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Bundesanwaltschaft besteht darauf, dass der Telegram-Hack legal ist

Terror-Prozess gegen die „Oldschool Society“ (OSS): Der Vertreter der obersten Staatsanwaltschaft verteidigt die Methode des BKA zum Knacken von Telegram-Accounts. Unserer Analyse nach ist sie jedoch illegal.

Mit großem Aufschlag begann im April 2016 der Terror-Prozess gegen die „Oldschool Society" (OSS). Die Neonazis der OSS besprachen per Telegram-Chat den bewaffneten Kampf gegen Salafisten und Sprengstoffanschläge auf den Kölner Dom oder Einkaufszentren, „um das Ausländern und Salafisten in die Schuhe zu schieben" und damit eine fremdenfeindliche Stimmung anzuheizen. Doch bevor sie ihre Pläne in die Tat umsetzen konnte, wird die Gruppe gerade noch gestoppt – die Ermittler schlagen zu, kurz bevor es zu einem Sprengstoffanschlag auf eine von Geflüchteten bewohnte Unterkunft kommen kann. Mit einer Razzia zerschlagen sie die Truppe. Vier der Neonazis werden in Untersuchungshaft genommen und müssen sich jetzt in München vor dem Oberlandesgericht dafür verantworten, die mutmaßliche Terrorgruppe gelenkt zu haben. Gegen sechs weitere Personen laufen die Ermittlungen noch.

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Vor dem Zugriff wurde die OSS umfangreich überwacht. Es gelingt dem Bundeskriminalamt (BKA) nicht nur, einen verdeckten Ermittler einzuschleusen, sondern auch, die Telegram-Accounts der Nazis zu knacken. Wegen der eigentlich sicheren Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wiegt sich die Gruppe in Sicherheit. Diese Erkenntnis markiert eine überraschende Wende im Prozess: Plötzlich geht es nicht mehr nur um rechten Terrorismus, sondern eine bis dahin unbekannte Abhörmaßnahme im Repertoire deutscher Ermittler kommt ans Licht, deren Legalität heftig umstritten ist. Die Verteidiger der Neonazis pochen darauf, dass das Vorgehen illegal ist. Am vergangenen Mittwoch wurde nun mit Spannung erwartet, wie die Bundesanwaltschaft (BAW) kurz vor Ende des Prozesses zu der Sache steht.

Unsere Analyse, dass dieser Hack illegal war, greift die Bundesanwaltschaft in ihrem Plädoyer auf—und besteht erneut auf der Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Allerdings liefert sie keine neuen Argumente. Die Ermittler hätten schlicht auf den Datenbestand der Telegram-Server zugegriffen, wie das bei einer zulässigen Überwachung eines E-Mail-Accounts geschehen würde.

Doch das sehen verschiedene unabhängige Rechtsexperten anders: Sie lieferten uns mehrere Gründe, warum das Kapern der Accounts illegal ist. Ein Beispiel: Der Paragraph 100a der Strafprozessordnung erlaubt nur passives Mithören, nicht aber eine „aktive Ausleitung" der Kommunikation. Genau das passiert in diesem Fall aber: Für den Eingriff müssen die Ermittler zunächst vortäuschen, der berechtigte Nutzer zu sein, dann umgehen sie den Dienstanbieter und zapfen die Leitung heimlich an. Zuletzt verschleiern sie die Maßnahme, indem sie den berechtigten Nutzer einfach aus seinem Account schmeißen. Der muss sich dann neu anmelden. Das alles ist in der Strafprozessordnung nicht vorgesehen.

Noch immer hat sich keiner der Richter zur Telegram-Sache geäußert. Vielleicht muss das Gericht das auch gar nicht: Denn für eine Verurteilung könnten die Richter einfach nur die Chats heranziehen, die bei den Razzien auf den Handys sichergestellt wurden, um die Verwertung der abgehörten Chats zu umgehen.

Nach Auffassung der Verteidiger müsste ein illegales Vorgehen mildernde Auswirkungen auf das Strafmaß haben. Ob das Gericht das genauso sieht, bleibt abzuwarten. In jedem Fall wird die Urteilsverkündung somit nicht nur für die Mitglieder der OSS spannend.