Ein österreichischer Festival- und Club-Sommer ohne Liebe
Foto: Lennart Bernsdorff 

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Rudis Brille

Ein österreichischer Festival- und Club-Sommer ohne Liebe

Cobenzl, Horst, Summer of Love, Hyperreality: Was kommt, was bleibt, was geht – Gedanken zum ausklingenden Sommer 2018 und eine Vorschau auf den Herbst.

Als ich unlängst bei einem DJ-Gig am Luftschloss Cobenzl die CD-Player während meinem Mix berührte, fühlte sich die Oberfläche an wie ein Salzstangerl. Nach kurzer Recherche stellte ich fest: Es war der Verputz, der durch das Basswummern von der Decke auf unser DJ-Werkzeug rieselte. Nach eineinhalb Stunden gab es noch dazu eine Kette von Stromausfällen und die alten Steckdosen gaben den Geist auf. Ein Gehirnathlet hatte sein Handy aufladen wollen und der Akku verschmolz mit der vorsintflutlichen Steckdose zu einer unharmonischen Einheit und führte zu eine Kurzschlussserie, die jedem DJ den Tag versüßt.

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Was ich alter Grantler damit sagen will: Wiens hippste Location fühlt sich in ihren letzten Partytagen an wie eine Sandburg – sie zerbröselt. Das Luftschloss war allerdings die Lieblingslocation der jungen, wilden Wiener Partycrowd, die genug hatte vom langweiligen Cluballtag unten in den Stadtschluchten. Man investierte Zeit und Geld, um auf den berühmten Wiener Hausberg zu fahren (Lieblingsfrage dann ab 2:00 Uhr: "Wie bist'n du da?", "car2go Stundenpaket, aber leider nur mit dem Smart-Zweisitzer", "Können wir zu viert mit runter?"), oben hatte man noch mehr Zeit und Geld auszugeben, um bei gefühlten 60 Grad in den stickigen Räumen "anders" abzutanzen.

Es schepperte, es wummerte, die WCs waren überfüllt, aber es war lustig, sagte man sich. Outdoor wurde bei 90 Dezibel ohne Bass um 22:00 Uhr dicht gemacht, aber man warb mit "Tanzen über Wien". Wer als Veranstalter das Glück hatte, einen Termin im Sommer zu ergattern, musste beten – für schönes Wetter: Denn billig war das Ganze nicht und man erhielt auch keinerlei Getränkebeteiligungen. Ging das Konzept auf und verfügte man über eine starke Brand – wie etwa Merkwürdig oder Kein Sonntag Ohne Techno (das Closing findet am Sonntag 2.9 statt) –, dann hatte man mit Menschenmassen zu kämpfen, die dem Veranstalter beinahe schon Angst machen mussten. War man aber einer der vielen Trittbrettfahrer, die dazwischen eine ähnliche Kopie ausrichteten, oder gar für Partys im Dirndl warb, blieb man oft weit unter den Erwartungen.

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Manchmal verstehe ich die masochistischen Züge des Wiener Partyvolkes nicht: Man geht in ein altes verfallenes Schloss, gegen das die alte Meierei eine Luxusbude war, drängt, schwitzt und zahlt das Doppelte für eine Weggehnacht – aber es ist geil. Am 22. September ist Schluss damit, dann soll endgültig umgebaut werden und ein neues Hotel entstehen. Viele werden traurig sein, denn immerhin war es "Mal etwas anderes", allerdings so anders auch wieder nicht: Im Außenbereich gibt es ab 22:00 Uhr weder Musik, noch Bier – weil es die Vorschrift so will.

Die Beamtenschaft des Magistrats war diesen Sommer im neuen Wien besonders eifrig am Kontrollieren – Stichwort Anrainer. Im Falle des Cobenzl waren es die armen Schrebergärtler, deren Gurken sich bei leisem Bassgewummer wohl schlecht krümmten. Und so sah man in diesem Hitzesommer 2018 oft einen blonden braungebrannten Sonnyboy Marke Felix Baumgartner mit seiner schnellen Eingreiftruppe durch die Stadt huschen, der es sich wohl zur Aufgabe gemacht hatte, Veranstalter im Vorschriftendschungel des Wiener Veranstaltungsstättengesetzes untergehen zu lassen.


