu leugnen, wenn sie nicht durch Videos belegt werden können. Das geht soweit, dass für einige Sportfans „sogar der Versuch, beiden Parteien in Fällen häuslicher Gewalt oder von Vergewaltigungen zur Sprache kommen zu lassen, als Schuldprojektion ausgelegt wird."

„Es geht darum, dass man in einen Bereich eindringt, den sie sonst für sich allein hatten", sagt Davidson. Wenn Frauen die Bühne des Sportjournalismus betreten, sagt sie, fühlen sich Männer, die es nicht gewohnt sind, ihr geliebtes Hobby mit Menschen zu teilen, die nicht ihr Geschlecht oder ihre sexuelle Ausrichtung teilen, „bedroht" und haben Angst, „man würde ihnen ihre Fankultur wegnehmen."

Wenn man Dinge sachkundig und informiert hinterfragt, reagieren die meisten Menschen erst einmal mit Ablehnung.

Natürlich existiert dieses Problem nicht nur im Sport, sondern in praktisch jedem Bereich—von der Finanzbranche über die Technikindustrie bis hin zur Wissenschaft. Davidson ist der Meinung, dass die Drohungen, die sie und ihre Kolleginnen bekommen, eine kulturelle Reaktion auf die progressiven Veränderungen darstellen, die die Gleichstellung von Frauen, LGBTQ und farbigen Menschen immer weiter voranbringen. „Sie haben Probleme damit, dass ihre Ansichten kritisiert werden, weil sie lange Zeit der Norm entsprachen."

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„Wenn man als Journalistin ein gewisses Ansehen hat, dann ist das mit einem entsprechenden Maß an Autorität verbunden—das ist unser Job. Es ist unser Job, über gewisse Themen eben einfach alles zu wissen. Wenn man Dinge sachkundig und informiert hinterfragt, reagieren die meisten Menschen allerdings erst einmal mit Ablehnung." Davidson sagt auch, dass jeder eine eigene Meinung haben kann, „aber ist es mein Job, mehr zu wissen als du."

Die Art der Drohungen, die gegen Sportjournalistinnen gerichtet sind, hat große Unternehmen wie ESPN dazu angespornt, interne Sicherheitsmaßnahmen einzuführen beziehungsweise zu verstärken. Bei Bloomberg hat Davidson Zugang zu Personenschutz, wenn sie Drohungen erhält, die als glaubwürdig eingestuft werden. Außerdem, sagt sie, gibt es bei ESPN eine globale Sicherheitseinheit, deren Aufgabe es ist, Drohungen gegen Angestellte zu beobachten, ihnen gegebenenfalls nachzugehen und entsprechend zu reagieren.

Davidson ist froh, für ein Unternehmen zu arbeiten, dass Drohungen ernst nimmt und auch die Mittel hat, um Frauen, die ins Visier geraten, zu schützen. Sie hat allerdings auch schon mit anderen Frauen aus der Branche gesprochen, die für Unternehmen arbeiten, die keine solchen Maßnahmen ergreifen. „Sie sind im Prinzip vollkommen auf sich allein gestellt."

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Natürlich kann man den Frauen in der Branche Personenschutz geben und natürlich können sich Sportreporterinnen zusammentun, um sich gegen derartige Drohungen auszusprechen, aber die eigentliche Lösung liegt höchstwahrscheinlich (zumindest teilweise) in der Verantwortung der Männer. Smiler sagt, dass „sich die Definition von Männlichkeit ändern muss: Sie muss Mitgefühl statt Gewaltbereitschaft fördern, dem andauernden Wettbewerb (in sämtlichen Lebensbereichen) ein Ende setzen und aufhören, ein extremes Bild von Unabhängigkeit hervorzuheben." Er meint, dass Männer von klein auf beigebracht bekommen, „sich nicht in Mädchen und Frauen einzufühlen" und sich bewusst von ihnen abzugrenzen—wie zum Beispiel „wenn Jungs gesagt kriegen, dass sie nicht ‚wie ein Mädchen' werfen sollen beziehungsweise gar nichts so tun sollen wie Mädchen. Jungs wird unentwegt der Eindruck vermittelt, dass es nicht schlimmeres gibt, als ein Mädchen, eine Pussy oder Waschlappen genannt zu werden."

Davidson vermutet, dass die Lösung mit der Inklusion sowie mit der Darstellung und Sichtbarkeit von Diversität zu tun hat. „Je mehr man mit gesellschaftlichen Gruppen zu tun hat, über die man sich eine Meinung bildet, desto informierter ist die Meinung."

„Wenn diese Lebensbereiche inklusiver werden, erfordert das auch ein höheres Maß an Empathie", sagt sie. „Das sollte eigentlich gar nicht notwendig sein, aber die Wirklichkeit sieht nun mal leider anders aus."