Von Savas bis Kanye: Wie Melbeatz als Produzentin Deutschrap revolutionierte
Mel und DJ Desue | Foto mit freundlicher Genehmigung von Melbeatz

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Musik

Von Savas bis Kanye: Wie Melbeatz als Produzentin Deutschrap revolutionierte

Es gibt nur wenige Frauen in der deutschen Rapszene – und keine wie Melbeatz. Vor ihrer Musikkarriere machte sich die Berlinerin als Graffiti-Sprüherin einen Namen und behauptete sich somit gleich zweifach in einer männerdominierten Szene.

Rückblende ins Jahr 2000: Das HipHop-Format Fett MTV sendet einen Beitrag über Kool Savas und seine Crew MOR. In einer Szene stellt Kool Savas seine Crew vor: Unter all den Jungs mit Namen wie Fuat, Ronald McDonald, Justus Jonas und Jack Orsen tummelt sich auch eine Frau. Es ist Melbeatz, die Produzentin und Freundin von Kool Savas. Dass Melbeatz Seite an Seite mit der Westberliner Untergrundgarde steht, ist dabei keine Selbstverständlichkeit. Rap ist schon damals ein männerdominiertes Genre.

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Die Rapperinnen, die es zu Respekt und Akzeptanz gebracht haben, kann man mit Cora E., Fiva MC, Pyranja, Schwesta Ewa und zuletzt Haiyti aka Robbery an einer Hand abzählen. Als weibliche Produzentin nimmt Melbeatz schon allein deshalb eine Sonderstellung in der Szene ein—möchte man meinen. „Ich hatte in der Szene nie Probleme weil ich eine Frau bin", erklärt Melbeatz beim Interview in ihrer Wohnung nahe dem Berliner Ostbahnhof. „Die Leute waren eher neugierig, was ein Mädchen so für Beats macht."

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Geboren wird Melbeatz 1977 als Melanie Wilhelm in West-Berlin. Nach der musikalischen Früherziehung durch die Formel 1-Musikkassetten ihrer Eltern und die ersten musikalischen Gehversuchen auf einem Mini-Keyboard, kommt sie 1988 dank „Push It" von Salt-N-Pepa das erste Mal mit HipHop in Kontakt—richtig los geht es aber erst ein paar Jahre später mit einem Mixtape vom großen Bruder ihrer besten Freundin, auf dem Grandmaster Flash und Ice-T zu hören sind.

Als Melbeatz vom Gymnasium auf die Realschule wechselt, kommt sie nicht nur mit Rap, sondern auch mit Graffiti in Berührung. Der Freund ihrer besten Freundin nennt sich ‚Stone' und ist ein bekannter Writer in Berlin. Die beiden Freundinnen fangen auch damit an, ihre Tags—Mel und Danone—in Berlin zu verbreiten. „Als 13-jähriges Mädchen wirkt man noch nicht ganz so verdächtig, also konnten wir überall ungestört taggen", erinnert Melbeatz sich. Nach und nach bomben die Freundinnen ganz Berlin, bis irgendwann jeder die Tags von Mel und Danone kennt. Kurz darauf gründen beide ihre erste eigene Crew mit dem Namen KingSizeBandits, kurz KSB.

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Wenn einer ‚Halt die Fresse!' gesagt hat, habe ich eben mit ‚Verpiss dich, halt du doch die Fresse!' geantwortet.

Ungewöhnlich, denn auch in der Graffitiszene sind Frauen damals eine Seltenheit. Vor Mel und Danone gibt es in der Hauptstadt nur zwei Sprüherinnen. „Eigentlich kamen erst nach uns wieder ein paar Mädchen-Crews", erklärt Melbeatz. „Im Nachhinein erinnere ich mich natürlich an ein paar Situationen in denen man sich behaupten musste—aber das war nicht, weil wir Frauen waren. Die Leute, mit denen wir rumgehangen haben, waren eh Asis, bei denen ein rauer Umgangston herrschte und jeder jeden fertiggemacht hat. Da ich sehr selbstbewusst bin, habe ich mir das nicht gefallen lassen. Wenn einer ‚Halt die Fresse!' gesagt hat, habe ich eben mit ‚Verpiss dich, halt du doch die Fresse!' geantwortet."

Aber woher kommt das große Selbstvertrauen? „Vielleicht liegt das an meiner Kindheit, die nicht so berauschend war", sagt Melbeatz. „Mein Vater war damals Alkoholiker. Mittlerweile ist er seit 20 Jahren trocken, aber früher ging sehr viel Gewalt von ihm aus. Ich fand es immer unfair, dass der starke Mann die schwächere Frau haut, deshalb war mein Gerechtigkeitssinn schon früh sehr ausgeprägt." Melbeatz erzählt auch davon, wie sie schon in der Grundschule jene Jungs verhauen hat, die ihre Freundinnen geärgert haben. „Abgesehen davon haben meine Eltern mir immer das Gefühl gegeben, dass sie sehr stolz auf mich sind und ich alles richtig mache. Damit haben sie das, was nachts schiefgelaufen ist, dann tagsüber versucht, wieder geradezurücken—und das hat geklappt."

