„Ich bin pädophil und seitdem ich mir dessen bewusst bin, wird mir von der Gesellschaft erklärt, dass ich ein ekelhaftes, schmutziges und moralisch verdorbenes Monster bin, das nichts anderes als eine Kugel verdient hat.”
Kommentare wie dieses Outing bilden den Kern einer aktuellen Reddit-Debatte über Pädophile und den adäquaten gesellschaftlichen Umgang mit ihrer Krankheit. Seit dem späten Montagabend haben sich in dem bisher knapp 5000 Beiträge umfassenden Strang mehrere Redditor anonym geoutet, pädophil zu sein, und aus ihrer Lebens- und Gedankenwelt berichtet.
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Viele sprechen von ihrer gesellschaftlichen Stigmatisierung und verfallen teilweise in einen gefährlichen Relativismus
„Der größte Kampf meines Lebens war es, mich selbst zu überzeugen, dass ich kein Monster bin. Ich hätte diesen Kampf viele Male fast verloren. Aber jedes Mal wenn ich beschlossen hatte, mich umzubringen, zog ich es doch nicht durch, weil ich meine Familie nicht ohne eine ehrliche Erklärung zurücklassen konnte. Und ich kann diese Welt einfach nicht mit dem Wissen verlassen, dass jeder, den ich liebe, mich für ein Monster hält. Deswegen bin ich hier.”
Auf die Aussagen der Pädophilen, die vor allem von ihrer gesellschaftlichen Stigmatisierung sprechen und dabei teilweise in einen gefährlichen Relativismus verfallen, der sie als Opfer umdeutet, antworten viele der Redditor besonnen, und benennen Pädophilie als das, was es ist: Eine psychische Störung, die unbedingt erkannt und behandelt werden sollte, um den tatsächlichen Opfern potentieller Übergriffe schreckliches Leid und lebenslange Traumata zu ersparen.
Nicht jeder Pädophile wird zum Kinderschänder
Die Debatte dreht sich dabei auch um die Unterscheidung von Pädophilen und Kinderschändern, die bereits übergriffig geworden sind. Viele Redditor empfehlen jedem, der eine pädophile Neigung bei sich bemerkt, sich unbedingt sofort in eine Behandlung zu begeben, um damit pädophile Übergriffe noch verhindern zu können. Wenn unsere Gesellschaft ein effektiveres Aufklärungs- und Therapierungssystem etablieren könnte, so die Hoffnung der Redditor, dann ließen sich viele tatsächliche Straftaten verhindern.
User pedoseverywhere, von dem die oben stehenden Zitate stammen, erklärt, er habe sich den Reddit-Account extra zugelegt, um im Schutz der Online-Anonymität offen darüber sprechen zu können, „wie es ist, ein Pädophiler zu sein”. Seinen etwas irritierenden Usernamen habe er gewählt, weil er tatsächlich glaube, „Pädophile [seien] überall”.
„Ich denke, wir bleiben einfach alle im Verborgenen, denn wenn wir ‘rauskommen’ und Hilfe suchen, riskieren wir, verhaftet zu werden und alles und jeden, der uns etwas bedeutet, zu verlieren.”
„Deutschland ermutigt Pädophile, sich für eine vertrauliche Behandlung anzumelden, sogar wenn sie schon ein Kind missbraucht haben—und die Ärzte begrüßen das als Erfolg.”
In der Tat ist es in vielen Ländern für Pädophile nahezu unmöglich, mit jemandem über ihre problematische sexuelle Neigung zu sprechen und Hilfe zu suchen. Denn neben der gesellschaftlichen Ächtung müssen sie vor allem auch konkrete strafrechtliche Konsequenzen fürchten.
In England beispielsweise wurde die ärztliche Schweigepflicht bei pädophilen Patienten abgeschafft—viel mehr sind die Ärzte hier verpflichtet, einen sexuell auf Kinder übergriffig gewordenen Pädophilen umgehend anzuzeigen. In Deutschland wird in einem solchen Fall dagegen keine Ausnahme von der ärztlichen Schweigepflicht gemacht. Genau diese Tatsache war der Stein des Anstoßes für die aktuelle Reddit-Diskussion.
User Vranak hatte einen Artikel der BBC News über das deutsche Präventionsprojekt für Pädophile Kein Täter werden gepostet. Das anonyme Therapieangebot der Berliner Charite bietet seine Hilfe ausdrücklich auch bereits straffällig gewordenen Pädophilen an.
