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AfD

Die AfD scheint sich gerade mit viel Geld erfahrene Mitarbeiter für ihre Abgeordneten zu angeln

"Die zahlen höhere Gehälter als die anderen Fraktionen", sagt der Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten.
Collage bestehend aus: Flagge: imago | Lars Berg | Gold: Pixabay

Die AfD-Fraktion im Bundestag ist ziemlich multikulti, zumindest was die berufliche Karrieren ihrer Mitglieder angeht. Vom Vize-DDR-Meister im Schwimmen über einen Richter, einen Staatsanwalt, einen Moderator bei "Hitradio FFH" und einen Berufssoldaten bis zum verurteilten Fußball-Hooligan ist alles dabei. Nur an Frauen fehlt es. Gerade mal neun der 92 Abgeordneten sind weiblich. Und auch mit der politischen Erfahrung der Neu-Parlamentarier sieht es eher mau aus. Nur ein AfD-Abgeordneter saß bereits früher im Bundestag, damals für die CDU.

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Die Fraktion braucht deshalb dringend qualifizierte Mitarbeiter, die wissen, wie der parlamentarische Alltag läuft: Wie man die Regierung mit Anfragen nervt, Punkte auf die Tagesordnung setzt, oder wo man ein Paket abgibt (die Bundestags-Poststelle liegt recht versteckt). Und dafür sind die AfD-Abgeordneten anscheinend bereit, viel Geld hinzulegen. Mehr als bei Mitarbeiter-Honoraren im Bundestag normalerweise üblich. "Selbst für gute Sekretärinnen zahlen sie gerade überdurchschnittlich gut, hört man", sagt die Mitarbeiterin eines Abgeordneten. Mit Namen will sie nicht zitiert werden. Auch die anderen Mitarbeiter von Nicht-AfD-Fraktionen, mit denen VICE für diesen Artikel gesprochen hat, wollen anonym bleiben. Dafür zeichnen sie ein ziemlich ehrliches Bild von der Jagd nach gutem Personal, die sich gerade, wie zu Beginn jeder Legislaturperiode, im politischen Berlin abspielt. Und davon, was das für die AfD bedeutet.

Nicht nur deren Fraktion sucht nämlich neue Mitarbeiter. Auch etwa die FDP, die in den vergangenen vier Jahren nicht im Bundestag vertreten war, braucht dringend neues Personal.

"Das Problem ist", so eine zweite Mitarbeiterin eines Abgeordneten, "dass du jetzt im November, zwei Monate nach der Wahl, nicht mehr viele Top-Bewerbungen bekommst." Von den wirklich qualifizierten, im Parlament gut vernetzten Leuten – die einem unerfahrenen Abgeordneten zum Beispiel erklären könnten, wie man einen Gesetzesantrag stellt – seien nicht mehr viele auf Jobsuche, meint ein anderer. Und ein Wissenschaftlicher Mitarbeiter sagt: "Nach der Wahl wirst du zwar mit Bewerbungen überschwemmt, aber bei den meisten kannst du nach drei Sätzen aufhören zu lesen." Das seien die Copy-Paste-Bewerbungen. "Die gehen wortgleich an Hunderte Büros raus."

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Bei 400 Stellen, die alleine die AfD-Fraktion zu besetzen hat, heißt das: Die Abgeordneten und die Personaler der Fraktionen aller Parteien konkurrieren gegenseitig um wenige Top-Leute. Deshalb müssen sie ihnen gute Angebote machen. Und das beste Argument ist auch auf dem politischen Arbeitsmarkt: Kohle.

20.870 Euro bekommen Abgeordnete pro Monat aus der Bundestagskasse, um Mitarbeiter anzustellen, für die 92 Mitglieder der AfD-Fraktion macht das insgesamt gut 1,9 Millionen Euro. Wie viel Personal sie von ihrem Budget bezahlen, entscheiden die Parlamentarier selbst. "Ich höre, die bieten Gehälter an, die deutlich über denen liegen, die andere Fraktionen zahlen", sagt einer. Eine der beiden wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen meint: "Ich bin mal gespannt, wie viele AfDler am Ende echte Wahlkreisbüros unterhalten."

Normalerweise kommen auf einen Abgeordneten drei bis vier Vollzeitstellen. Eine übliche Mitarbeiter-Mischung ist zum Beispiel: der Büroleiter, ein Referent, eine Bürokraft und meistens eine oder zwei Stellen im Wahlkreis. Praktikanten und studentische Mitarbeiter noch nicht mitgerechnet. Nur: Je weniger Personal, desto mehr Geld bleibt für den einzelnen Mitarbeiter. Die vom Bundestag festgesetzte Obergrenze liegt bei 8.000 Euro pro Person. Viel Geld für wenige, das kann aber auch bedeuten: Fürs inhaltliche Politik-Machen – Anträge formulieren, Abgeordnete thematisch briefen, Pressemitteilungen schreiben – dafür sind dann weniger Kapazitäten da.

Zimperlich scheint die AfD beim Recruiting nicht vorzugehen. Ein ehemaliger Mitarbeiter eines Bundesministeriums etwa, der jetzt für die AfD arbeitet, versuchte offen, weitere Leute für die AfD anzuwerben. "Er kam in die Kantine des Ministeriums und sprach dort Leute an", berichtet ein leitender Ministeriumsmitarbeiter gegenüber VICE. "Der hat keinen Hehl daraus gemacht, warum er da ist."

Dass die AfD-Fraktion ihre Job-Anzeigen im Oktober auch am Schwarzen Brett des Bundestages aushängt hat, werteten viele noch als Verzweiflungstat. Normalerweise werden da gebrauchte Anzüge, Kaffeemaschinen oder Zeitschriften angeboten. Jetzt sagt einer der Parlamentarischen Geschäftsführer der AfD-Fraktion der Süddeutschen Zeitung: "Wir haben eine große Auswahl." Nach gemeinsamen Recherchen von SZ, WDR und NDR heuern zuletzt tatsächlich zunehmend ehemalige Mitarbeiter der Union, aber auch von SPD, Grünen und sogar Linke bei AfD-Abgeordneten an. "Mehr, als man das erwartet hätte", so die SZ. Wie viel Geld dabei im Spiel ist, ist nicht bekannt.

Sie selbst könne zwar niemanden verstehen, der zur AfD wechsle, meint dazu eine Wissenschaftliche Mitarbeiterin, die für einen Abgeordneten der Union arbeitet. Wie es sich anfühle, wenn man im November noch immer ohne Arbeit dastehe, das wisse sie aber selbst. Und wenn man vielleicht eh nicht der größte Merkel-Fan sei und auch noch mitbekomme: "Plötzlich hat der wieder 'nen Job, der auch, und die ehemalige Kollegin ist auch irgendwo untergekommen" – vielleicht sei es dann gar nicht so unmenschlich, für ein ein paar hundert Euro mehr die eigenen Prinzipien zu vergessen.

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