FYI.

This story is over 5 years old.

literatur

Sean Penns Gedicht über #MeToo ist absurder, frauenfeindlicher Müll

Der neue Roman des Hollywood-Stars endet mit einer dramatischen Abrechnung. Wir haben echte Dichter gefragt, ob das noch Kunst ist.
Foto: imago | Manfred Segerer

Vor kurzem ist Sean Penns neues Buch erschienen – ein total fiktionaler Roman über einen gewalttätigen Mann, der #MeToo hasst. Der Schauspieler, "Journalist" und Berichten zufolge gewalttätige Ex-Mann von Madonna hat grandios dabei versagt, in Bob Honey Who Just Do Stuff die moderne amerikanische Kultur in Angriff zu nehmen.

Das Buch erzählt die kurze, wenn auch bisweilen wirre Geschichte von Bob Honey, einem Mann mittleren Alters, der meistens in der dritten Person von sich spricht und als Klärgruben-Unternehmer und Auftragskiller für die Regierung arbeitet. Bob hasst seine beleibte Ex-Frau und Teenager, die Selfies machen. Eigentlich hasst Bob fast alles, was dazu führt, dass Fans von Rassismus und Frauenfeindlichkeit bei dem Roman voll auf ihre Kosten kommen.

Anzeige

Der Epilog des Buches ist ein ausschweifendes und ungelenkes Gedicht, das sich über dreieinhalb Seiten erstreckt. Offensichtlich war es als geistreicher Kommentar zu #MeToo und Trumps Amerika gedacht. Die Realität sieht anders aus, wie dieser Ausschnitt zeigt:

Trotzdem wollte ich echten Dichtern die Chance geben, Penns lyrische Ergüsse unter die Lupe zu nehmen. Vielleicht enthält es ja literarische Qualitäten, die wir Laien übersehen? Das hatten sie zu sagen:

Franny Choi

Franny Choi ist Autorin mehrerer Gedichtbände und Redakteurin beim Hyphen Magazine sowie Co-Moderatorin des Poetry Foundation Podcasts VS.

Das ist das vielleicht schlimmste Gedicht, das ich je gelesen habe – selbst in der Kategorie Heilllos-übertriebene-Wutausbrüche-brüskierter-weißer-Männer. Es beginnt langweilig und relativ harmlos, bis wir zu "melted wings of clotted cream" ["geschmolzene Flügel aus Streichrahm"] kommen. Hier setzt der erste Anflug von Übelkeit ein. Aber du denkst dir noch: "OK, das ist halt ein komisches Bild. Vielleicht soll es eine Antwort auf die Frage 'What would be a nightmare?' ['Was wäre ein Albtraum?'] sein." Die Antwort darauf lautet allerdings "das hier". Dieses Gedicht ist der Albtraum.

Alles gerät komplett aus den Fugen mit "Cyber wars a-wagin'" ["Cyberkriege führend"], das er dermaßen stilisiert, um es in sein ohnehin schon unfassbar schwaches Metrum einzupassen. Hier kannst du dir einen ausgezehrten Sean Penn auf der Bühne vorstellen, wie er nach vorne gebeugt und aufgebracht ins Mikro ruft, das er höchstwahrscheinlich viel zu nah vor seinem Mund hält.

Anzeige

Mehr von Broadly: Zu Besuch bei den Königinnen eines Erotikbuch-Imperiums


Eine Bewegung, die sexualisierte Gewalt bekämpft, "pettty pustule bickering … between women and men / un-adhering to nature's call" ["belangloses Pustel-Gezänk … zwischen Frauen und Männern / dem Ruf der Natur nicht folgend"] zu nennen, ist aus all den offensichtlichen politischen Gründen furchtbar genug. Noch schlimmer ist aber fast das Bild, das es beim Leser heraufbeschwört: lauter Menschen, die sich das Pinkeln verkneifen.

Das Reimschema geht schon recht früh in die Brüche, aber bei "sexual misdoings awakening a rage" ["sexuelle Vergehen erwecken eine Wut"] wird es wirklich unangenehm. Dieser Typ lässt sein Metrum tatsächlich dran glauben, damit er "sexual misdoings" statt "rape" schreiben kann.

