Hinter den Kulissen wird nun darum gerungen, wie der deutsche Staat weiterhin die Kontrolle über das sensible Wissen des Unternehmens behalten kann. Dabei dürfte der behördliche Wunsch nach strenger Regulierung des Firmenwissens der Vermarktbarkeit der Anteile teilweise diametral gegenüberstehen.Keiner kann sagen, wem Urenco in 10, 20 oder 30 Jahren gehört.
Eigentlich ist die Urananreicherungsfirma Urenco bewusst so kompliziert aufgebaut, dass genau so etwas niemals hätte passieren dürfen: Eigentümer sind je zu einem Drittel die deutschen Konzerne RWE und E.on, sowie Großbritannien und die Niederlande. Kontrolliert wird Urenco durch Gremien und Komitees aus den drei Staaten, eingebettet in ausgeklügelte Verträge und aufgespalten in verschiedene Abteilungen, die nur limitiert Informationen miteinander austauschen dürfen—Urenco soll eine Blackbox nach innen und außen bleiben.Der Grund: Mit den Zentrifugen, die Urenco herstellt, wird das spaltbare Uran 235 angereichert. Um Brennstoff für Atomkraftwerke herzustellen, braucht es einen Anreicherungsgrad von 5%. Die Zentrifugen-Technik kann aber auch höhere Anreicherungen von bis zu 80% oder 90% erreichen. Dann ist das Uran atombombentauglich.Auch ein lukratives Geschäft: Wie deutsche Banken an der Atomwaffen-Entwicklung mitverdienen
Gaszentrifugen in Piketon, Ohio, die zur Urananreicherung dienen; Bild: Wikimedia. Lizenz: Gemeinfrei.
Die atompolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen fragte nach genaueren Informationen dazu, mit welchen Maßnahmen der deutsche Staat sicherstellen will, dass nach dem Verkauf kein Geheimwissen abfließen kann. Klar ist, dass das Unternehmen vertraglich bisher dazu verpflichtet ist, kein waffenfähiges Uran zu produzieren—über das Wissen dazu verfügt man als einer der Weltmarktführer im Bereich der Anreicherungstechnologie freilich dennoch.„Auch der Zugriff auf schwächere Zentrifugentechnologie reicht schon, um die Welt in Atem zu halten."
Seit dem 30.6. liegt die Antwort der Bundesregierung vor und kann auch öffentlich eingesehen werden. Die deutsche Bundesregierung bestätigte erstmals unmissverständlich, dass die Kontrollrechte der Regierungen an Urenco in vollem Umfang erhalten bleiben sollen:NOISEY: K.I.Z. liefern mit ihrer neuen Single den Soundtrack für den Weltuntergang
„Die Verhandlungen mit den anderen Troika-Staaten Großbritannien und den Niederlanden zur Vorbereitung einer möglichen Veräußerung bzw. Privatisierung von Anteilen am trilateralen Anreicherungsunternehmen URENCO dauern an. Dabei geht es um die Schaffung eines Rechtsrahmens, der gewährleistet, dass im Falle einer Veräußerung an Dritte die bisherigen Kontrollrechte der Regierungen im vollen Umfang erhalten bleiben. Ein aktueller Inhalt der Gespräche ist dabei u.a. die Überlegung, diesen Rechtsrahmen im Wege eines niederländischen Gesetzgebungsvorhabens zu schaffen."
Aber wen ziehen die Eigner überhaupt als Käufer in Betracht und welche Regeln sollen wirklich verhindern, dass niemals Geheimwissen zur Atombombenentwicklung in falsche Hände gelangt? Da der Deutsche Bundestag seit der ersten Verkündung der Verkaufspläne bei den Planungen vollständig außen vor ist, bietet die Zukunft von Urenco weiterhin viel Raum für Spekulationen. Auf die Fragen von Motherboard wollte sich bei Urenco offiziell niemand äußern.Verkaufsumme: 10 bis 15 Milliarden Euro. Verhandlungsdetails um Auflagen: unbekannt.
„Bisher sind die Verhandlungen eine Blackbox. Das Parlament weiß weder, nach welchen Kriterien potentielle Käufer ausgesucht werden, noch welche Maßstäbe für den Verkauf und eine mögliche Organisationsstruktur angelegt werden", so Kotting-Uhl. Es geht allerdings auch anders: In den Niederlanden zum Beispiel ist das Parlament ebenfalls Anteilseigner von Urenco. Dort wird in der Öffentlichkeit wesentlich leidenschaftlicher und auch umfassender zum Thema debattiert und informiert.
Bild: UAA Nee; FlickR. Lizenz: CC BY SA 2.0
„Keiner kann sagen, wem Urenco in 10, 20 oder 30 Jahren gehört", so Kotting-Uhl. Vertragskriterien könnten „nach und nach aufgeweicht werden." Das Beste sei deswegen, „wenn der deutsche Standort in Gronau geschlossen und damit die Urananreicherung in Deutschland endlich eingestellt wird." Das gehöre laut Kotting-Uhl zu einem ehrlichen Atomausstieg dazu.Ebenfalls wenig beruhigend: Das US-Atomwaffenarsenal wird noch immer mit 8-Zoll-Disketten gesteuert
Urenco-Chef Helmut Engelbrecht hat derweil andere Pläne: Anfang Juni äußerte er sich zu neuen Absatzmärkten für Brennstäbe: China oder die Ukraine ganz vorne mit dabei. Weltweit würden heute mehr als 30 Reaktoren gebaut. Brennstäbe und Nuklear-Knowhow aus Deutschland sind gefragt. Bisher nicht betroffen vom Atomausstieg will Urenco die „Kapazitäten [der westfälischen Anreicherungsanlage] so lange nutzen, wie sie uns zur Verfügung stehen", so Urenco-Boss Helmut Engelbrecht gegenüber der Wirtschaftswoche.Engelbrecht legitimierte das Geschäftsfeld seiner Firma dann auch gleich mit einem kleinen, aber feinen Definitionsunterschied: Deutschland habe zwar beschlossen, auf die Kernenergie zur Produktion von Strom zu verzichten, aber nicht, aus der Kernenergie an sich auszusteigen. So beliefert das Unternehmen unter anderem auch den Fukushima-Eigner Tepco, während die deutsche Regierung stolz den Abschied von Kernkraftwerken in Deutschland verkündet. Gleichzeitig weisen lokale Initiativen darauf hin, dass dank der andauernden und unbefristeten Urananreichung in Gronau die Gefahr besteht, dass in Westfalen effektiv ein oberirdisches Endlager für Atommüll entstehen könnte.Weitere Pläne in der Pipeline des Unternehmens: Ab 2016 soll es zusätzlich Urantransporte von Gronau ins britische Capenhurst geben—ab Ende 2015 soll dort vom Unternehmen selbst eine weitere Dekonversationsanlage betrieben werden.Der eigentliche Knackpunkt, den das Uranunternehmen in seiner Öffentlichkeitsarbeit immer wieder geschickt umschifft, den die Geschichte aber bereits bewiesen hat: Man kann zivile und militärische Nutzung von Atomenergie nicht wirklich trennen—Wissen und Knowhow vom Atombombenbau ist immer auch eine machtpolitische Option und ein riskantes Spiel mit dem nuklearen Feuer.Deutsche Brennstäbe sind gefragt. Die Absätzmärkte der Zukunft sieht Urenco in China und der Ukraine.