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MIT-Forscherin: "Glyphosat ist Gift für die Wissenschaft"

Wir haben uns mit Stephanie Seneff über die Folgen von Monsantos beliebtem Herbizid Roundup Ready auf die Gesundheit und auf das akademische Klima unterhalten.
Traktor auf dem Feld
Bild: imago | Schreyer 

Burn Out und Depression heißen die modernen Zivilisationskrankheiten, die der Preis unserer auf Wirtschaftlichkeit und Effizienz ausgerichteten Gesellschaft sind. Doch nicht nur der Geist leidet unter den Wehen der modernen Welt. Auch unsere Körper sind Schadstoffen ausgesetzt. Sie gelangen scheinbar unausweichlich in unsere Ernährung—durch den Einsatz von Ungeziefervernichtungsmitteln und durch die Produktionsmethoden der konventionellen Landwirtschaft.

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Darauf folgen für viele Konsumenten sich ausbreitende Allergien, exotische Intoleranzen und körperliche Überreaktionen auf die moderne Nahrungswelt. Und ein neuer Informationskrieg, in dem die Front zwischen Biosupermarkt und Discounter sowie mitten durch Kantinen, Party-Small-Talks und den heimischen Esstisch verläuft—und durch die wissenschaftliche Community.

Stephanie Seneff, vom prestigeträchtigen MIT, vermutet hinter zahllosen modernen Überempfindlichkeiten und Krankheitsbildern einen gemeinsamen Nenner: das Herbizid Glyphosat. In ihrer Untersuchung der gesundheitlichen Folgen des Mittels widerspricht sie damit der behaupteten Ungefährlichkeit durch den umstrittenen Agrar- und Chemiekonzerns Monsanto, in dessen Herbizid RoundUp Glyphosat der Hauptwirkstoff ist.

Auch wenn dir Glyphosat nichts sagt, hast du es doch mit 70-prozentiger Wahrscheinlichkeit im Urin.

Stephanie Seneff arbeitet seit Jahren an Studien, die sie zu einer bekennenden Gegnerin des Wirkstoffs haben werden lassen. Ihre Kritiker wiederum werfen ihr vor, dass Glyphosat in den aktuell verwendeten Mengen vollkommen harmlos sei, und dass sie ihre Arbeit auf fadenscheinigen Argumenten und Studien aufbaue, während sie ja eigentlich ohnehin keine gelernte Biologin sei.

Ich habe mich von ihr über die vielfältigen Auswirkungen aufklären lassen, die Glyphosat laut ihrer langjährigen Untersuchung auf den Menschen und auch auf das Klima in der wissenschaftlichen Community haben kann.

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MOTHERBOARD: Welches Krankheiten könnten mit dem Sprühen von Glyphosat im Zusammenhang stehen?

Stephanie Seneff: Da gibt es eine lange und wachsende Liste, die meiner Meinung nach im Zusammenhang mit chronischer Glyphosat-Vergiftung steht: Autismus, Alzheimer, Parkinson, Angststörungen, Depressionen, gewalttätiges Verhalten, Nierenversagen, Diabetes, Fettleibigkeit, Schilddrüsenkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs, bösartige Lymphome, Unfruchtbarkeit, Zöliakie, und chronisch entzündliche Darmerkrankungen.

Alle diese Krankheiten sind in den USA parallel mit der Zunahme von Glyphosat in Mais und Soja angestiegen. Die Zahlen, die das beweisen, sind einfach im Internet über US Regierungsquellen zugänglich.

Das US Center for Disease Control and Prevention hat erst vor wenigen Wochen eine neue Schätzung zur Autismusrate der 8-jährigen herausgegeben. Inzwischen sind wir bei einem Wert von 68 angelangt, das ist eine Steigerung von 30% in den letzten zwei Jahren. Wir sind also leider auf einem guten Weg zu meiner Vorhersage, dass die Hälfte der Kinder im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts an Autismus leiden muss.

Können Sie die Auswirkungen von Glyphosat auf den menschlichen Körper etwas genauer beschreiben?