"And what's with this 'Me Too'?" ["Und was ist mit diesem 'Me Too'?"] liest sich wie die besoffene Tirade dieses einen Onkels, der ungeladen bei der Beerdigung auftaucht, obwohl sich die Familie ziemlich sicher ist, dass er es war, der deine Tante entführt und zusammengeschlagen hat.

Kayleb Rae Candrilli

Kayleb Rae Candrilli hat das Buch What Runs Over geschrieben, das bei YesYes Books erschienen ist, und befindet sich momentan im Finale des Lambda Literary Awards für Transgender Poetry. Hier kannst du mehr lesen.

Candrilli schwärzt mit dem Hinweis "Prägnanz ist der Schlüssel" Penns Gedicht, um daraus ein neues zu erschaffen. Das neue Gedicht lautet:

It must look so small
the rage.
This season of men
and militaries is a crusade—
a nightmare of pompous men
adhering to fire and women.
Where did all the laughs go?
Are you out there?

Anzeige

[Sie muss so klein aussehen
die Wut.
Diese Zeit der Männer
und Militärs ist ein Kreuzzug—
ein Albtraum wichtigtuerischer Männer
hörig dem Feuer und den Frauen.
Wo sind all die Lacher hin?
Seid ihr da draußen?

Paul Tran

Paul Tran ist Poetry Editor bei The Offing und der erste Amerikaner asiatischer Herkunft seit 1993, der den Nuyorican Poets Cafe Grands Slam gewonnen hat.

Ich habe keinerlei Motivation, dieses vermeintliche Gedicht oder den Roman, in dem es erscheint, auseinanderzunehmen. Sean kann schreiben und in die Welt setzen, was immer er als notwendig erachtet. Aber wie Sharon Olds in ihrem Gedicht "I Go Back to May 1937" schon warnte: "Do What you are going to do, and I will tell about it" – tu, was du tun wirst, und ich werde davon berichten.

Und ich berichte dir, dass die Darstellung von #MeToo als "infantilizing term of the day" ["bevormundender Begriff der aktuellen Stunde"] oder "[reduction of] rape, slut-shaming and suffrage to reckless child's play" [“Reduktion von Vergewaltigung, Slut-Shaming und Wahlrecht auf leichtsinnige Kleinigkeiten"] eine gängige Strategie der Mächtigen ist, um sich gegenüber ihren Gegnern überlegen zu fühlen. Das wahrscheinlich bekannteste Beispiel dafür ist das Gedicht "Die Bürde des Weißen Mannes" von Rudyard Kipling aus dem Jahr 1899. Darin ermutigt er die Vereinigten Staaten, Südost-Asien zu kolonisieren und durch Ausbeutung und Gewalttaten wie Vergewaltigung den "halbwilden und kindlichen"-Menschen dieser Region zu "dienen". Was Sean hier versucht, ist also alles andere als neu.

Tatsächlich fehlt es seiner Frauenfeindlichkeit an Fantasie. Ihm fehlt es an Neugier und Einblick – Eigenschaften, die nicht nur für Gedichte, sondern auch das Menschsein selbst wichtig sind. Gedichte sind schon immer genutzt worden, um innen- und außenpolitische Konzepte zu vermitteln. Seans Gedicht unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von Rudyards. Es versucht, die Ansichten, Gefühle und Beobachtungen eines einzelnen Sprechers einzufangen und will den Leser dazu bringen, dessen Perspektive zu übernehmen. Egal, ob Satire oder nicht, ein Gedicht ist eine Primärquelle mit einer Agenda und wir müssen es als solches mit Vorsicht lesen. Seans Gedicht ist mir herzlich egal. Mir ist aber nicht egal, was es als Gedicht durch seine reine Existenz anrichtet. Und wenn das, was ich schreibe, es auslöschen kann, dann biete ich ihm gerne meine Worte als Dichter an, der Inzest und Vergewaltigung am eigenen Leib erfahren musste.

Folgt Broadly bei Facebook, Twitter und Instagram.