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Egal ob am Cobenzl, in der Creau, in der Pratersauna oder bei allen anderen Freiluft-Events: Es ging den Herrschern über die "Sofortmaßnahmen" um den Sound und seine erlaubte Verbreitung. Dabei kommen Begriffe wie "A-, B- oder C-Wert" vor, die das Wirken der Schallwellen in möglichen Wohngebieten erklären sollen. Diese sind in Wien so irrwitzig niedrig, dass es wohl auch auf lange Zeit hinaus für jede Art von Veranstalter schwer sein wird, jemals ein amtliches OpenAir abzuhalten – es sei denn am Donauinselfest.

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Der Tel Aviv Beach etwa, der kommenden Sonntag (2.9.) sein 10-Jahre-Jubiläum mittels Sondergenehmigungs-OpenAir abhält, kann davon viele leise Lieder singen. Betreiber Nuriel Molcho hofft, dass nach der komplizierten Neuausschreibung auch nächstes Jahr Platz am Donaukanal sein wird, für das ambitionierte Projekt – fix ist jedenfalls noch nichts. Und hier beginnt die Crux, von der auch die Tanz Durch Den Tag-Leute heute noch (alb-)träumen: Ist ein Event von "öffentlichem Interesse", dann kann die Politik mitbestimmen und Erleichterungen bewirken (etwa Sperrstunden), läuft es aber ganz normal über den Amtsweg ohne Unterstützung der Gemeinde, so liegt alles im Ermessen der Beamten des Magistrates: Summer of Love weiß das nun seit heuer auch. Was woanders (eingeschränkt, aber doch) möglich ist, wird in Wien nun wohl auch der neuen Law and Order-Politik, die schleichend das Land erobert, zum Opfer fallen: Verbote, Strenge, Härte, Ordnung: Nichts Essen, nichts trinken in der Öffentlichkeit, ständige Polizeikontrollen – wann kommt das Schmuseverbot?

So mutierte das Summer of Love-Festival im Juli zu einem Sommer ohne Liebe. Das Magistrat drosselte fortwährend (während der Veranstaltung mit Messgeräten) das Function One-Soundsystem, sodass Techno auf dem großen Platz am Ende so leise klang, dass man sich perfekt unterhalten konnte – und das obwohl man ein Schallschutzgutachten in Händen hielt und der Bezirk das Vorhaben unterstützte. Verließ man die Location, hörte man nach 50 Metern absolut nichts mehr, jede Straßenbahn war lauter. Dazu wurde vom Schrecken der Wiener Clubszene auch noch eine Limitierung auf 1000 Personen aufgrund eines Formfehlers bei der Anmeldung erzwungen, der am Ende dazu führte, dass Leute mit Gästeliste nicht mehr aufs Gelände durften – und das bei Haftandrohung für den Veranstalter. Am Ende bleiben Ratlosigkeit und Frustration. Was in anderen Städten funktioniert, geht offenbar in Wien nicht und wird nie gehen. Gut, vielleicht war das Gelände uncharmant und vielleicht war das LineUp etwas zu gemischt, um alle Szenen zu vereinigen, aber der Versuch war ambitioniert. Einen Monat später – im August – funktionierte in Graz die Steiermark-Edition des SoL reibungslos auf den Kasematten am Schlossberg.

