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Dieses Kreuzberger Refugee-Start-up baut italienische Designer-Möbel

In einem Startnext-Projekt aus Berlin bauen Flüchtlinge Design-Klassiker von Enzo Mari. Von dem Erlös werden Ausbildungsstipendien für die Refugees finanziert.
​Einer der Flüchtlinge mit einem Mari-Werkstück des Modells Sedia Uno. Alle Bilder: Cucula | Mit freundlicher Genehmigung

​Der Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland deckt das ganze Spektrum von echter Herzlichkeit über Ratlosigkeit bis hin zu  ​offenen Anfeindungen ab. All zu viele Deutsche—ob Bürger oder Behörden—gehen das ganze immer noch als Problem an, dem sie mit einer unbeholfenen Fragen begegnen: Aber was sollen wir denn mit „denen" machen?

Statt Flüchtlinge wie in Bayern in einem alten Möbelhaus unterzubringen, verfolgt eine Initiative des Jugendzentrums Schlesische27 in Berlin einen anderen pragmatischen Ansatz: ​Bei Cucula lernen fünf westafrikanische Flüchtlinge, Möbel zu bauen—und zwar nicht irgendwelche Möbel, sondern Designklassiker von Enzo Mari, der in den 1970er Jahren das Möbeldesign demokratisierte: „Wenn ich ein Objekt erschaffe, dann soll es mindestens 100 Jahre halten, besser noch 1000", sagte der italienische Designer.

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​Konstruktionspläne in den Ateliers am Flutgraben.

​Die Kunden können die Werkstücke kaufen und sichern damit nicht nur die Ausbildung der Möbelbauer aus Mali und Niger, sondern auch die Finanzierung der Gründungsphase des Unternehmens. Die Startnext-Kampage, die bald anlaufen soll, findet ihr hier.

Die Cucula Refugees Company for Craft and Design soll den Flüchtlingen konkrete Perspektiven geben und ihnen Fähigkeiten in der Konstruktion und Holzverarbeitung vermitteln, statt nur über sie zu debattieren. Sie sollen—während sie offiziell nicht arbeiten dürfen—so schnell wie möglich mit der Gesellschaft und der Arbeitswelt in Berührung kommen, indem ihnen ein handwerklich orientiertes Ausbildungs-, Kultur- und Bildungsprogramm geboten wird.

​Und ganz nebenbei sollen aus den Ateliers natürlich tolle Möbel entstehen, die sich „in noblen Villen, WGs, Büroetagen, Cafés und Zahnarztpraxen einnisten" sollen. Das Projekt ist keine Beschäftigungstherapie: Das ambitionierte Ziel ist es, nicht weniger als die beste Designmanufaktur an der Spree zu werden.

​Eine Bank als Werkstück, dessen Verkauf die Ausbildungsstipendien finanziert.

Begeistert von der Idee schenkte Enzo Mari den Kreuzbergern dann folglich auf der Designmesse in Mailand spontan die Produktionsrechte an seinen Stücken. Denn: „Design ist nur Design, wenn es Wissen vermittelt", wie der Gestalter einst sagte.

Frustriert von angeblich kapitalismuskritischen Studenten, die sich letztlich doch ein kreisförmiges Marmorbett mit Samtbezug wünschten, das von einem Kronleuchter in gedämpftes Licht getaucht würde, entwickelte Mari in den 70er Jahren einen anderen Ansatz: Er entschied sich für eine Serie von alltagstauglichen Möbeln, die er 1974 in einem Buch zum Selbstbau veröffentlichte. Autoprogrettazione zeigt Pläne für 19 verschiedene rustikale und langlebige Design-Möbelstücke, die aus Holzbrettern zusammengenagelt werden konnten: Regale, Betten, Schränke und den Stuhl „Sedia Uno".

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Jedem, der die Briefmarken zahlte, schickte Mari auf Anfrage die Konstruktionspläne zu. Eine Revolution, lange bevor IKEA zum allgegenwärtigen Möbellieferanten wurde.

​Das Team von Cucula. 

Ein Enzo Mari-Stuhl aus der Serie Autoprogrettazione.

Als Mari seine Kreationen anderen Designern vorstellte, konnten diese überhaupt nichts mit seinem Ansatz anfangen: Designstücke sollten doch dazu da sein, das Leben zu vereinfachen—und hier zwinge er seine Kunden, mehr Arbeit zu verrichten.

Enzo hielt dagegen, dass man durch den Bau etwas über Möbel und ihre Herstellung lernen würde, was dem gewöhnlichen Konsumenten verborgen bliebe, der sein Sofa nur auspackt und aufstellt.​

Diese Idee der Emanzipation durch Selbermachen möchte Cucula nun weitertragen. Die von Flüchtlingen gebauten Möbelstücke sind breite Holzstühle des Mari-Modells „Sedia Uno". Das Besondere: Die Flüchtlinge bauen Artefakte von ihrer Ozean-Überfahrt mit ein und erzählen so die Geschichte ihrer Reise.

Und die ein oder andere Geschichte über das Meer, über die Flucht quer durch die Sahara, über Krieg in Mali und Niger und italienische Auffanglager können Ali, Moussa, Maiga, Malik und Saidou sicher erzählen—die Konsumenten müssten nur bereit sein, zuhören.