Klimaschutz

Darum soll Klimaaktivist Daniel dem Energiekonzern RWE 50.000 Euro zahlen

Weil er auf Twitter und in einer Rede zu "massenhaft zivilem Ungehorsam" aufrief, bekam der "Ende Gelände"-Sprecher Anwaltspost. Einknicken will er nicht.
Ende Gelände Aktivist Daniel Hofinger
Daniel Hofinger während der "Ende Gelände"-Proteste vor vier Jahren, als VICE ihn begleitete | Foto: VICE

Im Juni 2018 sei es ihm zu viel geworden, sagt Daniel Hofinger. Zum dritten Mal erhielt er Post von den Anwälten des Stromkonzerns RWE, zum dritten Mal wurde er aufgefordert, eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Mit seiner Unterschrift sollte der Klimaaktivist bestätigen, dass er das Gelände und die Anlagen zur Förderung von Braun- und Steinkohle von RWE im Rheinland und im Hambacher Forst nicht mehr betritt. Die Schreiben liegen VICE vor.

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Hofinger unterschrieb. Und das, obwohl sich der 24-Jährige seit er 16 ist für den Klimaschutz einsetzt. Heute ist er einer von vier ehrenamtlichen Pressesprecherinnen des Aktionsbündnisses "Ende Gelände", die seit 2015 jedes Jahr Kohleförderanlagen und Gruben im Rheinischen Braunkohlerevier besetzen. Damals hatte ihn VICE bei der ersten Protestaktion begleitet. "Ich hatte einfach keine Kraft, mich mit einem Milliardenkonzern vor Gericht zu streiten", sagt Hofinger. "Ich dachte: Für Klimaschutz kann ich mich auch anders einsetzen."

Nach eigener Aussage, hat er sich seit 2018 an die Vereinbarung mit dem Stromkonzern gehalten und seitdem kein RWE-Gelände mehr betreten. Trotzdem bekam er nun das vierte Mal Post von den RWE-Anwälten. Am 22. Mai diesen Jahres schickten ihm die Juristen des Stromkonzerns ein Schreiben, das VICE ebenfalls vorliegt. Darin fordern sie eine "Vertragsstrafe von mindestens 50.000 Euro." Nicht weil Hofinger demonstrieren oder gar blockieren war, sondern weil er sich kritisch geäußert hat.

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"Sie haben auf Twitter mehrfach zu Blockaden der Infrastruktur unserer Mandantin [RWE] aufgerufen und diese Blockade dann auch aktiv gefördert und unterstützt", heißt es in dem Schreiben. Und weiter: "Während der Räumung im Hambacher Forst haben Sie massiv durch Tweets zur Ausübung von Druck auf die Auftragnehmer unserer Mandantin aufgerufen." Auf welche konkreten Tweets sich die Anwälte beziehen, sagen sie nicht.

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Ein Jurist nennt das Vorgehen von RWE einen "massiven Einschüchterungsversuch"

Daniel Hofinger, der in Bonn Geographie studiert, ist auf Twitter aktiv. Immer wieder tweetet und retweetet er Kommentare, Aufrufe und Forderungen zum Klimaschutz. Dabei begleitet er auch Aktionen von "Ende Gelände" und spricht in einem Tweet vom Oktober 2018 davon, "den größten Ungehorsam gegen Braunkohle" vorzubereiten.

Die Argumentation der Anwälte: "Eine Störung […] kann nicht nur durch eigene täterschaftliche Handlung, sondern auch durch Anstiftung und Beihilfe erfolgen." Das steht so zwar auch im Bürgerlichen Gesetzbuch. Doch ob und inwiefern Hofingers Aussagen wirklich einen Schaden verursacht haben, ist fraglich. Dass ein Stromkonzern mit einer massiven Geldforderung dagegen vorgehen kann, hält der Jurist Philipp Schulte, der Hofinger unterstützt, jedenfalls für falsch: "Stört ein Tweet den Betrieb?" Das sei eine Behauptung, die er nicht ansatzweise nachvollziehen könne, sagt Schulte."

Sollte das ein Gericht entscheiden müssen, würde das ein ziemlich langes und teures Verfahren.

"Am Ende zahlen das die Stromkunden und Stromkundinnen, wenn RWE den Prozess verliert", sagte Schulte im Gespräch mit VICE. "Für RWE birgt das Verfahren also keinerlei finanzielles Risiko." Für Daniel Hofinger sei dagegen schon die Aussicht auf ein solches Verfahren ein "massiver Einschüchterungsversuch" und ein "enorme Belastung". Darauf ziele der Konzern wohl ab.

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"Für uns ist das ein relativ klarer Angriff auf die Meinungsfreiheit", sagt Daniel Hofinger selbst. "Und eine Drohung an alle, die ihr Gesicht zeigen und sagen: Ich hätte gerne auch in Zukunft noch einen Planeten, der lebenswert ist."

"RWE bekommt keinen Cent von mir"

Neben den Tweets nennen die RWE-Anwälte noch einen zweiten mutmaßlichen Verstoß, den Hofinger begangen haben soll: die Teilnahme an einer Attac-Veranstaltung im Juni 2018 in Jülich. Bei dieser saß Hofinger als "Ende Gelände"-Sprecher auf dem Podium einer zivilgesellschaftlichen Veranstaltung, wie er sagt. "Sie haben ferner bei einem Auftritt in Jülich […] zu 'zugespitzen Aktionsformen durch massenhaft zivilen Ungehorsam' etwa gegen das Hausrecht unserer Mandantin [RWE] aufgerufen", heißt es in dem Schreiben der RWE-Anwälte, das in wortgleicher Formulierung einen Bericht der Aachener Zeitung über die Veranstaltung zitiert.

Bei der Veranstaltung sei es um alternative Energiespeichermethoden gegangen, sagt Hofinger. Es müsse doch möglich und erlaubt sein, über das Ende der Kohle zu diskutieren.

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Das jüngste Schreiben von RWE sei "zunächst mal nichts weiter als eine Rechnung", sagt Jurist Philipp Schulte, "jedoch mit dem absurden und deshalb skandalösen Betrag von 50.000 Euro." Der allein sei schon fragwürdig. Denn wie er sich berechne, gehe weder aus dem Schreiben noch aus der Argumentation hervor. Auch sei unklar, ob sich so weitreichende Strafen in einem privaten Vertrag mit einem Stromkonzern überhaupt regeln ließen. Generell gehe Schulte davon aus, dass Hofingers Handeln durch die Meinungsfreiheit gedeckt sei.

Die Zahlungsfrist hat Hofinger verstreichen lassen. "RWE bekommt keinen Cent von mir" sagt er. Stattdessen hat er eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, die 50.000 Euro einbringen soll. Damit will Hofinger seine Anwaltskosten decken und weitere Klimaproteste unterstützen.

Außerdem hat "Ende Gelände" eine Unterschriften-Petition gestartet, in der RWE aufgefordert wird, rechtliche Schritte gegen Hofinger zu unterlassen. Die nächste fünftägige Besetzung in einem Braunkohlerevier, bei der der Förderbetrieb zeitweilig lahmgelegt werden soll, ist vom 19. bis zum 24. Juni geplant.

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