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so sehen sieger aus

So haben WIR das Champions-League-Finale erlebt

Es war so, wie wir es uns in unseren kühnsten Träumen nicht hätten vorstellen können—auch wenn wir keinen Selfie-Stick dabei hatten.

Wir bekamen vor kurzem die Nachricht, dass uns Heineken zwei Tickets für das Champions-League-Finale spendieren würden. Ich war natürlich völlig aus dem Häuschen. Wir entschieden uns, die zweite Karte zu verlosen und ein Gewinnspiel draus zu machen. Ich bat die Leute, mir ihre denkwürdigste Champions-League-Geschichte zu erzählen. Es erreichten uns unglaublich viele Einsendungen von „Gib mal diese Ticket"-Sätzen (ja, „diese") bis 4-Seiten-Drehbüchern und einigen dreist erfundenen Geschichten. (An dieser Stelle: Vielen Dank an alle Einsendungen, wir haben viel gelacht) Vielleicht war es aber nicht so schlau, die Ausschreibung in meiner Facebook-Timeline zu posten. Denn es kamen Nachrichten wie:

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„Toni was geht du Wahlberliner..haste cl Ticket? gib die mal hier nem richtigen Balkan Hooligan anstatt den Kartoffel-hipstern mit ihren erfundenen Geschichten."

Auch wenn das Angebot verlockend war, entschied ich mich, die Karte an Simon zu geben. Um seine Geschichte kurz zu erzählen: Simon—22, Jurastudent und seit sechs Jahren kein Spiel von Borussia Mönchengladbach verpasst—hat bei einer Auswärtsfahrt seine Schuhe verloren und ist mit Flipflops nach Brüssel geflogen. Weil er am Brüssler Bahnhof nicht wegkam und es nicht rechtzeitig nach Hause schaffte, ist er am Sonntag in seinen Zehenstegsandalen und Socken zum Auswärtsspiel nach Leverkusen gefahren. Die Story war auch witzig und wirklich gut geschrieben, vor allem aber beeindruckte mich die Selbstverständlichkeit in seinen Worten, dass er natürlich noch zum Spiel nach Leverkusen fahren müsste. Man merkte, dass das jemand war, der Fußball wirklich liebte und mir bestimmt einiges erzählen konnte.

Als wir uns also ein paar Stunden vor dem Spiel trafen, waren wir beide sichtlich nervös. Wir konnten es beide nicht fassen, dass wir wirklich beim CL-Finale dabei sein würden. Mit dem Taxi kamen wir nur auf einen Kilometer vor's Stadion, weil die Straßen völlig verstopft waren. Wir stiegen aus, sehr zur Freude von Simon. („Sorry, ich muss mal kurz den Fußball-Asi raushängen lassen")

Wir gingen auf dem Weg zum Stadion an einer Kneipe vorbei, die—wie es aussah—seit einigen Stunden von Barcelona-Fans besetzt war. Simon erzählte mir, dass er besonders gespannt auf die Barcelonistas war. Denn die Stimmung soll im Camp Nou schlecht sein, weil der Verein auf der ganzen Welt populär ist und dementsprechend vor allem aus Asien Touristen-Publikum anzieht. Doch als wir der Ostkurve immer näher kamen, staunte auch Simon nicht schlecht: Überall Trauben von Barça-Fans, die lauthals Fangesänge schmetterten.

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Natürlich wäre uns nie im Leben der Gedanke gekommen, die Karten zu verkaufen, doch wir waren neugierig zu wissen, was man auf dem Schwarzmarkt für ein 390-Euro-Ticket bekommt. Ein Schwarzmarkthändler bot uns zuerst ein Ticket für 1500 Euro an und als Simon ihm erklärte, dass wir unsers verkaufen wollten, bot er uns 900 an. Die wissen einfach, wie man wirtschaftet. Und so gab es vor dem Spiel dann auch genau das zu sehen, was man erwarten konnte. Menschen aus aller Welt, die meisten in aktuellen Barcelona-Trikots und stets das Smartphone oder den Selfie-Stick gezückt.

Wir gingen einmal um das Stadion herum zur Westkurve, um mal zu schauen, was bei den Juventus-Fans ging. Alle waren eher gesitteter drauf, aber in der Regel mit einem grimmigen Blick unterwegs. Während Simon mich über die verschiedenen Ultra-Gruppen von Juve aufklärte, liefen plötzlich zwei schreiende Gestalten durchs Bild, die nur dank ihrer Begleitungen voneinander ferngehalten werden konnten. Hier war es definitiv angespannter, vielleicht weil man nicht noch mal Lust hatte, ein CL-Finale zu verlieren.

