Athen Pride 2013, Foto von Paola Revenioti.
Das letzte Mal, als ich zurück nach Athen gefahren bin, hing ich mit Obdachlosen herum, die eine tödliche neue Droge aus Autobatteriesäure und Crystal Meth namens Sisa nehmen—nicht unbedingt die besten Umstände, um mal wieder Mami und Papi zu besuchen. Während die Obdachlosen versuchen, mit ihren Problemen klar zu kommen, hat sich die griechische Polizei die Operation Thetis ausgedacht: Die Drogenabhängigen werden en masse verhaftet, für ein paar Stunden festgehalten und dann wieder zurück auf die Straße geschickt. Das ist eine ziemlich unorthodoxe Art, mit den beiden traurigen Realitäten von Obdachlosigkeit und Drogenabhängigkeit umzugehen. Außerdem ist es dumm und grausam.
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Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hielt Martin Niemöller eine Rede, die eins der bekanntesten Zitate des 20. Jahrhunderts beinhaltete. Ihr wisst schon, erst haben die Nazis die Kommunisten geholt, dann die Gewerkschafter, dann die Juden und „als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
In den letzten drei Jahren wurde die konservative Koalition im Parlament um ein paar Faschisten bereichert und Griechenland hat damit begonnen, seine eigene Interpretation von Pastor Niemöllers Zitat umzusetzen. In diesem Jahr wurden schon Immigranten erstochen und angeschossen, Drogenabhängige haben fast komplett den Anspruch auf soziale Absicherung durch den Staat verloren. Traurigerweise ist es wenig überraschend, dass die LGBTs als nächstes dran sein werden.
Anfang des Monats wurde berichtet, dass die Polizei in Thessaloniki transsexuelle Menschen unter dem Vorwand, sie stünden unter dem Verdacht der Prostitution, verfolgt hat. Und das Ganze fand auch noch kurz vorm Start der Thessaloniki Pride statt.
Paola Revenioti ist eine transsexuelle griechische Künstlerin und Aktivistin. Neben Gedichtbänden und Dokumentarfilmen hat Paola in den 80ern das wahrscheinlich erste Magazin für die Rechte Homosexueller in Griechenland gegründet. Finanziert hat sie Kraximo, indem sie sich prostituiert hat. Außerdem gehörte sie 1992 zu den Gründungsmitgliedern einer der ersten Athens-Pride-Paraden. Ich habe sie angerufen, um mit ihr über die Verfolgung der Transsexuellen durch die griechischen Behörden zu sprechen.
VICE: Hi, Paola. Ich gehe mal davon aus, dass das nicht das erste Mal ist, dass Transsexuelle in Griechenland Probleme mit den Behörden hatten?
Paola Revenioti: Nein, ist es nicht. Die Polizei hat schon in den letzten drei Jahren immer wieder Transsexuelle auf der Straße festgenommen, normalerweise unter dem Vorwand, ihren Ausweis sehen zu wollen, oder weil ihnen Prostitution vorgeworfen wird. In der Regel hat man sie über Nacht in einer Zelle festgehalten und sie am nächsten Tag dem Gericht übergeben. Es ist barbarisch, aber in der Vergangenheit wurde ein großer Prozentsatz von ihnen am Ende freigesprochen. Jetzt allerdings müssen sie sehr hohe, unangemessene Strafen zahlen.
Ist dir das schon mal passiert?
Einmal, vor drei Jahren, da war ich zufällig in der Umgebung der Hiers Hodos. Dort arbeiten Leute auf der Straße, ich habe das allerdings nicht gemacht. Ich musste die Nacht im Gefängnis und den nächsten Tag im Gericht verbringen. Das Schlimmste war, dass ich mich so geschämt habe, obwohl ich unschuldig war. Wie auch immer, sie haben irgendwann damit aufgehört und stattdessen angefangen, willkürlich Leute dazu zu zwingen, HIV-Tests zu machen. Was schlicht gegen elementare Menschenrechte verstößt.
Meinst du, dass dieses harte Durchgreifen etwas mit der Finanzkrise zu tun hat?