Während die BBC sich auf behutsame Weise positiv zur Arbeit des Projekts äußerte, versah Vranak seinen Reddit-Post des Artikels mit der meinungsmachenden Überschrift: „Deutschland ermutigt Pädophile, sich für eine vertrauliche Behandlung anzumelden, sogar wenn sie schon ein Kind missbraucht haben—und die Ärzte begrüßen das als Erfolg.”
Er scheint mit dieser Grenzziehung auf einen breiten Konsens zu stoßen: Pädophilen helfen? Na gut, geht gerade noch. Kinderschändern helfen? Niemals!
Und so findet sich unter den Coming-Outs der pädophilen Reddituser auch niemand, der einen Kindesmissbrauch gebeichtet hat. Viel mehr ist es den sich offenbarenden Pädophilen äußerst wichtig, nicht mit verurteilten bzw. aktiv übergriffigen Kinderschändern in einen Topf geschmissen zu werden.
So schreibt ein User, der seinen Account mittlerweile bereits wieder gelöscht hat:
„Es ist sehr schwierig für mich, das zuzugeben, sogar in der Anonymität von Reddit, aber ich habe pädophile Triebe. Ich habe diesen Trieben niemals nachgegeben und werde es auch nicht, aber die Tatsache, dass ich sie habe, zerreisst mich innerlich, weil ich sie nicht haben möchte. […]
Ich hasse es, dass die generelle Wahrnehmung lautet: Pädophiler = Kinderschänder. Während ich Kinder sexuell anziehend finde, bin ich selbstbewusst genug, um zu wissen, dass diese Triebe unangebracht und moralisch falsch sind.”
Während vereinzelt üble Hasstiraden auf die sich Outenden abgefeuert wurden—und das ist bei einem derart kontroversen Thema wohl kaum überraschend—reagierte ein Großteil der Reddit-Community tatsächlich unterstützend und konstruktiv. Manche Redditor gaben medizinische Erklärungen der Pädophilie als psychischer Störung bzw. Störung der Sexualpreferenz, andere berichteten über aktuelle Forschungsprojekte oder verwiesen auf Online-Hilfsangebote wie virped.org.
So erklärt der anonyme Nutzer in seinem letzten Beitrag: „Ich hätte nie erwartet, derart viel Aufmerksamkeit zu bekommen, aber ich bin dankbar, dass sie überwiegend positiv ist.[…] Jetzt, wo die Reaktionen abklingen, lösche ich meinen Account mit dem Wissen, dass dies trotz der emotionalen Achterbahnfahrt die beste Erfahrung war, die ich je auf Reddit gemacht habe. Ich denke, ich habe einiges an Wissen und Verständnis gewonnen, mit dem ich in der Lage sein werde, mir bei meinen Problemen selbst helfen zu können. Und ich habe von anderen erfahren, dass ihnen mein Geständnis und die Diskussion geholfen haben.”
Das Reddit-Universum hat also im Kleinen die gesellschaftlich wichtige Debatte um Pädophilie so geführt, wie es auch in einem größeren Rahmen in Medien und Öffentlichkeit wünschenswert wäre.
Nur an die Frage, was denn nun mit Menschen gemacht werden soll, die sich bereits an Kinder vergangen haben, trauen sich auch die Redditor nicht so richtig heran. Über juristische Fragen des Strafmaßes oder das kontroverse Thema der Resozialisierung von Straftätern wird in dem Reddit-Thread nicht diskutiert.
Anna Konrad, Sexologin und klinische Psychologin an der Charité, findet gegenüber der BBC hierzu allerdings recht deutliche Worte. Sie ist sich sicher, dass jeder nach seiner Haft eine gute Therapie verdient hat: „Wenn er [ein Täter] zu uns kommt und sagt: ‘Ich habe in der Vergangenheit etwas Illegales getan und möchte es nicht noch ein mal tun’, was normalerweise der Fall ist, dann können wir ihm helfen, ein selbstregulierendes Verhalten zu erlernen, damit er es nicht wieder tut.”
Leidest du unter pädophilen Neigungen und hast Angst, straffällig zu werden? Es gibt Hilfe. Pädophilie ist eine behandelbare psychische Störung. Kostenlose und anonyme Therapien bietet zum Beispiel das bundesweite Projekt „Kein Täter werden”. Eine Übersicht aller Standorte inklusive Kontaktdaten findest du hier.