Die Folgen sind heimtückisch und vielfältig und hängen mit mindestens vier spezifischen Eigenschaften von Glyphosat zusammen: Erstens unterbricht es den Shikimisäureweg in Pflanzen und Mikroben, was zu einer eingeschränkten Produktion der essentiellen aromatischen Aminosäuren Tryptophan, Tyrosin und Phenylalanine führt.

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Zweitens handelt es sich um ein patentiertes Biozid, welches vorwiegend nützliche Bakterien im Verdauungstrakt zerstört und damit krankheitsfördernden Bakterien das Wachstum ermöglicht. Drittens chelatiert es Spurenelemente wie Mangan, Cobalt, Molybdenum, Zink etc. und verursacht damit Defizite dieser wichtigen Mikronährstoffe.

Die Zunahme von Glutenintoleranz und Zöliakie in der industrialisierten Welt ist eine direkte Konsequenz des Trocknens von Weizen mit Roundup kurz vor der Ernte.

Viertens stört es die Cytochrom P450 Enzym Aktivität in Darm und Leber und führt zu vielen Krankheitsmustern, unter anderem durch die eingeschränkte Fähigkeit zur Engiftung von toxischen Chemikalien, eingeschränkte Produktion von Gallensäure, und eingeschränkte Vitamin D3 Aktivierung.

Viele dieser bekannten Effekte haben eine direkte Auswirkung auf den Krankheitsverlauf von Zöliakie, wie ich und Anthony Samsel kürzlich in der Zeitschrift Interdisciplinary Toxicology beschrieben.

Wie relevant ist Glyphosat eigentlich für den europäischen Kontext?

Da bin ich mir nicht so sicher, aber ich würde vermuten, dass die Praxis der Trocknung von Weizen, Gerste, Zuckerrohr und anderem Saatgut in Europa genauso populär ist wie in den USA.

Ich habe ein Dokument von Monsanto gefunden, welches die zunehmende Verwendung von Glyphosat über das letzte Jahrzehnt beschreibt. Gemäß Monsanto haben bereits 2007 94 Prozent der Landwirte in Großbritannien Glyphosat bei 40 Prozent ihres Getreides und 80 Prozent ihrer Ölsaat zur Unkrautvernichtung benutzt. (In Deutschland ist Glyphosat ebenfalls das meistverwendete Unkrautvernichtungsmittel—Anm. der Redaktion.)

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Die Forschungslage zu den gesundheitlichen Folgen von Glyphosat ist unübersichtlich. Das Mittel sorgt auch in der Wissenschaftswelt für große Kontroversen. Gibt es noch andere Studien, die ihre Einschätzung unterstützen?

In unseren beiden publizierten Studien haben Anthony und ich Referenzen aus hunderten peer-reviewten Artikeln als Belege für unsere These zitiert. Natürlich war die zurückgezogene Seralini Studie ein eindringlicher Hinweis auf bedeutende Schäden; in diesem Fall mittels einer lebenslangen Fütterung von Ratten mit genveränderten Lebensmitteln.

Meiner Meinung nach war das Zurückziehen dieses Artikels nicht weniger als eine Travestie des Rechts. Eine neue Studie aus Sri Lanka argumentiert zudem, dass Glyphosat synergetisch mit Arsen wirkt und die Ursache einer alarmierenden Epidemie von Nierenversagen bei Landwirtschaftsarbeitern in den Zuckerrohrfeldern ist.

Was sind die Langzeitfolgen von Glyphosat?

Eine Studie aus Sri Lanka konnte eine Verbindung zur Vergiftung der Leber, sowie in Zellen der männlichen Reproduktionsorgane und in Neuronen des Rattenhippocampus aufgezeigt. Es gibt zudem Hinweise auf einen Zusammenhang von Glyphosat und sogenannten Non-Hodgkin's Lymphomen im Menschen. Auch eine Studie zu Kontakten von Kaulquappen mit Glyphosat führte zu alarmierenden Geburtsdefekten.

Zudem kommt es zu einer Verbreitung von Brustkrebszellen als Reaktion ab einer bestimmten Konzentration des Herbizids. All diese Effekte stehen in direktem Zusammenhang der Begleiterkrankungen von Zöliakie

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Versuchen sie selbst auch als Verbraucherin Glyphosat zu vermeiden?

