Das Leben im Supermarkt ist wahnsinnig

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Arbeit

Das Leben im Supermarkt ist wahnsinnig

Sex auf dem Parkplatz, handgreifliche Kunden und Polizisten, die Süßigkeiten klauen: Als Aushilfe an der Kasse wird es nie langweilig.

Vor fünf Jahren arbeitete ich kurz als Supermarktkassiererin in meiner Heimatstadt Renesse, einem kleinen Ort in den Niederlanden. Es war nicht unbedingt mein großer Traum, Weichspüler und Tiefkühlerbsen zu scannen, sondern ich wollte mir einfach ein Jahr Auszeit gönnen – jeden Tag bis nachmittags schlafen und den ganzen Tag fernsehen. Meine Eltern hielten das für keine gute Idee.

Ich bewarb mich und sollte am nächsten Montag sofort anfangen. Produkte scannen, Gemüse abwiegen und Tabak verkaufen– was könnte schon so schwer daran sein?

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Über dieses anfängliche Selbstvertrauen kann ich rückblickend nur lachen. Ich hatte ja keine Ahnung, mit was sich Kassierer alles rumschlagen müssen. Allerdings muss ich gestehen, dass meine Erfahrungen vielleicht nicht mit anderen Städten vergleichbar sind.

Alle Illustrationen von Titia Hoogendoorn.

Renesse ist schon ein besonderer Ort, eine kleine Küstenstadt, wo viele vom Tourismus leben. Während der Hochsaison war der Supermarkt abhängig von den Urlaubern, darunter auch viele junge Leute, die sich – fernab von ihren Eltern – ins Koma gesoffen haben. Seitdem hat sich viel verändert, heute kommen eher junge Familien hierher, aber damals kamen an meiner Kasse nur Idioten vorbei.

In den ersten zwei Wochen lernte ich meine Heimatstadt viel besser kennen: Ich wusste genau, wer Alkoholiker war und was sie am liebsten tranken, wer von den Senioren immer wieder „aus Versehen" Käse in den Korb des Rollators packte und welche Kunden Woche für Woche denselben Witz rissen und erwarteten, dass ich jedes Mal genauso laut und aufrichtig lachte wie beim ersten Mal.

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Mir wurde ziemlich schnell klar, dass die meisten einen für ganz schön blöd halten, wenn man an der Kasse arbeitet. Jeden Tag meinten ein paar zu mir: „So, so … du arbeitest jetzt also hier? Was halten denn deine Eltern davon?" Einer blaffte mich mal an: „Hättest du mal in der Schule besser aufgepasst und einen Beruf gelernt", weil er fand, dass ich mit seinem Einkauf zu grob umging. Viele Kunden fanden es außerdem vollkommen normal, mein Aussehen ungefragt zu kommentieren: „Du bist so ein hübsches Mädchen… warum trägst du bloß einen Nasenring?"

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Ich erinnere mich noch genau, wie an einem Abend eine meiner Kolleginnen einer Kundin half, die dachte, dass sie ihr Portemonnaie auf das Kassenband zwischen die Lebensmittel gepackt hätte. Als sie es nicht finden konnte, brach sie in Panik aus und anstatt richtig danach zu suchen, beschuldigte sie meine Kollegin, dass sie es gestohlen hätte: „Gib es zurück! Ich weiß, dass du es hast. Tu mal nicht so scheinheilig!" Gerade als sie unseren Vorgesetzten anrufen wollte, tippte ihr der Typ hinter ihr auf die Schulter und meinte: „Junge Frau, ihr Portemonnaie liegt in ihrem Einkaufskorb."

Die Touristen respektierten uns auch nicht wirklich. Eine meiner Kolleginnen versuchte einmal, einem Kunden zu helfen und sagte ihm, wo der Geldautomat sei. „Ich habe Augen im Kopf, du krebskranke Hure", meinte er nur zu ihr. Als sie ihm dann keine Zigaretten verkaufen wollte, drohte er, sie umzubringen, stürmte nach draußen und schlug ein Fenster ein.

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Mit all diesen Dingen konnte ich irgendwie noch umgehen: Ich war zwar angenervt, aber ich konnte meinen Frust mit zwei großartigen Kollegen teilen (einer von ihnen hat sogar eine Facebook-Seite gegründet, wo viele Kassierer ihren Frust einfach weglachen). Man nannte uns drei „Die drei Musketiere".

Manchmal wollte ich zwar lieber heulen als lachen, doch sobald ich meine Probleme bei der Mittagspause mit anderen teilen konnte, fühlte ich mich sofort besser. Das war gerade an Tagen, wenn mich Leute angeschrien haben, weil ich ihnen keinen Alkohol verkauft habe („Willst du mir meinen Urlaub versauen, du Schlampe?"), oder wenn Kunden über mich geredet haben, als würde ich sie nicht hören können („Sie ist nicht die Schnellste, hm? Sie glaubt wohl, wir hätten ewig Zeit.") dringend nötig.

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Oft habe ich Leute beim Klauen erwischt, besonders in der Süßigkeitenabteilung haben sie sich die Taschen mit Süßkram vollgestopft. Noch verrückter wurde es, als ich einen Polizisten dabei erwischte, wie er sich gerade ein Gummibärchen in den Mund steckte. Er verteidigte sich mit den berühmten Worten: „Es war ja nur eins!"

Ich weiß auch immer noch nicht, ob ich dankbar oder enttäuscht sein soll, dass ich nicht an dem historischen Tag dort gearbeitet habe, als ein Paar auf dem Parkplatz gevögelt hat. Als sie nicht gehen wollten, um ihr Abenteuer woanders fortzuführen, schüttete einer meiner Kollegen einen Eimer kaltes Wasser über sie. Das hat geholfen.

Manchmal ging es richtig schlimm zu: Ein betrunkener Touri hat mir mal an die Möpse gefasst, während ich seinen Dosenfraß gescannt habe. Ich konnte mich nur schwer zurückhalten, ihn nicht über die Tresen zu ziehen, stattdessen drückte ich seine Hand weg. „Fassen Sie mich nicht an, lassen Sie Ihre Hände, wo sie hingehören", meinte ich höflich zu ihm – doch er versuchte es noch mal. Er bekam Hausverbot von meinem Chef. Die Leute hinter ihm in der Schlange standen nur rum und guckten dämlich, als sei das völlig normal.

Insgesamt habe ich achte Monate da gearbeitet. Nach dieser Zeit war mein Mund zu einem ständigen, gezwungenen Lächeln verzogen und ich wurde in meinen Träumen von den Piep-Geräuschen und Kunden, die vergessen hatten, ihr Obst und Gemüse zu wiegen, heimgesucht. Ich kündigte, weil mich der Job zu einem verbitterten Menschen machte.

Schon bevor ich im Supermarkt gearbeitet habe, war ich immer freundlich zu den Mitarbeitern, aber seitdem versuche ich das noch mehr als vorher. Merkt euch eins: Man kann einfach keinen guten Service erwarten, wenn man die Person an der Kasse wie ein Stück Scheiße behandelt.