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Die Badener Kiste schliesst für immer und der Aargau verliert seine herzlichste Club-Perle

Die Kiste war sieben Jahre Heimat für elektronische Musik, tolle Menschen und einen "Opa-Ersatz".

Nach knapp sieben Jahren wird die Kiste Baden dieses Wochenende endgültig ihre Türen schliessen. Die Gründe sind wie so oft in einer solchen Situation altbekannte: ewige Diskussionen mit Behörden und Anwohnern, sowie die mühsame Gratwanderung zwischen Kommerz und Leidenschaft. Der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte, war eine Lärmbeschwerde des benachbarten Hotels Linde und damit eine verhinderte Bewilligung für längere Öffnungszeiten. Gescheitert sind die Macher nicht an der Stadt, sondern am Kanton Aargau, der die Lärmklage guthiess.

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Die Kiste war ein wunderbares Stück elektronische Erfolgsgeschichte. Denn die drei Gründer, die ohne grosses Vorwissen in die Clublandschaft eingestiegen sind, machten sich mit der Kiste national sowie international einen Namen. So war der Club einer der wenigen im Aargau, der auch in der hart umkämpften Zürcher Szene Relevanz hatte. Beim gemeinsamen Mittagessen in der Badener Innenstadt, erklärt Jorin Schmitz, neben Renato Binder und Marc Huber Mitgründer der Kiste: "Wir wurden anfangs belächelt, weil wir jung und naiv waren und einfach Bock hatten, etwas auf die Beine zu stellen." Das Konzept sei es gewesen, in Baden eine Plattform für den elektronischen Underground zu bieten und auch noch unbekannten DJs die Möglichkeit zu geben, vor Publikum zu spielen. Wenn ihn nervöse DJs jeweils gefragt hätten, was für ein Set sie spielen sollten, habe er immer geantwortet: "Spiel etwas, das du fühlst." Wenn Jorin von Musik spricht, leuchten seine Augen und es wird klar, wie sehr ihm elektronische Klangwelten am Herzen liegen.

Umgekehrt ist die Kiste der lokalen Szene deutlich ans Herz gewachsen: Nachdem Jorin und sein Team Anfang April die Schliessung der Kiste bekannt gaben, regnete es virtuelle Danksagungen: "Danke, für die unzähligen zauberhaften Momente bei dir. Du wirst in meinem Herzen immer mein zweites Zuhause sein" oder "Phuu, was wäre ich ohne euch geworden. Danke fürs Erziehen", schreiben DJs, Szene-Insider und Stammgäste in Facebook-Kommentaren.

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Das Team der Kiste.

Einer dieser Stammgäste ist Janina und auch sie beweist, dass die Kiste mehr ist als nur ein Club. Ursprünglich aus Deutschland, sind sie und ihr Partner vor rund zehn Jahren in die Schweiz gekommen und hätten in der Kiste endlich Anschluss gefunden. Vorher seien sie von Stadt zu Stadt gezogen, bis sie dann in Baden endlich ein "soziales, freundschaftliches und familiäres Umfeld" aufbauen konnten. Die Kiste sei zu einem Zuhause geworden, "dass sich wie ein kuscheliges Wohnzimmer anfühlt". Die Liebe gehe wortwörtlich unter die Haut – das Kiste-Logo als Tattoo sei schon in Arbeit.

Aber nicht nur tanzende Gäste haben die Kiste geschätzt, sondern auch enorm viele DJs. Dabei erinnern sich internationale Stars wie zum Beispiel MTV-Ikone Markus Kavka gerne an ihre Nächte im Badener Club: "Ich bin ja jetzt auch schon seit über 20 Jahren als DJ unterwegs. Aber so ein Gefühl von Wärme, Familie, Leidenschaft, Freundlichkeit und Herzblut wie in der Kiste habe ich selten erlebt. Das gilt für die Macher genauso wie fürs Publikum – und natürlich auch für Donato, den ich ebenfalls kennenlernen durfte. Alles ist, beziehungsweise war, an der Kiste so einzigartig, sodass die Schliessung dieses wunderbaren Ladens einen grossen Verlust bedeutet", sagt er gegenüber Noisey.

Wer die Kiste kennt, kennt auch Donato. Der 81-jährige Herr gehört praktisch zum Inventar des Clubs. Er ist fast jeden Abend in der Kiste oder sitzt oben am PC im Backstage und spielt Solitaire, wenn es ihm unten zu laut ist. Er liebt es, sich zu verkleiden, geht sicher noch eine Stunde raven, auch wenn er den halben Abend verschlafen hat. Zu Beginn seien besonders junge Frauen oft irritiert gewesen. Aber er eroberte schnell die Herzen mit seiner Art und tanzt gerne mit allen im Club. Es kommt auch oft vor, dass er Früchte vorbeibringt, oder selber gemachtes Pizzabrot. "Musst du essen, ist gesund", sagt er dann mit italienischem Akzent. Er sei sowas wie "Opa-Ersatz", meint Jorin und sie als "Enkel" helfen ihm, wo sie können. Ob beim Umziehen, dem Bewältigen von Papierkram oder beim Ausfüllen von Lottoscheinen. Für seinen 80. Geburtstag wurde in der Kiste eine Spendenkasse aufgestellt, denn Donato brauchte dringend ein neues Bett. Über 1.000 Franken kamen zusammen. Fast alle Stammgäste hätten etwas beigesteuert.

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Donato hat die Kiste geliebt – und die Kiste Donato.

Nicht nur die Stammgäste beweisen, dass die Kiste zur Familie wurde, sondern auch einzelne Anlässe. Samstags fand immer mal wieder die Kinderdisco statt und einen Nachmittag lang gab die nächste Generation den Ton an. Dann konnte es auch mal vorkommen, dass "Schnappi" aus den Boxen dröhnte. Es gab Zauberer und Ballonkünstler und die DJs aus der Szene konnten so mal tagsüber mit ihren Kindern in die Kiste kommen. Sie seien wahrscheinlich auch der einzige Club, dessen Kassiererin morgens um 3 Uhr kurz verschwindet und dann mit Milchpumpe im Backstage sitzt, erzählt Jorin lachend.

In der Kiste achtet man halt aufeinander, versucht transparent zu sein. Das heisst, auch offen anzusprechen, wenn jemand mühsam sei. Denn einen schönen Abend zu verbringen, sei ja gemeinsame Verantwortung und im Interesse aller Gäste.

Einen letzten schönen Abend, kannst du diesen Freitag und Samstag (29. & 30. Juni) mit einem 34-Stunden-Rave zelebrieren. Der letzte Tanz sozusagen. Kommet hin und nehmet Abschied, von einem wunderschönen Ort. Ein Trostpflaster bleibt: Die wunderbaren Menschen, die die Kiste ausgemacht haben, werden weiterhin tanzen. Und die Kiste wird als Club weiterleben: Im August soll das Gate 54 folgen. Die neuen Macher Claude Häusler, Andres Häusler und Ronny Hitz haben mit der Einmalig Music und Monkey Wood bereits Partys in der Kiste veranstaltet und wollen auch auf elektronische Musik setzen.

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