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Hat dieser Redditor gerade einen weiteren Amoklauf in Deutschland verhindert?

Nachdem er ein verdächtiges Instagram-Profil aufgespürt hatte, stand zunächst plötzlich das LKA vor seiner Tür.

In der Nacht zum Dienstag wurde im Kreis Ludwigsburg ein 15-Jähriger in der Wohnung seiner Eltern vorläufig festgenommen. Der Jugendliche hatte zuvor im Internet Fotos und Zeichnungen veröffentlicht, die darauf hingedeutet hätten, dass er eine Amoktat plane, wie die Polizei Ludwigsburg gestern Nachmittag in einer Pressemitteilung erklärte.

Die entscheidenden Hinweise, welche zur Ermittlung und schließlich der vorläufigen Festnahme des 15-Jährigen führten, kamen dabei von einem Berliner, wie aus Ermittlerkreisen gegenüber Motherboard bestätigt wurde.

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Verschiedene von Motherboard gesammelte Indizien deuten daraufhin, dass es sich bei dem Berliner Hinweisgeber um den Redditnutzer baudusau handeln muss. Der Redditor hatte sich mit seiner schockierenden Entdeckung zunächst an seine Forumskollegen gewandt: Bereits am Sonntagabend erklärt er, er sei sich „ziemlich sicher das Instagram-Profil des Amokläufers [von München]" gefunden zu haben. Besorgt fragte er die die Community, ob und wie er die Fotos dem LKA melden solle.

Er schickte außerdem eine Freundschaftsanfrage an den ominösen Instagramnutzer. Nachdem diese auch umgehend bestätigt worden war, hatte baudusau zumindest die Gewissheit, dass eine andere Person als der zu diesem Zeitpunkt bereits tote Attentäter hinter dem Profil steckte. Freundschaftsanfragen für private Profile müssen auf Instagram nämlich manuell bestätigt werden. Kurze Zeit später vermeldete baudusau auf Reddit dann auch ein wichtiges Update seiner Recherchen:

„Ich sehe grade, dass jetzt in dem Profil steht: 'I knew David S. From munich'. […] Es scheint das Profil eines Bekannten des Täters zu sein.

Außerdem postete baudusau ein Foto des Instagram-Accounts, auf dem er den Namen des Accounts anonymisiert hatte: Das Bild zeigt eine Waffe, die baudusau zunächst für eine Glock-Pistole hält, also die Art von Waffe, die der Amokläufer von München David S. benutzte, um vergangene Woche neun Menschen und anschließend sich selbst zu töten.

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Spätestens jetzt begann die Reddit-Community, fleißig mitzurecherchieren: Mehrere Nutzer identifizierten die Waffe als eine Walther PPQ. Andere Nutzer gaben baudusau außerdem Vorschläge, wie er am besten die Polizei kontaktieren solle. Schnell stieg der Post auch in die oberen Ränge der deutschen Reddit-Trends auf.

Über eine umgekehrte Bildersuche auf Google stieß auch Motherboard auf den von baudusau entdeckten Instagram-Account. Zwar war dieser mittlerweile gelöscht worden, der öffentliche Bereich des Kontos lässt sich allerdings noch über das Internetarchiv archive.is einsehen. Wir konnten dementsprechend nicht das auf privat gestellte Foto von der Waffe einsehen, welches baudusau gepostet hatte. Allerdings konnten wir das auf diesem Bild zu erkennende Profilfoto des Nutzers auf dem uns einsehbaren öffentlichen Bereich des Profils wiedererkennen. Auch fanden wir die schon von baudusau erwähnten Andeutungen des Instagramnutzers wieder, den Amokläufer von München gekannt zu haben.

Noch in der Nacht zum Montag hatte baudusau schließlich die „110" gewählt, wie er auf Reddit erzählt. Er habe neben dem Foto von der Waffe auf dem Instagramprofil auch Bilder von selbstgebauten Bomben gefunden und unter den Instagram-Freunden des Nutzers mehrere Amoklauf-Fans mit „Bildern zu Amokläufern, besonders Columbine" im Profil gefunden.

Was baudusau anschließend schildert, mutet ziemlich bizarr an. Die lokale Dienststelle habe ihm am Telefon erklärt, dass auf allen Rechnern der Polizei der Zugriff auf Instagram gesperrt sei, weswegen man ihm Beamten nach Hausen schicke. Kurz darauf korrigiert sich die Polizeibeamtin am Telefon: Man schicke ihm nun doch gleich das LKA.

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„Bei mir kam dann die Kripo an und zwar drei absolute Schränke, die eher wie Boxer aussahen und schon beim Reinkommen ein wenig aggressiv wirkten und dachten, ich wolle sie verarschen und wieso ich nachts noch anrufe. Ich hab ihnen dann erstmal die Bilder gezeigt, woraufhin sie deutlich freundlicher wurden. […] Dort sieht man Videos von selbstgebauten Bomben, Rohrbomben, Waffen und jede Menge Bilder von den Columbine-Attentätern, die er anscheinend vergöttert."

