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Eminems Anti-Trump-Freestyle macht ihn nicht zum politischen Messias

Der Detroiter Rapper wird für seine antirassistischen Aussagen endlos gefeiert – dabei übersehen die Leute etwas Wichtiges.
Screenshot via BET Awards 2017

Dieser Artikel stammt von unseren Kollegen aus der New Yorker Redaktion.

Bei den BET Hip Hop Awards haben die Cyphers eine lange Tradition: Jedes Jahr wird die Zeremonie unterbrochen, um den Scheinwerfer auf die Freestyles einiger Künstler zu richten. Meist sind es Newcomer, aber auch etablierte Rapper kommen manchmal zu Wort. Bei den diesjährigen Awards gab es herausragende Performances von dem Dreamville-Artist Cozz aus Los Angeles, Little Simz aus London sowie Cyhi The Prince und J.I.D. aus Atlanta. Und dennoch kennen die meisten seit Dienstag nur ein Thema: Eminems auffälligen, politischen Freestyle.

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Die Zuschauer waren zu Recht gespannt auf Ems Auftritt. Die meisten Rap-Fans feiern ihn als einen der großen Rapper der Geschichte – er ist lyrisch übermächtig und dient als Pionier für die Geschichte des mittellosen weißen Amerika. Bei den Cyphers der BET Hip Hop Awards werden Künstler meist in kleinen Gruppen unter einem bestimmten Thema zusammengefasst. Dieses Jahr gab es die Kategorien "Young Miami", "Fire Femcees" und "Young Spittaz". Aber Em bekam seine eigene "Einzel-Cypher", ohne einen Beat im Hintergrund, und widmete seine gesamten vier Minuten einer Schmährede gegen Präsident Donald Trump.


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In dieser Zeit erwähnte er, wie Trump Puerto Rico vernachlässigt, wie fixiert der Präsident auf die Rassismus-Proteste in der National Football League (NFL) ist, und dass er einen orangen Teint hat. Wie bei den meisten großen Themen ergossen sich Social-Media-Nutzer sofort in Lob und Kritik. Das Lob konzentrierte sich hauptsächlich auf Eminems Mut, sich so kritisch zu zeigen, und sein Status als Verbündeter der schwarzen Community wurde die ganze Nacht hindurch gefeiert. Der politische Journalist Keith Olbermann ging sogar so weit zu behaupten, der Detroiter Rapper habe damit den besten politischen Text des Jahres verfasst und dieser reiche aus, um seine "27 Jahre des Zweifels an Rap" auszuräumen. Die Kampagne Know Your Rights Camp des protestierenden schwarzen NFL-Spielers Colin Kaepernick twitterte: "Keine Worte. Wir können nur DANKE sagen." Und in einem Instagram-Video grinste Snoop Doog breit und sagte: "Eminem, ich wusste schon immer, dass du ein echter N***a bist."

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Diese Reaktionen sind in vieler Hinsicht ärgerlich und schädlich.

Erst mal vorweg: Eminems tatsächliche Rap-Performance kann man bestenfalls als "unsicher" bezeichnen. Die oben genannten Künstler haben mit ihren Skills viel mehr beeindruckt und mitgerissen. Der Großteil von Ems Freestyle klang wie ein müder Spoken-Word-Auftritt in einem Café. Sein Tempo war eher langsam, was die Spannung dämpfte, die beim Rest der Awards aufkam – auch wenn manche es gut fanden, zwischendurch einen Gang zurückzuschalten. Die meisten, die seinen Freestyle als beeindruckende Leistung sehen, sind einfach fasziniert davon, dass Eminem als weißer Mann den offensichtlich rassistischsten Präsidenten seit Generationen angreift. Ein Weißer, der sich gegen einen Weißen stellt, für Schwarze. Dabei ist das alles andere als bahnbrechend.

