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Sex

10 Fragen an einen alten Mann, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Wie bereitest du dich auf den Tod vor? Was findest du an jungen Menschen von heute scheiße? Hast du noch Sex?

Alt zu sein, heißt heute nicht unbedingt, vor 1950 geboren worden zu sein. Alter ist auch eine Frage des Gefühls: Wer denkt, früher sei alles besser gewesen und sich regelmäßig den Seniorenteller bestellt, entscheidet sich wohl bewusst, zu "den Alten" zu gehören.

Früher war die Trennlinie klarer: Wenn du in Rente gingst, warst du alt. Aber heute leben wir in Deutschland immer länger. Laut einer Analyse der Uni Köln kann fast jedes vierte im Jahr 2016 geborene Mädchen 100 Jahre alt werden. Und Rentner fühlen sich nicht zwingend schon an ihrem "Lebensabend" angekommen. Die Gesellschaft sucht einen Weg, die "älteren Semester" weiter teilhaben zu lassen und sie aktiv einzubinden.

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Jochen Naumann hat zwar die historische Jahreszahl 1945 im Perso stehen—"das schlimmste Jahr des vergangenen Jahrhunderts", wie er sagt—, ist aber noch voll eingespannt: Er ist Vorsitzender des Kinderschutzbundes und des Mehrgenerationenhauses in Frechen bei Köln. Trotzdem fühlt er sich auch als einer der "Alten".

In meinem kurdischen Kulturkreis küsst man älteren Menschen aus Respekt zur Begrüßung die Hand und stellt ihnen keine zu intimen Fragen. Für VICE habe ich mal eine Ausnahme gemacht und mit Jochen Naumann über das Altwerden gesprochen.

Jochen im Mehrgenerationenhaus | Fotos von der Autorin

VICE: Hast du Angst vor dem Tod?
Jochen: Nein. Vorm Sterben habe ich aber Angst. Der Tod ist so sicher wie die Geburt. Ich bin religiös fest verwurzelt und glaube an das ewiges Leben. Dass das anders aussieht, als es in der Bibel steht, ist mir klar, aber ich habe Hoffnung. Nur vor der Sterbesituation habe ich Angst. Ich kann damit rational umgehen, angstfrei darüber reden. Aber ich bin mir sicher, dass ich, wenn es so weit ist, genauso wenig sterben will wie jeder andere auch.

Findest du alte Menschen manchmal selber nervig?
Ja! Unheimlich oft drehen sich Gespräche nur um Krankheiten und Arztbesuche. Das wird episch durchgekaut: "Der Arzt ist aber scheiße, da habe ich dieses und jenes erlebt." Das macht mich wahnsinnig. Ich bin persönlich auch davon betroffen, muss auch vierteljährlich zum Arzt—Bücken oder langes Stehen bereiten mir große Probleme. Aber ich erzähle viel lieber von all dem, was ich noch kann. Ich soll aber abnehmen, was das Schlimmste ist. Jedes Mal, wenn ich mir das vornehme, werde ich dicker. Dann geht mir auch ein gewisser Altersstarrsinn auf den Senkel, von dem ich auch nicht ganz frei bin. Man hat häufig Erfahrungen gemacht, die sich immer wieder bestätigen und durch diese Bestätigung verliert man die Lust, Dinge in Frage zu stellen. Das kann gefährliche Pauschalisierungen zur Folge haben.

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Bist du verbittert?
Nö. Ich ärgere mich manchmal über Dinge und Ereignisse, die ich nicht beeinflussen kann. Im Großen und Ganzen bin ich aber ein ziemlich optimistischer Mensch. Treu nach dem rheinischen Motto: "Et hätt noch immer jot jejange."