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Graz ist ein Lichtblick in diesem Österreich, in dem die Clubs mehr und mehr vom Aussterben bedroht sind. In Salzburg gibt es zwar einige ambitionierte Projekte im Sommer, auf diversen Bergen, in der Festspielstadt selbst aber herrscht (bis auf kleine Ausnahmen) gähnende Leere. Die Kantine muss sich durch eine grässliche programmatische Anbiederungspolitik an die Proggy und sonstigen Jungendszenen am Leben halten. Spricht man Salzburger DJs auf die booking policy der letzten der einstigen drei Kantinen in Österreich an (zur Erinnerung: Die Linzer Kantine gibt es nicht mehr, ebensowenig die in Wien), so erntet man heftiges Kopfschütteln. Die einstige Bewegung "Electronic Motion" wurde in den letzten Jahren mehr und mehr zum Stillstand, zum Rückschritt. Schade …

In Linz sucht man Clubs seit Jahren vergeblich, die Jugend tummelt sich lieber in Tracht an den Seen. Überall beschwert man sich, dass "nichts gehe", "alle zumachen" und man keine Unterstützung bekomme. Man könnte das Clubsterben in den Bundesländern auch ein wenig mit dem neuen Zeitgeist erklären, der durch das Land weht. Die neokonservative Revolution macht eben auch vor der Musik und Clubkultur nicht halt. Jedes Volksfest oder Gabalier-Konzert wird zum öffentlichen Interesse erklärt, andere Veranstaltungen zum Ärgernis. Und die Jugend besinnt sich ohnehin nur mehr auf Karriere. Einstige revolutionäre Strömungen fehlen total. Bestes Beispiel dafür sind die vielen Trachten- und Lederhosen-Events, die sich meinem Gejammer zum Trotz größter Beliebtheit erfreuen. Sogar die Technowiesn wurde schon erfunden – ein höchst fragwürdiges Konzept, das an allem um Lichtjahre vorbeischrammt, wofür einst diese Musik gemacht wurde.

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House und Techno, aber auch Drum'n'Bass und Psytrance sind längst globale kommerzielle Wirtschaftszweige geworden: Großevents sind im Kommen, Clubs im Sterben. Der Konsument hört sich die DJ-Sets seiner Stars lieber auf der fetten Heimanlage im Garten an, als die lokalen DJs im kleinen Cluballtag. Und man arbeitet lieber das ganze Jahr, damit man im Sommer drei, vier große Wunschfestivals besuchen kann, wo man sich dann ordentlich wegsprengt und locker 1000 Euro liegen lässt, denn "bei uns ist eh alles fad". Damit füttert man eifrig die Top-20 DJs, also alles ab Solomun und Amelie Lens, der Rest ist uninteressant – wiewohl die wenigsten wissen, dass viele Top-DJs von anderen produziert werden, die nie aus der dritten Reihe aufsteigen konnten.

Und so verlief der Sommer mit einigen wenigen Ausnahmen relativ unspannend. Wer etwas erleben wollte, fuhr auf eines der zahlreichen Festivals nach Kroatien, Holland oder Deutschland. Ibiza hingegen kann sich der Normalo nicht mehr leisten.

Foto vom Autor, das das Horst darstellen soll

Wien hat natürlich noch seine Clubs, aber an den globalen Umwälzungen kommt auch die Hauptstadt nicht vorbei. Der Volksgarten etwa war jahrelang im Sommer an Samstagen fixe Anlaufstelle für Leute, die sich bei gepflegter Housemusik wegshaken wollten. Brands wie Mode Talking, Get Whipped oder Gang Peng sorgten für volles Haus. Und nun? 2018? Der Samstag unterscheidet sich kaum noch vom Freitag, was den flachen musikalischen Inhalt angeht. Die Erklärungen dafür sind einfach: Kommerz funktioniert anno 2018 einfach besser.

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Die vielen Touristen, die ja – no, na – nach Wien nie wegen der spannenden Undergroundmusik oder der Clubszene pilgerten, wollen eher leichte Kost, wenn sie einen Tisch im noblen Club reservieren. Da können selbst Klänge von Andhim oder Kölsch zu hart und unpassend sein. Aber auch das gab es schon einmal – damals in den Neunzigern. Vielleicht braucht es wieder einmal einen vom Schlag eines Kaveh Ahi, der ein neues innovatives revolutionäres Konzept vorlegt um diesen unseligen Hip Hop & House-Einheitsbrei wegzuspülen, der nun quasi das ganze musikalische Programm im Volksgarten dominiert. "Es muss eben so sein" wurde mir gesagt. Muss es?