Ebenso schockiert wie die LKA-Beamten zeigten sich daraufhin auch die Redditor und bettelten bei baudusau vehement um Updates. Doch sie warteten den gesamten Montag über vergeblich. „Edit3: Montag 12:54 Uhr. Bei mir hat sich bisher keiner gemeldet. Edit4: Es ist jetzt 18:24 Uhr und drei Mal dürft ihr raten, was passiert ist. Nichts.", gab sich auch baudusau ob der Folgenlosigkeit seiner spektakulären Entdeckung zunächst enttäuscht und überlegte sogar, die Sache noch mal in die eigene Hand zu nehmen:

„Ich denke, ich habe auch rausgefunden, auf welche Schule der Typ geht. Habe mich jetzt mit der Frau meines Bruders besprochen, sie ist Richterin, und ich werde morgen früh nochmal anrufen und nachfragen und wenn das nichts bringt, rufe ich morgen beim LKA Baden-Württemberg an."

Was baudusau nicht wissen konnte: Zu diesem Zeitpunkt wusste das LKA Baden-Württemberg längst über den ominösen Instagramnutzer Bescheid. Nach dem Hinweis des landeseigenen LKAs wurde schließlich auch die Polizei Ludwigsburg informiert, wie eine Sprecherin gegenüber Motherboard bestätigte, und nahm den 15-jährigen in der Nacht zu Dienstag fest.

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„Ich war mit David befreundet, wusste aber nichts von seinen Plänen. Hab jetzt ne Menge Scheiße wegen ihm am Hals, obwohl ich nichts gemacht habe. Ja, wir hatten die selben Interessen, heißt das direkt, dass ich der nächste Amokläufer bin?"

Auf unsere Anfrage an baudusau, wie er überhaupt auf das Instagramprofil gestoßen war, wollte der Redditor keine Auskunft geben. Allerdings erklärte er in den Kommentaren zu seinem Reddit-Thread, den potentiellen Amokläufer zunächst auf dem Gaming-Portal Steam ausfindig gemacht zu haben. Tatsächlich bestätigt auch eine Ludwigsburger Polizeisprecherin gegenüber Motherboard, dass die ersten Hinweise auf den festgenommenen 15-jährigen von dem Gaming-Portal Steam stammten.

Die Plattform für Computerspiele war bereits wenige Tage nach dem Amoklauf von München ins Visier von Medien und Ermittlern geraten, da David S. hier Games wie CounterStrike gespielt haben soll, die daraufhin nun schnell wieder das Label „Killerspiele" verpasst bekamen. Auch soll sich anhand seiner Kommentare auf Steam die zunehmende psychische Verrohung von David S. nachzeichnen lassen, wie Spiegel TV in einem längeren Fernsehbeitrag berichtete. In dem am Sonntagabend auf RTL ausgestrahlten Bericht präsentieren die Spiegel TV-Redakteure gleich zwei Steam-Profile, welche David S. zum CounterStrike-Spielen benutzt haben soll, einmal als Nutzer „Neo Ger" und einmal als Nutzer „Hass".

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Wie Motherboard verifizieren konnte, ist zumindest ein Account mit dem Namen „Neo Ger" (und dem gleichen Profilbild wie im Spiegel TV-Beitrag) auf Steam mit einem Account befreundet, der denselben Namen trägt wie jener Instagram-Account, den der Redditor baudusau entdeckt hatte. Zwar ist das Profilbild dieses Steam-Accounts ein anderes als auf Instagram, allerdings findet sich derselbe Verweis auf den Amokläufer an der Columbine Highschool Eric Harris sowie diese Erklärung: „Ich bin nicht der Täter des Münchener Shootings und ich wusste auch nichts davon." (Auch auf Steam ist eine „Freundschaft" technisch nur nach einer gegenseitigen Annahme der Freundschaftsanfrage möglich.)

Ob baudusau nun seine Recherchen in Folge des Spiegel TV-Beitrags begonnen hat oder nicht (seinen ersten Redditpost tätigte er kurz nach der Ausstrahlung des Magazins): Er schien eine Person auffindig gemacht zu haben, die in irgendeiner Weise mit dem Münchner Attentäter in Verbindung stand. [Update, 18:00 Uhr: Wie baudusau mittlerweile gegenüber Motherboard erklärt hat, war er bereits nachmittags durch einen Artikel von Spiegel Online auf die Steam-Profile aufmerksam geworden]

Anscheinend hatte sich diese Person in mehreren großen sozialen Netzwerken mit ein- und demselben Nutzernamen angemeldet, denn man findet über dieses Pseudonym neben dem mittlerweile gelöschten Instagram-Account und dem Steam-Profil auch einen Google Plus-Account (mit Bildern von Eric Harris) sowie einen YouTube-Kanal, welcher auch auf dem Instagramprofil verlinkt worden war.