Was findest du an jungen Menschen von heute scheiße?
Erstmal kleiden sie sich unmöglich. Also dass Frauen und auch Männer mit kaputten Hosen rumlaufen, halte ich für total bescheuert. Ich sammle immer ein bisschen Kleingeld und gebe es den fremden Leuten mit zerrissenen Hosen—das habe ich bis jetzt aber auch erst zwei Mal gemacht. Als kleine Spende, damit sie sich eine anständige Hose kaufen können. Aber so wurden wir in unserer Jugend auch schon behandelt. Als ich zwischen 25 und 30 war, kamen die Miniröcke auf. Da haben sich die damaligen Alten auch die Mäuler über diese kurzen Röcke zerrissen. Das Klagen über die Unmöglichkeit und Verdorbenheit der Jugend versetzt sich von Generation zu Generation, das ist seit Sokrates so. Was mich aber ganz besonders an der heutigen Jugend stört, ist, dass sie sich viel zu sehr anpasst und zu wenig Widerstand leistet. Junge Menschen sollten daran arbeiten, ihre Zukunft mitzugestalten. Ich erwarte von Jugendorganisationen in politischen Parteien viel mehr Aufmüpfigkeit. Zu meiner Zeit wollten wir die Gesellschaft verändern, alles dafür tun, dass es Arbeitnehmern besser geht, ihnen Pein und Not wegnehmen. Und wenn alles nicht helfen würde, wollten wir die Industrie verstaatlichen. Das war total bescheuert und realitätsfern, aber wir haben wenigstens daran gearbeitet, etwas zu verändern. Heutzutage sind die jungen Menschen vollkommen angepasst. Das stört mich wirklich sehr.

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Hast du noch Sex?
Sex ist im hohen Alter auch noch ein Thema—zumindest gedanklich [lacht]. Es hört nie auf, dass darüber nachgedacht wird, aber die Realisierung ist vorbei. Es kommt nur noch auf die Gefühlswelt beim Sex an. Der Sex reduziert sich auf Zärtlichkeit, Liebe und darauf, füreinander viel Gutes zu tun, aber nicht mehr auf den Orgasmus. Es gibt keinen Knalleffekt und man hat von einem Tag auf den anderen keinen Sex mehr. Die Abnahme der sexuellen Potenz ist ein schleichender Prozess, der allerdings auch mit einem nicht mehr so starken Drang nach Befriedigung einhergeht. Man kann im Grunde genommen im hohen Alter sehr unbefangen darüber nachdenken, ohne es in die Realität umzusetzen.

Wie bereitest du dich auf den Tod vor?
In erster Linie durch Verdrängung. Jeder muss in die Kiste springen, das weiß man, aber man setzt sich damit nicht auseinander. Es ist unangenehm, das möchte man nicht. Niemand bereitet sich wirklich auf den eigenen Tod vor.

Nutzt du es manchmal aus, dass du alt bist?
Natürlich! Ich benutze das Internet, aber ich muss nicht alles mitmachen. Da bin ich auch zu faul, um alles neu zu lernen. Ich lehne es auch ab, zu Facebook zu gehen. Deswegen bin ich auch nicht bei WhatsApp oder bei anderen sozialen Netzwerken, die zunehmend zu asozialen Netzwerken werden. Ich als Rentner kann mir das leisten. Wenn mein E-Mail-Postfach überquillt, ist mir das auch egal.

Ist das Leben langweilig, wenn man alt ist?
Sehr viele alte Menschen verbringen ihren Tag damit, durch die Stadt zu gehen, Leute zu treffen und zu Hause Essen zuzubereiten. Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Beim Seniorentreff im Mehrgenerationenhaus erzählen manche, dass sie nach dem Frühstück weiter zur Awo mittagessen gehen. Diese Leute sieht man auch immer in der Stadt in Cafés rumsitzen. Eigentlich verbringen sie ihren Tag relativ planlos. Ich bin recht früh in den Ruhestand gegangen, um mich intensiv um die Arbeit im Mehrgenerationenhaus und Kinderschutzbund zu kümmern. Das halte ich persönlich für sinnvoll. Wenn ich den ganzen Tag spazieren gehen müsste, würde ich verrückt werden.

Warum reden alte Leute so viel von früher?
Wenn man jung ist, denkt man an die Zukunft. Man gestaltet seine Zukunft, sein eigenes Leben. Je älter man wird, desto mehr hat man von diesem zukünftigen Leben hinter sich. Die Zukunft wird immer geringer, aber die Vergangenheit wird immer größer. Daher kommt es, dass die Leute so viel von damals reden, weil sie selbst so wenig Zukunft vor sich haben.

Was wird von dir bleiben, wenn du mal nicht mehr da bist?
Die Erinnerung. Und die wird dann immer mehr abnehmen. Vielleicht werden sich meine Kinder das ein oder andere Mal an mich erinnern. Wenn es uns in den nächsten vier Jahren gelingt, den Kinderschutzbund und das Mehrgenerationenhaus weiterzutragen, bleibt auch das.

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