Hyperreality – das wirklich einzige innovative Clubkulturfestival, welches als Subfestival der Wiener Festwochen natürlich (und berechtigt) subventioniert wurde, ist nach dem Wechsel an der Spitze der Festwochenintendanz ebenfalls dem Zeitgeist zum Opfer gefallen, obwohl es unisono gute Kritiken erhalten hatte. Die ehemalige Kuratorin des Festivals möchte aber nicht aufgeben und will das Hyperreality mit einem ausgesuchten Team am Leben erhalten:

Auch neben dem Kämpfen um das Hyperreality gibt es Entwicklungen, die Hoffnung geben:

Das Werk baute um und dürfte nun zu einem gleichwertigen Player aufsteigen. Man entsiffte sich kräftig und investierte ordentlich in neue Soundsysteme, was dem Laden offenkundig gut tat. Seither geht in der Spittelau die Post ab, die Forelle setzte ja weiterhin auf hohe Qualitätsstandards, wenngleich man sich ein wenig öffnete und etwas softere Formate (zum Beispiel Merkwürdig) ab nun auch dort anzutreffen sind, was an sich nur begrüßenswert ist, auch wenn die Sirenen der Technopolizei schon leise zu heulen beginnen.

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Und dann wäre da noch Horst, die große Innenstadtdisco (am Samstag gibt’s ja dort tatsächlich nur Disco), die es nun noch eine weitere Saison – oder wer weiß, wie lange noch – geben soll. Es wurden ja "das letzte" und "allerletzte" Bier im Mai getrunken, nun geht es am Freitag (hier ist das Event) in die "letzte" Saison und "der Anfang vom Ende" wird angekündigt. Werbung it is!

Ich wollte ein wenig mehr von dem wissen, was denn so passieren wird und befragte meinen Freund und Horst-Promoter Lukas Sticksel über den Zustand von Horst:

"Horst ist leer, ganz leer und staubig, sehr staubig. Letztes Jahr schwor man sich nie wieder einen ganzen Club in einer Woche aufzubauen. Aber da stehen wir nun eine Woche vor dem Opening und lachen über die Worte von damals. Das Lichtkonzept wird stündlich neu überdacht, um es am Ende dann doch über den Haufen zu werfen. Die Technikfirmen werden sich mit Sicherheit ihren Teil denken, lachen aber dann doch auch wieder - zumindest über die Absurdität, dass wir diese Woche aufsperren möchten.

Einen echten Ausblick zu geben, was passieren wird, das ist eher ein Ding der Unmöglichkeit, man versucht die nächsten Tag zu überleben und den Horst wieder zu beleben. Aber genau dieses kalkulierte Chaos ist es vermutlich, was Horst im Endeffekt auch ausmacht. Ach ja, wir haben tatsächlich vor dem Sommer einen bisher unentdeckten Raum gefunden, aber vielleicht sollten wir die Ideen diesbezüglich noch drosseln und das Lichtkonzept finalisieren, gezeichnet ist es ja schon mal …"

So ganz kann ich das zwar mit dem trüben Ausblick nicht glauben, wenn ich mir die neuen Bookings ansehe: Monika Kruse, Camel Phat und ähnliche Kaliber warten nur darauf, den harten Konkurrenzkampf zwischen den verbliebenen Playern aufs Neue anzuheizen. Denn alle warten auf den studentischen Nachschub, der im Herbst kommen wird und seine rare, durch den universitären Leistungsdruck limitierte Zeit in den Clubs der Stadt vertanzen soll. Viele werden ohnehin in die neuen, alten Discos gehen, wo es nicht so sehr um Musik geht. Den Rest muss man mit fetten Namen ködern. So läuft das Geschäft. Aber das Horst wird sich sicher nie schwertun, die Lage im Herzen der Stadt ist einfach zu gut. Über das neue Projekt, das noch dieses Jahr an den Start gehen sollte, gab man sich noch zugeknöpft. Aber ich brauche ohnehin noch Stoff für meine nächste Brille …

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