Etwa eine halbe Stunde vor Anpfiff gingen wir ins Stadion. Unsere Plätze waren auf der Haupttribüne zwischen den Logen und den Barça-Fans. Simon war sofort von der Stimmung begeistert, die die Barcelona-Fans bereits jetzt schon aufboten. Ihr fragt euch sicherlich, mit wem man da so auf der Haupttribüne eines CL-Finales sitzt. Natürlich zum einen mit Gaunern wie uns, die Tickets bekommen haben. Aber auch sonst mit jedem Schlag an Leuten. Reiche Säcke, für die die heutige Veranstaltung eher Prestige war, aber auch ein Haufen Edel-Fans, die einfach eine Stange Geld bezahlen mussten, um hier zu sein.

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Alle hatten sie gemeinsam, dass sie andauernd ihre Smartphones zückten, um ja sicher zu gehen, dass sie der Außenwelt mitteilen konnten: Ich bin hier und du nicht. Wie zum Beispiel der Typ im Ecuador-Trikot.

Er rief einen Kollegen nach dem anderen über Skype an, um ihnen zu berichten, dass er im CL-Finale war.

Irgendwann tippte mir Simon auf die Schulter und zeigte auf die Barcelona-Kurve, in der sich langsam die Choreo formierte. „Das ist zu früh, 20 Minuten vor Spielbeginn, das werden die niemals bis zum Anpfiff halten können. Ok, guck mal, sie brechen ab".

Normalerweise bin ich kein Fan von diesen Eröffnungszeremonien, weil sie im Fernsehen einfach nicht so rüberkommen. Aber live und unterlegt mit der epischen Musik von Woodkid, war es genau der richtige Heißmacher auf das, was noch kommen sollte. Ich hatte mich am meisten auf die Champions-League-Hymne gefreut, war aber ein wenig enttäuscht, irgendwie kam sie aber akustisch nicht zu mir durch. Vielleicht war es auch mein Fehler, denn wenn man sich lieber drauf konzentriert, dass das Video scharf bleibt, dann ist es wohl die eigene Schuld. Der verdammte Wahn, alles festhalten zu müssen, hatte mich auch erfasst.

Vielleicht war es auch die Nervosität, denn am meisten freute ich mich auf das Spiel an sich. Ich hatte noch nie so viele großartige Spieler auf einem Platz gesehen und wir wurden wahrlich nicht enttäuscht. Was Barcelona technisch und taktisch ablieferte, hatte ich so noch nie vorher gesehen, und ja, es macht einen Unterschied, ob man das Spiel live sieht oder nicht.

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Meine Erkenntnisse aus dem Spiel:

-Messi hin oder her, aber in der Kreisliga wäre er schon längst vom Kapitän dafür zusammengefaltet worden, dass er auf dem Platz so rumschleicht

-Es bleibt mir weiterhin unerklärlich, wie man den Vollblut-Asi Luis Suarez nicht lieben kann

-Paul Pogba wird in fünf Jahren Weltfußballer sein

-Carlos Tevez ist einfach kein Big-Game-Player

-Gigi Buffon kann einem nur Leid tun

Auch wenn wir es eher Juventus gegönnt haben (einfach weil sie so oft im Finale den Kürzeren gezogen haben) und wir fast aus unseren Sitzen kippten, als Morata das 1:1 machte, wurden wir vom Spiel nicht enttäuscht. Denn diese Partie wurde wahrlich einem Finale der Königsklasse gerecht. Schon vor dem Spiel sprach ich mit Simon darüber, was die Faszination an der Champions League ausmacht. Natürlich ist die Königsklasse ein Grund dafür, dass der Fußball durchkommerzialisiert wird. Der Erfolg Bayerns misst sich an ihrem Abschneiden in diesem Wettbewerb und dementsprechend versuchen sie, sich die bestmöglichen Spieler zu holen. Doch ein Fußball-Fan will nun mal großartigen Fußball sehen. Und die Champions League ist ein Versprechen darauf. Und so war es an diesem Abend. Das, was ich wohl mitgenommen habe, ist, dass ich live noch nie eine so großartige Mannschaft wie den FC Barcelona an diesem Abend gesehen habe und so schnell wohl auch nicht mehr sehen werde. Bei Simon weiß ich es nicht genau. Vielleicht hatte er seinen größten Moment in der Halbzeitpause. Auch ganz ohne Selfie-Stick.