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Nach Pazifik-Irrfahrt: Überlebenskünstler wegen Kannibalismus angeklagt

Die Geschichte eines Schiffbrüchigen, der 14 Monate auf dem Pazifik umhertrieb, dabei seinen einzigen Begleiter verlor und nun von dessen Familie verklagt wird.
José Salvador Alvarenga bei seiner Rückkehr nach El Salvador am 11. Februar 2014. Foto: Imago/Xinhua

José Salvador Alvarenga ist von der Familie seines schiffbrüchigen Kollegen Ezequiel Cordoba wegen Kannibalismus angeklagt worden. Angeblich hätte er die Leiche seines Mitreisenden auf der langen Pazifik-Irrfahrt der beiden, von der nur Alvarenga als Überlebender zurückkehrte, verspeist. Die Hinterblieben von Cordoba fordern nun eine Million Dollar von Alvarenga, der in einem kürzlich erschienenen Buch ausführlich beschrieben hat, wie die beiden monatelang gemeinsam dafür kämpften, nicht zu verhungern, zu verdursten oder dem Wahnsinn zu verfallen.

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Der 37-jährige Fischer aus El Salvador war im Januar 2014 auf den Marshallinseln gestrandet, nachdem er 438 Tage zuvor aus dem 12.500 Kilometer entfernten Mexiko zur Haifisch-Jagd aufgebrochen war. Er bestreitet die Vorwürfe des Kannibalismus vehement und lässt durch seinen Anwalt Ricardo Cucalon mitteilen, dass die Familie des Verstorbenen nur Schadensersatz einfordern will, um etwas vom Profit des Buches über sein Martyrium abzubekommen. Ob es wirklich zu einer Gerichtsverhandlung kommen wird, ist noch unklar.

„Ich hätte so etwas nie getan. Selbst wenn es bedeuten würde, dass ich verhungert wäre" erklärte Alvarenga letztes Jahr gegenüber der Daily Mail. „Es würde für immer mein Gewissen belasten. Er war völlig abgemagert, ich denke noch nicht mal, dass Haie ihn gegessen hätten."

Im Dezember 2012 hatte Alvarenga mit dem 22-jährigen Ezequiel Cordoba die Küste von Mexiko in einem acht Meter langen Glasfaserboot verlassen. Alvarenga ist Fischer und bezahlte den jungen Cordoba, ihm an diesem Morgen auszuhelfen. Damals ahnte keiner von ihnen, dass sie monatelang völlig alleine, ohne Orientierung und ohne Kommunikationsmöglichkeit auf dem offenen Meer treiben sollten.

Normalerweise nimmt Alveranga seinen erfahrenen Kollegen Ray Perez mit zum Fischen, eine wichtige Lebensgrundlage in seinem Heimatdorf. Doch an diesem Tag sagt Perez kurzfristig ab. Cordoba, genannt „Pinata", und Alvarenga hatten bis zu diesem Tag nicht einmal miteinander geredet, geschweige denn zusammen gefischt. Pinata war 22 Jahre jung und als Top-Verteidiger des heimischen Fußball-Teams bekannt. Er sagte zu, um sich 50 Dollar dazu zu verdienen.

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An jenem Morgen gerieten beide in einen Sturm, der das kleine Fischerboot weit auf's Meer hinaustrieb. Zwei Stunden nach Beginn des Unwetters gab Alvarenga seinen letzten Hilferuf per Funk durch. Während die beiden versuchten, das Boot gemeinsam durch die Fluten zu manövrieren, trieben sie immer weiter auf den Pazifik. Beim Kampf gegen die Wellen und den Wind verloren sie schließlich wichtiges Equipment: Ihre Vorräte, den Motor plus die gesamte Technik. Sie hatten weder ein Telefon, noch ein GPS-Gerät oder funktionierenden Funk an Bord, wie Alvarenga in seinem Buch erklärt.

Als sich der Sturm gelegt hatte, fing der tatsächliche Überlebenskampf jedoch erst richtig an: Ohne Angel und Hacken versuchte Alvarenga, Fische zu fangen. Dafür entwickelte er eine spezielle Technik: Am Bootsrand kniend spähte er nach Fischen, streckte dabei seine Arme ins Wasser und lehnte sich mit seinem Brustkorb an die Bootswand. Sobald er einen Fisch zwischen seinen Händen schwammen sah, schlug er sie zusammen und grub seine Fingernägel in die Kiemen des Fisches. Er hiefte die toten Fische ins Boot und schnitt sie mit einem Messer in kleine Streifen, die er an der Sonne trocknen lies. Cordoba und Alvaranges ernährten sich von rohem Fisch, manchmal, wenn sie Glück hatten, auch von Schildkrötenfleisch. Das Blut der Schildkröten tranken sie, um nicht zu dehydrieren.

Nach einiger Zeit fing Alvarenga an, seinen eigenen Urin zu trinken und ermutigte Cordoba dasselbe zu tun. Als erfahrener Seemann wusste er zwar, wie gefährlich es ist, Salzwasser zu trinken, dennoch hielt er sich mit seinem eigenen Urin am Leben. An glücklicheren Tagen regnete es und die beiden Schiffbrüchigen konnten das mit einem Eimer aufgefangene Wasser trinken, das sie streng rationierten.

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Mit der Zeit lernten sie, alle Dinge, die im Meer schwimmen, für ihren Überlebenskampf zu nutzen. Mit Plastik und Mülltüten fingen sie Regenwasser auf. In manchen der Mülltüten fanden die beiden sogar noch essbares Gemüse.

Nach zwei Monaten war Alvarenga immer besser darin geworden, Fische, Vögel und Schildkröten mit seinen bloßen Händen zu fangen, während Cordobas psychischer Zustand sich immer weiter verschlechterte. Cordoba wurde außerdem krank, nachdem er das rohe Fleisch einer Möwe gegessen hatte. Schließlich war er nicht mehr im Stande, Nahrung oder Flüssigkeiten zu sich zu nehmen.

Cordoba verlor immer mehr an Kraft, bis er eines Morgens in den Armen von Alvarenga verstarb. Sechs tage redete Alvarenga laut eigenen Angaben daraufhin auf den toten Körper ein, in der Hoffnung, er würde wieder aufwachen—bis er schließlich realisierte, dass Pinata tot war. Er zog ihm seine Kleider aus und behielt sie für sich, den leblosen Körper ließ er ins Wasser gleiten, schildert er gegenüber dem Guardian.

Nun war er allein. Sein Lebenswille und die Angst vor einem Suizid ließen ihn weiterkämpfen. Sein Glaube sagte ihm, dass er nach einem Suizid nicht in den Himmel käme. Also konzentrierte er sich vor allem auf mentale Übungen: Jeden morgen lief er auf seinem Boot auf und ab und stellte sich vor, er würde spazieren gehen. Außerdem widmete er sich der Sternenkunde und konnte anhand der Mondphasen bald bestimmen, wie lange er bereits auf dem offenen Meer trieb.

Eines Tages erkannte er am Horizont eine kleine Insel, erst hielt er sie für eine Halluzination, doch nach einiger Zeit verstand er, dass sie real war. Er durchtrennte die Seile der Bojen am Boot ab, um an Geschwindigkeit zu gewinnen und erreichte innerhalb von einer Stunde das kleine Fleckchen Erde. Er sprang ins Wasser und schwamm gen Land, bis ihn eine Welle ans Ufer spülte. Zum ersten Mal nach 14 Monaten hatte Alvarenga er wieder festen Boden unter seinen Füßen. 12.500 Kilometer von El Salvador war er auf den Marshallinseln gestrandet.