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Cop Watch

So braun ist die hessische Polizei – Eine Zusammenfassung

Gegen insgesamt 12 Polizisten ermitteln die Behörden mittlerweile. Doch das könnte nur die Spitze des Eisbergs sein.
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Zuerst dachten die Chefs, dass es nur ein blöder Fehler war: Die beiden Flaggen vor der Polizeistation im südhessischen Schlüchtern hingen falsch herum. Der hessische Löwe und die Deutschlandflagge standen Kopf.

Ein "Versehen", beteuerten die diensthabenden Polizisten, und ihre Vorgesetzten glaubten ihnen. Bis irgendjemandem auffiel, dass dieses Versehen genau am 27. Januar passiert war, dem internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.

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Seitdem ermittelt der Staatsschutz, ob nicht doch noch mehr dahintersteckt – und die hessische Polizei hat womöglich einen neuen Neonazi-Skandal. Und weil es davon allein im letzten Jahr so viele gab, dass man sich mittlerweile fast nicht mehr auskennt, lohnt sich eine Zusammenfassung. Los geht's:

Die Flaggendreher

Wie gesagt, bisher ist noch nichts darüber bekannt, ob die Polizisten in Schlüchtern die Flaggen absichtlich falsch herum gehängt haben. Dass das ausgerechnet an dem Tag passiert ist, ist aber schon ein bemerkenswerter Zufall – genauso wie die Tatsache, dass es ihnen gleich mit beiden Flaggen passiert ist.


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Wenn es aber doch Absicht gewesen sein sollte, dann wäre das … ziemlich unheimlich. Denn wer eine Landesflagge umdreht, möchte damit zeigen, dass er die Autorität des Landes nicht anerkennt – weshalb diese Geste besonders bei Reichsbürgern beliebt ist, die so ihre Ablehnung gegenüber der Bundesrepublik in die Welt posaunen wollen. Dass Polizisten insgeheim den Staat ablehnen, dem sie dienen, ist eher scheiße – in der hessischen Polizei wäre das aber nicht der einzige Fall, wie wir gleich noch sehen werden.

Ach ja: Und wenn sie sich mit Absicht extra den Holocaust-Gedenktag für ihre kleine Revolte gegen die BRD ausgesucht hätten, dann könnte das bedeuten, dass sie dazu noch ein Problem mit der Erinnerung an den Holocaust haben. Damit wäre die Grenze zum überzeugten Neonazi deutlich überschritten.

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Der "NSU 2.0" und die Frankfurter Chatgruppe

Dass wir überhaupt über Rechtsextreme bei der hessischen Polizei reden, hat vor allem damit zu tun, dass Unbekannte einer Anwältin im NSU-Prozess im Sommer per Fax damit gedroht haben, ihre zwei Jahre alte Tochter zu "schlachten".

Aber das war noch nicht mal das Bedrohlichste an dem Fax: Unterzeichnet waren das und die folgenden drei Schreiben mit "NSU 2.0". Und sie enthielten zahlreiche Informationen über das Privatleben der Anwältin, über die eigentlich nur die Polizei verfügt.

Im Zuge der Ermittlungen kam dann heraus, dass eine Beamtin im 1. Frankfurter Polizeirevier kurz vor dem Eintreffen des ersten Faxes private Informationen über die Anwältin von einem Dienstcomputer abgerufen hatte. Über sie stießen die Ermittler dann auf eine Chatgruppe, in der insgesamt sechs Polizisten regelmäßig Hitlerbilder, Hakenkreuze und rassistische Nachrichten ausgetauscht haben sollen.

Die Beamten sind fürs Erste suspendiert, die Ermittlungen laufen weiter. Als Reaktion darauf erhielt die Anwältin erneut ein Fax, in dem unter anderem Folgendes stand:

"Dir hirntoten Scheißdöner ist offensichtlich nicht bewusst, was du unseren Polizeikollegen angetan hast! Allerdings kommt es jetzt richtig dicke für dich, du Türkensau! Deiner Scheiß [Name der Tochter] reißen wir den Kopf ab … und der Rest eurer Dönercrew wird ebenfalls kompetent betreut werden."

Dass die Faxe weiterhin kommen, obwohl schon gegen die ersten Verdächtigen ermittelt wird, könnte bedeuten, dass sie gar nichts mit dem ursprünglichen Fax zu tun haben. Es könnte aber auch bedeuten, dass das Netzwerk von rechtsextremen Polizisten in Hessen noch viel größer ist.

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Die Kirmes-Brüder

Während die Ermittelnden noch mit der Frankfurter Truppe beschäftigt waren, trudelte schon die nächste Anzeige rein: Auf einer Kirmes im oberhessischen Kirtorf waren zwei Polizisten aufgefallen, die "rechtsextreme Äußerungen mit Reichsbürgerbezug" von sich gegeben haben sollen, einer von beiden soll außerdem das Bild eines Soldatenfriedhofs tätowiert gehabt haben. Es handelte sich im Brüder, die beide bei der Polizei arbeiteten.

Nachdem ein Ordnungsamt-Mitarbeiter Anzeige erstattet hatte, durchsuchten Ermittler die Wohnungen der beiden – und fanden beim Älteren nicht nur Munition, sondern auch "ein museal eingerichtetes Zimmer mit diversen NS-Devotionalien", wie es die Staatsanwaltschaft damals beschrieb. "Darunter historische Wehrmachts- und SS-Uniformen, Fahnen, Plakate, Orden und Abzeichen". Außerdem führten die Durchsuchungen auf die Spur von drei weiteren Polizisten, die im Verdacht stehen, rechtsextrem zu sein. Davon soll mindestens einer ebenfalls in der Reichsbürgerszene aktiv gewesen sein.

Generell scheint das malerische Fachwerkstädtchen Kirtorf so etwas wie das Auenland für rechtsextreme Polizisten zu sein: Hier lebt nämlich auch einer der suspendierten Beamten aus der Frankfurter Chatgruppe.

Der Gefallen

Und damit geht es nach Südhessen, wo ein Polizist beschuldigt wird, im Januar und Februar 2016 für eine Bekannte Informationen über den bekannten Neonazi Carsten M. abgefragt zu haben – mit dem diese Bekannte offenbar gerade anbandelte.

Spiegel Online berichtet, dass man "in Sicherheitskreisen" davon ausgeht, dass der Beamte die Frau so vor Carsten M. warnen wollte. Falls das stimmt, hat es nicht geklappt: Sie ist nicht nur immer noch mit Carsten M. zusammen, sondern hat sich sogar mit ihm einer gewaltbereiten Neonazi-Gruppe namens "Aryans" angeschlossen. Beide sind gerade in Halle wegen schwerer Körperverletzung angeklagt, weil sie am Rande von Demos Steine auf Gegendemonstranten geworfen haben sollen. Es ist also auch denkbar, dass der Beamte seine Bekannte gar nicht schützen wollte – sondern ihr nur durchstecken, was die Polizei aktuell über ihren Freund auf Akte hat.

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Fazit

Der hessische Innenminister fordert immer wieder, dass die genannten "Sachverhalte" nicht "vermischt werden". Bisher ist auch noch nicht abschließend geklärt, ob und wie alle diese Fälle zusammenhängen.

Was jedoch jetzt schon klar ist: Mittlerweile sollte es vor allem die hessische Polizei selbst sein, die das gründlich und restlos aufklären will. Denn wie es aktuell aussieht, hat Hessen mittlerweile sogar Sachsen überholt, wenn es um schlechte Nachrichten über rechtsextreme Polizisten geht.

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