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Ist Fremdgehen in der Virtuellen Realität immer noch Fremdgehen?

Nicht nur Sex generell, auch das Thema Seitensprünge wird durch das Aufkommen immersiver Technologie neu diskutiert werden müssen.
Screenshot from the I Am You trailor via Cinehackers

Ich bin verheiratet und habe schon seit über sechs Jahren keine andere Frau mehr angefasst. Und dann, unter den denkbar merkwürdigsten Umständen, tat ich es auf einmal doch. Ich streichelte die Hand einer jungen Frau. Ich erinnere mich noch, wie ich mir währenddessen dachte: Ich weiß ja nicht mal, wie sie heißt.

Nach 30 Sekunden wurde mir das Ganze dann auch schon zu viel. Ich riss mir die Oculus Rift vom Kopf, stand auf und war völlig perplex. Mein erstes Erlebnis in der Virtuellen Realität war mächtig. Eine sehr intensive Erfahrung, die mich davon überzeugte, dass nicht nur die Zukunft des Sex', sondern auch die Zukunft der Seitensprünge in der virtuellen Welt liegen wird.

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Okay, kann auch sein, dass ich mich irre. Als ich meiner Frau von dem Erlebnis erzählte, lachte sie mich aus und sagte: „Es ist doch nichts weiter als eine Software. Deine sexy Lady besteht nur aus Einsen und Nullen, die deiner Sehrinde vorgaukeln, real zu sein."

Wird uns die physische, reale Welt danach noch jemals genug sein?

Mag sein, dass meine Frau recht hat. Trotzdem ließ mich der folgende Gedanke einfach nicht los: Was passiert, wenn die Software eines Tages realer erscheinen wird als die eigentliche Sache?

Mit der virtuellen Untreue kam ich in Berührung, nachdem ich auf der Konferenz WEST (Wearable, Entertainment & Sports Toronto) eine Rede gehalten hatte. Zahlreiche Unternehmen, die Software und Programme für die Gadgets entwickeln, hatten in den Gängen Stände zur Präsentation und zum Ausprobieren ihrer Produkte aufgestellt. Ich setzte mich also an den Tisch der Firma Cinehackers.

Cinehackers macht es den Nutzern der Virtuellen Realität möglich, sich wie in einen Film hineinversetzt zu fühlen, in dem sie alles aus der Sicht einer der Hauptpersonen erleben, ähnlich wie in Being John Malcovich.

Bereits kurz nach dem Aufsetzen der Rift und den Kopfhörern tauchte ich in die bildgewaltige Programmierung ein. Es fiel mir tatsächlich schwer zu akzeptieren, dass die Bilder nicht Teil der realen Welt waren. Der Film, der mich dazu brachte, mit einer fremden Frau Händchen zu halten, heißt übrigens I Am You.

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Was Sex in der Virtuellen Realität angeht, wurde eigentlich schon so gut wie alles ausprobiert, was man sich vorstellen kann—einschließlich haptischer Ganzkörperanzüge, die die sexuelle Immersion maximal intensivieren sollen. Im Gegensatz dazu sind die Möglichkeiten zur digitalen Untreue und die damit einhergehenden moralischen Konflikte bisher relativ unerforscht.

„Es macht keinen Unterschied, ob man jemanden persönlich oder online durch den Gebrauch von Pornos, Webcams, Social Media oder irgendwelche anderen digitalen Technologien betrügt", so Robert Weiss, klinischer Sozialarbeiter und Therapeut für Sexsucht sowie Experte für die Zusammenhänge zwischen digitaler Technik und menschlicher Sexualität. „Eine Affäre in der ‚Welt der Virtuellen Realität' ist für den Partner genauso schmerzhaft wie ein Betrug mit einer Person aus Fleisch und Blut."

Virtueller Sex ist um einiges eindringlicher und wirklich immersiv.

Ähnliche Antworten bekam ich von allen zu hören, mit denen ich mich über das Thema unterhielt. Und doch bin ich mir unsicher, ob es stimmt. In der westlichen Welt ist es für viele Menschen total okay, Pornos zu gucken. Teilweise weil sie nicht glauben, dass es Auswirkungen auf ihre reale physischen Welt hat. Pornos am Bildschirm oder in einer Zeitschrift anzugucken, fühlt sich nicht real an. Und immerhin kann man sich vom Bildschirm keine Geschlechtskrankheit einfangen oder sein Smartphone schwängern. Außer einigen extrem prüden Menschen würde wohl niemand behaupten, dass man mit Pornos eine moralische Grenze überschreitet. Wann wird diese moralische Grenze also überschritten? Ab welchem Punkt fühlt sich der Partner wirklich betrogen?

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Vielleicht wird der technische Fortschritt diesen Moment bestimmen. Angesichts meiner Erfahrung auf der WEST könnte er wohl früher eintreffen als bislang angenommen.

In den nächsten Jahrzehnten könnte virtueller Sex unser gesamtes Liebesleben auf den Kopf stellen. Ich sehe es schon vor mir, wie sich Leute in nicht ganz so ferner Zukunft trennen, weil der eine das Verlangen des anderen nach virtuellem Sex nicht akzeptiert. Und das, obwohl er in der Vergangenheit mit Pornos wie wir sie heute kennen kaum ein Problem gehabt hätte. Das liegt daran, dass virtueller Sex nämlich um einiges eindringlicher und wirklich immersiv ist.

In der Virtuellen Realität werden deine Sinne fast wie im echten Leben stimuliert—und schon bald wird VR über die optischen Reize hinausgehen. In Zukunft werden Sex-Vorrichtungen wie haptische Anzüge und andere Technologien, die reale, sexuelle Bewegungen imitieren werden, zu unserem Alltag gehören. Sogar in der Luft freigesetzte Sex-Düfte könnten den virtuellen Sex eines Tages um ein weiteres, stimulierendes Element ergänzen—es gibt bereits ein Unternehmen, das speziell fürs Gaming entwickelte Düfte anbietet.

Das größte Dilemma meiner VR-Erfahrung in Toronto liegt aber nicht im Sex oder in der Intimität selbst, sondern in der Möglichkeit, so schnell und einfach eine perfekte Beziehung zu finden. Und genau dadurch werden virtuelle Pornos für die Menschen, vor allem für Paare, eine Herausforderung darstellen. Uns erwartet eine Zukunft, in der wir uns über die Virtuelle Realität jederzeit mit nahezu perfekten Individuen verbinden können. Im Fall von Cinehackers sogar bekannte Models oder Schauspieler. Wir könnten also im Second Life und anderswo mit diesen sehr real aussehenden, virtuellen Menschen ein neues, perfektes Leben aufbauen. Wie sollten unsere Ehepartner mit ihrem unvollkommenen Äußeren je damit konkurrieren können? Wird uns die physische, reale Welt danach noch jemals genug sein? Die traurige Wahrheit ist: vielleicht nicht.

Was auch immer die Zukunft bringt—die alten Regeln der Treue werden mit Sicherheit einen dramatischen Wandel durchleben. Und das nicht, weil die Menschen aufgeschlossener oder eingeschränkter sind, sondern weil die sich rasch entwickelnde Technologie uns mit verlockenden Einsen und Nullen immer überzeugender weismachen wird, dass es keinen Unterschied zwischen der realen und virtuellen Welt gibt.