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Neo Magazin Royale

Jan Böhmermann hat die Klassiker der deutschen Literatur verfilmt

"Wasch dir die Scheide, der Baron will dich heute zum ersten Mal vergewaltigen" – Effi Briest.
Titelfoto: Screenshot von YouTube

Wer in den letzten Wochen den Podcast Fest und Flauschig mit Jan Böhmermann und Olli Schulz verfolgt hat, bekam dort öfter zu hören, wie Böhmermann über lange Drehtage und das ewige Warten am Filmset stöhnte. Gleichzeitig kündigte er gegenüber seinem Kompagnon an, dass die letzte Sendung des Neo Magazin Royale vor der Sommerpause "ganz groß" werden würde. Und was sollen wir sagen? Er hatte Recht.

Für "die letzte Stunde vor den Sommerferien" nahmen Jan Böhmermann und das Team des Neo Magazin Royale ihren öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag so ernst, dass wir unsere nächsten Rundfunkgebühren mit Freude überweisen werden. Statt Studio und Stand-Up zeigte ZDF Neo nämlich 45 Minuten Film – mit Böhmermanns Interpretationen von Fontanes Effi Briest, Dürrenmatts Die Physiker, Goethes Faust und Kafkas Verwandlung.

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Böhmermann als "schmuddeliger Fickbaron"

Das ZDF hat auch keine Mühen gescheut, um Böhmermann die vier Klassiker für sein 140-Zeichen-Publikum als ganz große Kunst auseinandernehmen zu lassen. So wie Theodor Fontanes gesellschaftskritischen (und ziemlich zähen) Roman über die 17-jährige Effi Briest, ihre Zwangsheirat mit einem Baron und ihre verbotene Liebschaft mit einem Offizier. Wir sehen Jan Böhmermann als Baron (oder eher "alten, weißen, hundertprozentig-privilegierten Cis-Mann") im "damals schon trostlosen Brandenburg", wie er auszieht, um die junge Effi zu "erobern".

Die Tragödie nimmt ihren Lauf: "Weil Effi nicht schnell genug 'Nein heißt Nein' sagt", wie die Stimme aus dem Off erklärt, wird sie mit dem "schmuddeligen Fickbaron" zwangsverheiratet. Böhmermann enttarnt Fontanes Roman als schmutzige Altherrenfantasie. Effi Briests Mutter sagt am Essentisch nur: "Wasch dir die Scheide, der Baron will dich heute zum ersten Mal vergewaltigen."

Jan Böhmermann und das Neo Magazin Royale haben mit der "letzten Stunde" einen Film mit kunstvoller Meta-Ebene, geilem Humor und pointierter Gesellschaftskritik geschaffen. Die Filme sind aufwendig produzierte Kunstwerke. William Cohn überzeugt als Gregor Samsa im Käferkörper. Und immer wieder werden die alten Klassiker mit unserer digitalisierten Welt verwoben. Als der Baron herausfindet, dass Effi Briest ihn betrügt, sagt er wutentbrannt: "Mir persönlich ist das ganze Rumgevögel egal, aber es ist mein Ruf, der da kaputt geht, net deiner. Du bist die Schlampe, ich bin normaler Mensch." Damit spielt Böhmermann auf die Hassrede von Pietro Lombardi an Sarah Engels an.

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Als Schiller in einer Szene von Faust dem "hocharroganten" Goethe Kontra gibt, sagt dieser nur: "Ich glaube nicht, dass ich mich hier vor jemandem rechtfertigen muss, der 30-strophige Nerd-Gedichte über den Glockenbau schreibt."

Lehrer dürfen sich freuen. Für ihre Deutsch-Leistungskurse haben sie jetzt grandiosen Stoff (oder sogar: Kunst) für die letzte Stunde vor den Sommerferien. Heute und für die nächsten Jahrzehnte. Doch bei aller Genialität des Neo Magazin Royales bleibt es den Schülern nach den 45 Minuten Freude wohl nicht erspart, sich schlussendlich doch noch durch Effi Briest zu quälen. Das ist auch gut so, schließlich wäre all das sonst auch nur halb so lustig.

Das Neo Magazin Royale kehrt am 19. September 2017 aus der Sommerpause zurück. Die ganze Folge könnt ihr hier sehen.

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