Die Trans-Gemeinschaft hat immer dieselben Probleme gehabt. Auf eine Art hat es tatsächlich etwas miteinander zu tun: Die Strafen, die nach der Festnahme gezahlt werden müssen, können sich auf bis zu 700 Euro belaufen. Es handelt sich hier bereits um eine sozial unterdrückte Gruppe. Es ist sehr schwer, als transsexueller Mensch einen Job zu kriegen und meistens kann man auch nicht auf Unterstützung in der Familie zurückgreifen. Die meisten müssen sich prostituieren, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und nicht mal das funktioniert heute noch gut, weil die Leute nicht so viel für Prostituierte ausgeben. So viel Geld an den Staat zahlen zu müssen, macht das Ganze noch schlimmer.
Demonstration für die Rechte von LGBTs in Athen, ungefähr 1980. Paola, hier in der Mitte, hält ein Schild hoch mit der Aufschrift „Der Staat hat in unserem Bett nichts zu suchen“. Foto via Paolas Facebook-Seite.
Warum hat die Polizei ausgerechnet in Thessaloniki damit angefangen und nicht in Athen?
Da bin ich nicht sicher—es ist jetzt nicht so, dass die Trans-Gemeinde in Thessaloniki sonderlich groß ist. Ich glaube, dass sie aus kaum mehr als 200 Leuten besteht. Der Erzbischof von Thessaloniki, Anthimos, hat immer sehr lautstark gegen Homosexuelle, LGBT-Rechte und vor kurzem die Pride-Parade gewettert. Die Verfolgung findet allerdings nur durch die Polizei statt.
Glaubst du, dass die scharfe Verfolgung etwas mit der Organisation von der Thessaloniki Pride zu tun hat?
Wer weiß. Ob sie versuchen, den Leuten Angst einzujagen, damit sie nicht mitmachen? Das ist etwas, das wir gezwungenermaßen in Betracht ziehen müssen, angesichts dessen, dass es nur ein paar Wochen vor der Parade wirklich schlimm wurde.
Diese Woche hat die griechische Regierung die staatliche Medienorganisation ERT geschlossen. Das hat zu Spekulationen über eine weitere Neuwahl geführt. Sollte das passieren: Gibt es Hoffnung für LGBTs in Griechenland?
Die Griechen sehen sich momentan mit ihrer hässlichen Seite konfrontiert. Wir haben unserer Geschichte keinen Respekt gezollt, den Leuten, die für unsere Freiheiten gestorben sind, und denen, die ins Exil gehen mussten, um den gleichen Hässlichkeiten der letzten Jahrzehnte zu entkommen. Es ist ein Oxymoron: so ein schönes Land, das in so eine tiefe Paranoia verfallen ist. Ich bin letztens zum Supermarkt gegangen und da war eine lange Schlange vor der Kasse. Ein paar Leute haben gerufen: „Es ist gut, dass wir die Goldene Morgenröte haben.“ Wir haben nachgewiesene Kriminelle an die Macht gewählt. Wir sind vollkommen wahnsinnig und ich frage mich, ob wir schon immer so waren oder ob wir es einfach ignoriert haben, weil wir Geld hatten. Ich weiß es nicht, das verwirrt mich.
Ich habe vor Kurzem mit Tom Bianchi, einem amerikanischen Künstler und Aktivisten für die Rechte Homosexueller, über den Ausbruch von HIV in den USA gesprochen. Er hat gesagt, dass AIDS die homosexuelle Gemeinde dazu gezwungen hat, Verantwortung zu übernehmen und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Falls die Verfolgung von Homosexuellen eskaliert, könnte das den gleichen Effekt für die griechische LGBT-Gemeinde haben?
Du bist sehr optimistisch, das ist gut. Denk aber mal darüber nach: Wenn der Staat Panathinaikos oder Olympiakos verbieten würde, würden die Leute ausflippen und tagelang protestieren. Würde das Gleiche passieren, wenn sie das Gesundheitssystem oder Drogenpräventionsprogramme dicht machen? Es wäre ihnen scheißegal.
Aber die Athens Pride letzten Sonntag lief gut …
Es lief richtig gut. Tausende waren dabei und die Hälfte von ihnen war nicht mal homosexuell. Falls diese ganze Geschichte mit Faschisten in unserem Parlament irgendwas gebracht hat, dann ist es, dass es mehr Zusammenhalt unter den Leuten gibt. Das muss uns bewusst werden. Diese Dinge gehen uns alle etwas an. Mein Niedergang bedeutet deinen Niedergang. Allerdings glaube ich nicht, dass auch nur ein griechischer Fernsehsender die Athens Pride Parade erwähnt hat.