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BRD GmbH

Auch in Berlin gibt es immer mehr "Reichsbürger"

Ob "Freistaat Preußen" oder "Neuschwabenlandtreffen" – der Senat zählt mittlerweile 400 Möchtegern-Selbstverwalter.
Foto: imago | Eibner

Es ist ziemlich schwer zu übersehen, dass Berlin die Hauptstadt Deutschlands ist. Im Stadtzentrum stehen eine ganze Menge großer Gebäude (Bundestag, Kanzleramt) herum, die auch den zerstreutesten Beobachter regelmäßig daran erinnern, dass die Bundesregierung von hier aus die Geschicke der Republik lenkt.

Weniger bekannt ist, dass es in Berlin auch eine ganze Reihe anderer Organisationen gibt, die von sich behaupten, die deutsche Regierung zu sein. Sie nennen sich "Freistaat Preußen" oder "Die Exilregierung Deutsches Reich", und obwohl fast noch nie jemand von ihnen gehört hat, sind sie allesamt überzeugt, dass sie die einzig echte Regierung der Deutschen seien.

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Diese Gruppen gehören alle zu der sogenannten "Reichsbürger"-Bewegung, und die Bewegung wächst. Bis zu 400 "Reichsbürger und Selbstverwalter" soll es mittlerweile allein in Berlin geben, hat der Berliner Senat jetzt in einer Antwort auf die Anfrage des SPD-Abgeordneten Tom Schreiber bekannt gegeben. Ungefähr hundert davon rechnen die Behörden der rechtsextremen Szene zu.

Was den Reichsbürgern an breiter Unterstützung in der Bevölkerung fehlt, machen sie durch fanatisches Sendungsbewusstsein locker wieder wett. Kraft gibt ihnen der unbedingte Glaube, dass die Bundesregierung keine echte Regierung sein kann, weil die ganze Bundesrepublik kein echter Staat ist. Stattdessen, glauben sie, ist die "BRD GmbH" nämlich nur ein von dunklen Mächten (oft: Juden) betriebenes Konstrukt, das vor allem dem Zweck dient, die armen Deutschen hinters Licht zu führen, gefügig zu machen und auszupressen.

Als der Verfassungsschutz 2015 über die Bewegung in Berlin berichtete, zählte er noch circa 100 Anhänger. Seitdem hat sich die Zahl offenbar vervierfacht. Gleichzeitig nimmt der Staat die vorher oft als harmlose Spinner abgetanen Reichsbürger sehr viel ernster, seit ein Reichsbürger in Bayern im Oktober vergangenen Jahres einen SEK-Beamten erschossen hat.

Aber auch in Berlin ist die militantere Erscheinungsform der "Reichsbürger"-Ideologie nicht unbekannt. 2013 nahm die Berliner Polizei einen 40-Jährigen fest, der mehr als 230 Kilogramm Sprengstoff in Form von Pyrotechnik auf seinem Grundstück in Neukölln eingelagert und mit "Gewalt unglaublicher Härte" gedroht hatte. Und im Januar verhafteten Ermittler den selbsternannten Druiden "Burgos von Buchonia" als Kopf einer rechten Terror-Organisation. Die Bundesstaatsanwalt wirft dem 62-jährigen "Druiden", der auf seinem Segway eher wie ein sympathisch-vertrottelter Cosplay-Opa aussah, jetzt die Planung "bewaffneter Angriffe auf Polizeibeamte, auf Asylsuchende und auf Menschen jüdischen Glaubens" vor.

"Der überwiegende Teil der sogenannten 'Reichsbürger-Szene' tritt nach wie vor nicht gewalttätig in Erscheinung", bemerkt die Berliner Verwaltung in ihrer Antwort. Außerdem ist die Szene keineswegs homogen: Neben der Handvoll teils miteinander konkurrierender "Exilregierungen" gibt es auch zahlreiche Einzelgänger, die sich vor allem im Internet informieren und vor allem viel zu viel Zeit auf obskuren Foren verbringen. Dort finden sie dann zahlreiche (frei erfundene) Anleitungen, wie sie sich angeblich aus der Bundesrepublik herauslösen könnten, indem sie sich zum "Selbstverwalter" erklären.

Aber warum gibt es immer mehr von ihnen? Zum einen hängt das mit der wachsenden Politikverdrossenheit zusammen, hat uns ein Reichsbürger-Experte im Oktober erklärt. Oft stecken auch biografische oder wirtschaftliche Krisen dahinter, wenn jemand plötzlich anfängt, eine ziemlich offensichtliche Realität in Frage zu stellen. "Für die ist die Idee ansprechend, dass die Bundesrepublik illegitim ist", sagt der Experte. "Weil sie glauben, dass sie dann keine Steuern oder Bußgelder mehr zahlen müssen."

Die meisten verstricken sich daraufhin in endlose Scharmützel mit Behörden und Ämtern, die sie am Ende meistens verlieren. Sie mögen nicht vernetzt und organisiert sein – aber die Statistik des Senats zeigt: Die Szene wächst auch in Berlin.

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