Mein Mann und ich kaufen nur noch biologisch geprüfte Lebensmittel, wenn wir im Supermarkt oder auf dem Markt einkaufen gehen. Wenn wir essen gehen versuchen wir Lebensmittel zu vermeiden die genmanipuliert sind und so RoundUp enthalten können: Bei uns in den USA sind das Mais, Soja, Rapsöl, Maissirup, Zuckerrüben, Baumwollöl und Alfalfa. Eine neuere Studie hat gezeigt, dass genetisch veränderte Soja wesentlich höhere Glyphosatrückstände hat als normale Soja.

Wir vermeiden auch die Lebensmittel, bei denen es wahrscheinlich ist, dass Glyphosat direkt vor der Ernte aufgesprüht wird: Weizen, Gerste und Zuckerrohr. In den USA haben wir keine Etikettierung von Genprodukten. Momentan ist es also einfacher in Europa solchen Lebensmittel aus dem Weg zu gehen.

Können Sie ihren intellektuellen und akademischen Werdegang erklären? Wie haben Sie angefangen sich für Biologie besonders mit Gesundheitsbezug zu interessieren ?

Biologie hat mich schon immer fasziniert. Es war mein Hauptfach am MIT als Bachelor Studentin und ich habe ein Jahr in einem Studienprogramm für höhere Semester im Department verbracht bevor ich zu elektrischer Ingenieurswissenschaft und Computerwissenschaften für meinen PhD gewechselt bin.

In den vergangenen Jahren richtete sich meine Forschung vor allem auf das Bauen von sprechenden Computerdialogsystemen. Ich habe dabei immer versucht Algorithmen zu designen, die auch biologisch plausibel sind. Ich habe auch Untersuchungen zu NLP Techniken und zur Genomsequenzierung gemacht. Erst vor sieben Jahren habe ich dann aber begonnen mich intensiv für Autismus und Herzkreislaufkrankheiten zu interessieren, teilweise aus persönlichen Gründen, aber auch weil ich mir Sorgen über die alarmierende Rate von Autismus in den USA machte.

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Wie kamen sie selbst darauf sich mit Glyphosat auseinanderzusetzen?

Es hat fast sechs Jahre gedauert bis ich jedes einzelne Umweltgift untersucht hatte, welches mit der Entwicklung von Autismus im Zusammenhang steht—bevor ich endlich damit begann Glyphosat zu analysieren.

Diese Verzögerung hing vor allem damit zusammen, dass uns stetig versichert wird, dass Glyphosat harmlos für Menschen sei. Als ich allerdings anfing mich mit dem Thema zu beschäftigen wurde mir schnell klar, dass Glyphosat all die komplexen Nebenerkrankungen von Autismus erklären konnte.

Was haben diejenigen, die nicht mit Ihnen übereinstimmen über sie gesagt?

Natürlich gab es einige mächtige Organisation, denen meine Schlussfolgerungen nicht gefallen haben. Die Menschen, die von ihnen beeinflusst werden, versuchen daher mit allen Mitteln meine Arbeit zu diskreditieren. Mein Biologieabschluss ist ein Bachelor und kein PhD und ich nehme an, dass mich das kritikwürdig macht. Ich denke außerdem gerne unkonventionell und das gefällt natürlich einigen Menschen nicht.

Ich wünschte andere wären etwas mutiger in ihrem Denken, weil ich glaube, dass wir die Lösungen zu diesen Gesundheitsproblemen auf diese Weise viel schneller finden könnten. Ich finde es erstaunlich, wenn Leute im Ernst behaupten können, die USA hätten seit Jahrzehnten genmanipulierte Nahrung zu sich genommen und es hätte keine negativen Effekte gegeben.

Wir sollten aufhören uns auf die Ratschläge großer Organisationen zu verlassen.

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Die USA haben ein offensichtliches Problem mit Autismus und Fettleibigkeit und zudem mit allen möglichen Arten von Essensallergien, die Krankenversicherungskosten sind zudem höher als in jedem anderen Land. Ich glaube das Land wird durch diese Kostenbürde dem Bankrott nahe gebracht, da die Zahl von Autismus und Alzheimerpatienten stetig ansteigt.