Schwarze Künstlerinnen und Künstler werden selten auf diese Art gefeiert. Wenn schwarze Kreative und Personen des öffentlichen Lebens in ihrer Arbeit unpolitisch sind, wird oft geurteilt, sie würden sich nicht für die Probleme ihrer Community interessieren – oder es geht so weit, dass sie als geldgierige, egoistische Verräter dastehen. Wenn sie sich aber kritisch äußern, gelten sie bei Konservativen und Weißen, die sich nicht um People of Color scheren, als Spalter und streitlustige Querulanten. Beyoncés Auftritt beim Super Bowl 2016 wurde fälschlich als Angriff auf die Polizei gewertet. YG sagt, wegen seines Tracks "FDT" (Fuck Donald Trump) habe der Secret Service sein Label kontaktiert. Für Kendrick Lamars Auftritt bei den BET Awards 2015, bei dem er Polizeigewalt kritisierte, unterstellten ihm Medienvertreter ebenfalls, er verbreite eine Hassbotschaft. Schwarze können an dieser Front einfach nicht gewinnen. Wenn eine schwarze Person 2017 genug öffentliche Aufmerksamkeit für eine kritische Botschaft bekommt – ja, dann kann es schon sein, dass der Präsident höchstpersönlich einen Twitter-Mob startet.

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Eminem ist mit seinem Trump-Takedown kein richtiges Risiko eingegangen. Er wird kein Geld verlieren. Sein Arbeitgeber wird ihn nicht fallenlassen. Niemand wird ihn unter Druck setzen, sich zu entschuldigen. Niemand wird ihn als "identitären schwarzen Extremisten" bezeichnen. Und wenn nichts von alldem ihm droht, wie radikal ist seine Cypher dann eigentlich?

Die Aussagen, die Eminem in seinem Freestyle macht, sind außerdem die typisch fragwürdigen, standardprogressiven Sprüche weißer Linker. Kein einziges Mal in seiner vierminütigen Rede erwähnte er eine andere Bedrohung für nicht-weiße Amerikaner als Trump. Damit verfehlt er völlig die Wurzeln der Probleme, die unser Land hat. Er betonte allerdings nach weniger als einer Minute: "We better give Obama props" – unter schwarzen Amerikanern ist genau das ein Running Gag über die reaktionäre Politik weißer Amerikaner. Viele weiße US-Amerikaner scheinen nicht zu begreifen, dass das Land sich auch vor Trumps Wahlsieg am 8. November 2016 in einer rassistischen Krise befand. Während Obamas Präsidentschaft mussten wir fast wöchentlich mitansehen, wie die Polizei einen unbewaffneten schwarzen Menschen hinrichtete.

Zwei Bewegungen, die durchgehend und politisch wirksam dämonisiert werden – Black Lives Matter und Colin Kaepernicks NFL-Proteste – stammen noch aus der Obama-Ära. Seit Trump Präsident ist, hat er sich auf die Fahne geschrieben, alle schwarzen Unterstützer dieser Bewegungen zur Zielscheibe zu machen. Die bekannte schwarze Sportmoderatorin Jemele Hill bekam das zu spüren, als sie vom Sender ESPN suspendiert wurde. Sie hatte Trump auf Twitter kritisiert und dazu aufgerufen, die Werbepartner eines NFL-Teams zu boykottieren, das seine Spieler zum Stehen während der Nationalhymne zwingen wollte. Daraufhin twitterte Trump, Hills große Klappe sei der Grund für die schlechten Einschaltquoten auf ESPN. Zuvor hatte Trump NFL-Spieler, die während der Nationalhymne ein Protestzeichen setzen, als "son of bitches" bezeichnet. Über Eminems Cypher hat der Präsident dagegen kein Wort verloren.

Die Begeisterung über Eminems Feestyle ist nicht unbegründet. Wenn wir als Schwarze schon nicht den Mund aufmachen können, ohne dass vor allem Weiße unsere Aussagen als irrationales Rumgeheule abtun, dann tut es auch gut zu sehen, dass ein Vertreter der weißen Bevölkerung ein gewisses Maß an Verständnis mitbringt. Die Wertschätzung steigt meist noch, wenn die weiße Person sozial benachteiligt aufgewachsen ist, wie Eminem. Und er hat immerhin ein "fuck you" an alle Eminem-Fans geschickt, die gleichzeitig Trump unterstützen. Aber nur weil sich jemand wie ein anständiger Mensch benimmt, sollten wir ihn nicht endlos abfeiern, uns überschwänglich bedanken und ihn zum Schwarzen erklären – auch wenn wir es eben nicht gewöhnt sind, dass jemand anständig zu uns ist. Im heutigen Kampf gegen rassistische Ungerechtigkeit in den USA brauchen wir so viele Stimmen wie möglich von Unterstützern aus allen Bevölkerungsgruppen. Aber wir brauchen definitiv keinen White Savior.

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