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Melbeatz wird Teil der Writer-Crew Sleepwalkers (SLW) und lernt über gemeinsame Freunde einen gewissen Savas Yurderi kennen, der damals als JUKS auf Englisch rappt und erst später als Kool Savas deutsche Battletexte schreiben soll. Die beiden werden wenig später ein Paar. „In den ersten Jahren war ich noch berühmter als Savas. Als er noch unter dem Pseudonym gerappt hat, war er nämlich ‚der Freund von Mel'", erinnert sich Melbeatz und grinst. Wenig später wird aus JUKS schließlich Kool Savas. Wenn der aufstrebende MC bei seinen Produzenten auf der Couch sitzt, nimmt er Melbeatz immer wieder mit und während sie an ihren Graffiti-Entwürfen sitzt, bekommt sie aus nächster Nähe mit, wie Beats gebaut werden

Er hat mir das Gerät erklärt und dann habe ich angefangen.

Anfang 1996 reist Melbeatz nach New York und trifft eher zufällig den Berliner Produzenten DJ Desue, der ebenfalls gerade an der Ostküste urlaubt. Beide wohnen im gleichen Haus und als DJ Desue sich auf der Suche nach Samples an der Plattensammlung des Gastgebers bedient, diggt Melbeatz einfach mit. „Ich habe dann einfach die Platten ausgewählt, die ich samplen würde, wenn ich Musik machen würde." Zurück in Deutschland, bringt Kool Savas im November 1996 den Akai S900-Sampler mit in die gemeinsame Wohnung. „Er hat mir das Gerät erklärt und dann habe ich angefangen."

Ihre Beats landen auf dem legendären Berlin No. 1–Samplern und den Alben von Berliner Rap-Urgesteinen wie Shadow oder Fuat, ehe Melbeatz 2001 schließlich „Haus & Boot" für Kool Savas, im Anschluss auch „Komm Her" von Eko Fresh und schließlich im Alleingang das legendäre Album Der beste Tag meines Lebens von Kool Savas produziert. 2004 vereint sie auf ihrem Produzentenalbum Rapper's Delight Kool Savas, Azad Eizi Eiz, Curse, Tone, Cassandra Steen oder MIA.-Sängerin Mieze mit amerikanischen Rap-Größen wie Mobb Deep, Ol' Dirty Bastard und Tha Liks—und zeigt Kanye West Respekt, in dem sie den bis dahin weitestgehend als Produzenten bekannten Chicagoer auf einen ihrer Beats rappen lässt.

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In den Jahren danach wirkt sie an Soundtracks für Kinofilme mit und produziert—unter anderem als eine Hälfte des Duos Hätrz—weiter für deutsche Rapgrößen. „Mit der Musik ist es genau wie mit dem Graffiti und da bin ich auch ein bisschen stolz drauf: Ich wusste beide Male nicht genau, was es ist, aber hatte so viel Spaß dabei, dass ich mir damit einen Namen gemacht habe."

Mel mit einer MPC. Foto mit freundlicher Genehmigung von Melbeatz

Eine nicht ganz so schöne Situation in der Melbeatz' Name ins Spiel kam, ereignete sich 2014, als Journalist Marcus Staiger in einem Interview behauptete, das die Produzentin gegenüber ihrem damaligen Freund Kool Savas handgreiflich geworden sei. „Es gab sicherlich Momente, in denen ich rumgeschrien habe, weil der Abwasch nicht gemacht wurde. Aber ich habe ihm nie eine Schelle gegeben", sagt Melbeatz, die sich im Nachgang vor allem im Internet mit allerlei Beleidigungen wie ‚Mannsweib' konfrontiert sah.

„Das habe ich schon oft erlebt. Sobald ich irgendwo mal zu einem Typen ‚Halt die Fresse!' gesagt habe, hieß es gleich immer ‚Du bist voll das Mannsweib!' Warum denn das? Bloß weil ich dir hier gerade rhetorisch auf Augenhöhe begegne oder dir überlegen bin? Kann sein, dass das ein bisschen unweiblich rüberkommt , aber so bin ich nun mal großgeworden. Ich fand das schon immer ätzend. Niemand will gerne als Mannsweib bezeichnet werden. Klar wird sich aufgeregt, wenn man die Ellenbogen ausfährt—aber anders kommst du nicht weiter."

Wenn du zur HipHop-Szene dazugehören willst, musst du schon ein bestimmter Schlag Frau sein.

Ist das der Grund, warum es so wenige Frauen in der HipHop-Szene gibt? „Die Frage kam schon früher ständig im Gespräch mit Journalisten auf", sagt die 39-Jährige und lacht. „Ich habe dann immer gesagt: ‚Ich bin die Falsche, um euch darauf eine Antwort zu geben. Ihr müsst die fragen, die keine Lust haben oder die es nicht geschafft haben.' Für mich war immer alles cool. Aber das kommt auch darauf an, wie du dich gibst. Schwesta Ewa wird von allen Jungs gemocht, weil die echt eine Stabile ist. Wenn du jetzt Tagebuch-Rapperin bist, hast du keine Chance."

Das heißt, es geht nur mit Ellenbogen? „Musik machen kannst du ja auch einfach so als Frau. Aber wenn du zur HipHop-Szene dazugehören willst, dann ist das, als ob du KFZ-Mechanikern werden willst—da musst du schon ein bestimmter Schlag Frau sein, die keine Angst haben darf, sich einen Nagel abzubrechen. Das ist nicht so harten Mädchen gegenüber natürlich gemein, aber daran kannst du eh nichts ändern, nur machen, machen, machen. Wenn du wirklich ein Teil der Szene sein willst, dann wirst du es irgendwann auch schaffen."