Wie beurteilen sie das wissenschaftlichen Klima im Zusammenhang mit dem Thema? Hat sich ihr Leben durch ihre Auseinandersetzungen verändert?

Ich bin erstaunt über den Grad in dem Wissenschaftler sich nicht mehr trauen von dem gut orchestrierten Plan der Chemieindustrie abzuweichen- also der Agrochemischen-, der Lebensmittel- und der Pharmaindustrie. Das übergeordnete Recherchemandat ist meiner Meinung nach zu einem Großteil auf die falschen Fragen fokussiert, mit dem zentralen Aspekt darauf irgendeine Droge für irgendeine Krankheit zu entwickeln, anstelle darauf in das Verständnis von Zusammenhängen zu investieren und wie man durch Veränderung des Lebens- und Ernährungsstils präventiv agiert.

Wenn es das Ziel ist Lebensmittel zu verkaufen, die besonders hohe Profite abwerfen weil ihre Produktionskosten niedrig sind, dann sind die Empfehlungen über die Gesundheitsverträglichkeit der Produkte gestört. Deswegen sollte jeder einzelne anfangen für sich selbst zu denken. Wir sollten aufhören uns auf die Ratschläge großer Organisationen zu verlassen.

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Können Sie einige der Strukturen identifizieren, die Dissens verhindern und Druck auf Forscher ausüben?

Die mächtigen und reichen Industrielobbies haben es geschafft Regierungen, Medien und Medizinsektoren eine Agenda aufzuzwingen, welche für diese Industrien profitable ist—zu Ungunsten des Wohlbefindens der Bürger. Bestimmte Forschungsbereiche, die die Profite dieser Lobbies bedrohen werden marginalisiert. Es werden keine Geldmittel verfügbar gemacht und jeder, der sich in eine ungewünschte Richtungen wagt wird verfemt, diskreditiert und lächerlich gemacht.

Du musst einen starken Willen haben, um die Attacken und den Druck auszuhalten.

Ich denke die Strategie ist es, das untere Ende der Hierarchie (Städte, Länder, Kommunen) zu entrechten während die Spitze (Regierungen, Multinationale Handelsorganisationen) kontrolliert wird, vor allem durch großzügige finanzielle Spenden. Es ist lächerlich, dass staatliche Instanzen, wie die amerikanische Lebensmittelzulassungsbehörde FDA, von den Unternehmen bezahlt wird, die sie regulieren soll. Niemand kümmert sich mehr um das Wohl des Einzelnen. Wir müssen also anfangen uns selbst darum zu kümmern, wenn wir gesund bleiben wollen.

Können Sie denjenigen Akademikern Ratschläge geben, die finden dass Ihre Forschung mit bestehenden Regeln und Meinungen im Konflikt steht?

Ich setzte eine Menge Hoffnung in die sozialen Medien und Open-Access-Publikationen. Es gab einen koordinierten Versuch die Menschen davon zu überzeugen, dass nur wissenschaftliche Zeitschriften mit dem höchsten Einflussfaktor legitim seien. Ich denke aber, dass die interessantesten, aufschlussreichsten und revolutionärsten Studien inzwischen aus den Open Access Kreisläufen kommen.

Jeder hat Zugriff auf diese Forschung. Sie kann nicht mehr hinter einer Paywall versteckt werden. Ich sehe zunehmend, dass Einzelne ohne traditionelle wissenschaftliche „Legitimität" (oft sehr kranke Menschen) große Fortschritte machen, indem sie Verbindungen zwischen biologischen Wirkungspfaden und giftigen Chemikalien herstellen, die von Mainstream-Wissenschaftlern ignoriert werden. Ich nenne das den ‚Zwangsjackeneffekt' ihrer Geldgeber.

Du musst schon einen besonders starken Willen und eine Überzeugung haben, dass du hinter etwas großem her bist, um die Attacken und den Druck überhaupt auszuhalten. Das ist natürlich schwieriger für junge Leute, die möglicherweise ihre gesamte Karriere gefährden, wenn sie einen Weg wählen an den sie zwar in ihrem Herzen glauben, dass er der richtige sei, der aber eine Gefahr für die Interessen von mächtigen Konzernen darstellt.