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Ein Blick in die Kommentarspalten dieses YouTube-Kanals offenbart: Auch hier wird der Nutzer zunächst verdächtigt, der Attentäter von München zu sein, woraufhin er dann erklärt, ein Freund von David S. gewesen zu sein.

An anderer Stelle schreibt der Nutzer: „Ich war mit David befreundet, wusste aber nichts von seinen Plänen, hab jetzt ne Menge Scheiße wegen ihm am Hals obwohl ich nichts gemacht habe. Ja, wir hatten die selben Interessen, heißt das direkt, dass ich der nächste Amokläufer bin? Nein. Ich weiß auch nicht ob David einen YouTube-Account hatte. "

In der Beschreibung seines YouTube-Accounts hat er den Text hinterlegt: „Ich habe keinerlei Informationen über den Shooter von München. Und ich bin auch keine wirkliche Gefahr für die Öffentlichkeit."

Wie mehrere Redditor im Thread von baudusau herausfinden, ist der YouTube-Account des angeblichen Freundes von David S. mit jeder Menge weiterer YouTube-Accounts befreundet, die sich dem Thema Amokläufe widmen und auf erschreckende Weise zumindest eine große Faszination für die Täter zeigen und Amokläufe anhand von Gaming-Videos nachstellen. Ein Redditor merkt an, dass mehrere dieser YouTube-Nutzer auf Steam mit dem mutmaßlichen Account von David S. befreundet seien. „Wie krank das alles ist. Hätte nie gedacht, dass es sowas wie eine Szene oder so gibt, oder dass sich diese Freaks auch noch untereinander vernetzen", schreibt Nutzer Alcatrutzt.

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„Ich kann leider nicht allzuviel sagen, aber ich wurde grade fünf Stunden vom LKA Berlin vernommen, und es wurde nach jetzigem Stand ein Amoklauf verhindert."

Mittlerweile haben sich auch Reddit-Moderatoren in den Thread eingeschaltet und rufen zu Besonnenheit auf: „Bei der Aufmerksamkeit, die das Thema gerade hat, möchte ich ungern die Usernamen der betroffenen Accounts stehen lassen. Wir brauchen keine Hetzjagd von /r/de aus. Wenn du die Usernamen zensierst oder rausnimmst, gebe ich deinen Kommentar wieder frei, bis dahin bleibt er gelöscht", erklärt einer von ihnen entschlossen.

Baudusau meldet sich schließlich Dienstagabend nach längerer Funkstille zurück: „Ich kann leider nicht allzuviel sagen, aber ich wurde grade fünf Stunden vom LKA Berlin vernommen, und es wurde nach jetzigem Stand ein Amoklauf verhindert."

Die Polizei Ludwigsburg hat in ihrer Presseerklärung mitgeteilt, dass in der elterlichen Wohnung des 15-Jährigen „umfangreiches Beweismaterial, darunter eine größere Anzahl Kleinkaliberpatronen, mehrere Messer und Dolche, Fluchtpläne der von ihm besuchten Schule, sowie eine größere Menge Chemikalien, Material und Anleitungen zur Herstellung von Sprengmitteln" gefunden worden seien. Der Jugendliche habe sich aber mittlerweile von entsprechenden Plänen einer Amoktat distanziert und befinde sich aktuell in einer jugendpsychiatrischen Einrichtung.

Wenige Stunden nach der Presseerklärung meldete sich dann auch baudusau mit seinen bisher letzten Statements auf Reddit: „Hey Leute, die letzten Tage waren echt anstrengend. Jetzt sitze ich endlich mit einem Bier bei meinem Bruder und freue mich, dass sich ja alles positiv entwickelt. […] Ich würde mich auch freuen, wenn der Betroffene jetzt erstmal in Ruhe gelassen wird. Die für mich schönste Nachricht des Tages war, dass er sich freiwillig in eine Jugendpsychiatrie hat einweisen lassen. Vielleicht schafft er es ja, aus seiner Gedankenwelt zu entkommen und sich den normalen Dingen des Lebens zuzuwenden."

Und während die Polizei uns noch immer nicht bestätigen wollte, dass es sich bei baudusau um den Hinweisgeber aus der Pressemitteilung handelt, ist das für die Redditnutzer schon längst klar—und vielleicht hat sich auch baudusau an dieser Stelle bereits heimlich, still und humorvoll als wohl größter Reddit-Ermittler des Jahres geoutet.

Johannes freut sich auf Twitter über weitere Hinweise zum Fall.