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Essen

Was passiert mit unserem Fleisch, wenn Schlachten nicht mehr cool ist?

Ich bin eine Metzgerin der vierten Generation und ich habe miterlebt, wie das Handwerk zum hipsten Beruf in der kulinarischen Welt wurde. Aber ich habe Angst, dass die Beliebtheit den Sinn von bereits vor diesem Trend existierenden, kleinen...
Foto: Cara Nicoletti

Obwohl ich als Kind großes Interesse am Schlachten gezeigt habe, wollte mir mein Großvater nie großartig zeigen, was in seiner Fleischerei vor sich geht. Ich bin eine Frau, was ich damals auch für die Ursache dafür hielt, aber mit der Zeit wurde mir klar, dass er mich einfach vor dem—seiner Erfahrung nach—harten Geschäft beschützen wollte. Als ich ihm von meinem Wunsch, Metzgerin zu werden, erzählte, war seine Antwort: „Ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet, damit du mit sauberen Händen an einem Schreibtisch sitzen kannst." Und das habe ich auch wirklich versucht, aber es hat so einfach nicht funktioniert.

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1951 eröffnete mein Uropa Jankel Salutski eine Fleischerei in der Salem Street in Boston. Der Laden war eher klein—ungefähr 110m²—und die freistehenden Fleischerblöcke so kurz, dass die Tiere auf beiden Seiten überstanden. Er betrieb den Laden namens Salett's zusammen mit seinem Bruder Abe und seinen zwei Söhnen, meinem Großonkel Morris „Bobby" und meinem Opa Seymour. Mit Ausnahme des Rinds, das aus dem Westen kam, stammten alle Tiere von örtlichen Lieferanten und wurden in familienbetriebenen Schlachthäusern der benachbarten Stadt getötet und verarbeitet. Die Tiere kamen im Ganzen, in Hälften oder in Vierteln und die Salutskis, die das Handwerk während ihrer harten Kindheit in Polen erlernt hatten, verbrachten ganze Tage damit, diese sorgfältig auseinanderzunehmen, sodass nichts verschwendet wurde. Damals bestand das Klientel meistens aus Immigranten—Mütter und Witwen, die für ihre Familien kochten. Diese Kundschaft kannte sich mit der Zerlegung von Fleisch aus: Sie wussten genau, was sie wollen, von welchem Tier was stammt und wie man selbst das minderwertigste Fleisch in etwas Leckeres verwandelt. Es wurden ganze Behälter voller Lungen, Herzen, Gelenke, Lebern, Hufen und Lippen verkauft—am Ende jeder Woche war im Salett's nur noch Staub vorzufinden.

Photos courtesy of Cara Nicoletti

Cara zusammen mit ihrem Großvater. Alle Fotos: Cara Nicoletti.

Das ursprüngliche Salett's brannte 1970 ab und die Salutskis eröffneten einen moderneren Laden in Newton, einer Kleinstadt außerhalb von Boston. Zu der Zeit gab es bereits ein Umdenken in Bezug auf Fleisch oder wie es mein Opa ausdrückt, in Bezug darauf, „was die Leute als ‚sauber' ansehen." Dank einer groß angelegten Marketingkampagne waren Supermärkte nicht mehr nur praktisch, sie waren ein Symbol der amerikanischen Demokratie und Genialität. 1960 fanden bereits 70% der Lebensmitteleinkäufe in den USA in Supermärkten statt, wo in Cellophan eingewickelte Steaks die erwartete Norm darstellten. Im Gegensatz zu Salett's wurden die Supermärkte vom Landwirtschaftsministerium der USA überwacht, welches eine andere Meinung als meine Familie darüber hatte, was „gut" und was „schlecht" ist. Wir sahen alle Teile des Tieres als gleich gut essbar an. Als sich die Leute an dieses Bewertungssystem der Supermärkte gewöhnt hatten, verkaufte das Salett's keine Schlachtabfälle mehr, da die neue Kundschaft diese als ekelhaft betrachtete. Ich fand das super, weil immer etwas gehackte Leber auf Crackern oder Rinderzunge auf Weißbrot übrig geblieben war, wenn ich am Nachmittag in den Laden schaute. Die Kunden fingen an, sich darüber zu beschweren, dass die geschlachteten Tiere im Laden aufgehängt wurden—ein zu blutiger Anblick für sie. Mein Großvater verlagerte die gesamte Verarbeitung des Fleisches in einen hinteren Raum, der durch schwere Metalltüren blickdicht gemacht wurde. Unter all diesen Umständen erschien das Fleisch wie ein Stück Magie in Kühltheken—gewalzt, zurechtgemacht, eingeschweißt und bereit, von Betty, der Kassiererin, auf der nicht ein Tropfen Blut zu finden war, abgerechnet zu werden.

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Photo courtesy of Cara Nicoletti

Als ich 2004 nach New York gezogen bin, fing ich sofort mit der Arbeit in Küchen an, um mir meine College-Ausbildung zu finanzieren. Zwischen Vorlesungen arbeitete ich als Barista, öffnete Austern, richtete Salate an und zerlegte Hühner. Meine Studienkollegen machten mehrere unbezahlte Praktika bei Verlagen und ich war deswegen grün vor Neid, denn ihre Chancen auf einen gut bezahlten Bürojob nach unserem Abschluss schienen viel höher als meine. Als im Jahr 2008 die Wirtschaft ihren Tiefpunkt erreichte, kamen viele meiner Kommilitonen (zusammen mit mir) zu der Erkenntnis, dass ihnen ein geisteswissenschaftliches Studium nicht wirklich zu einer Arbeit verhelfen wird. Also fingen sie an, darüber nachzudenken, wie ihnen ihre bloßen Hände beim Abbezahlen des Studienkredits behilflich sein könnten. Die Zahl der Bewerber an Kochschulen ging schlagartig nach oben und plötzlich kamen die jungen Menschen in Scharen in die Restaurants, wo ich arbeitete, und suchten nach Arbeit—sogar ohne Bezahlung, wenn sie nur etwas beigebracht bekommen. Ich wurde nicht mehr gefragt, was ich neben dem Kochen später wirklich mal machen will. Es war nun ‚cooler als jemals zuvor' und die Köche übertrafen sich selbst, um aus der immer weiter wachsenden Masse an aufkeimenden Talenten herauszustechen.

2009 gab es diesen Moment, in dem die New York Times Metzger als die neuen „Rockstars" bezeichnete, und jede Lebensmittel-Zeitschrift und -Website schien in die selbe Kerbe zu schlagen. Ich war erstaunt darüber, wie sehr mich diese neue Schule des Schlachtens an das ursprüngliche Salett's erinnerte—mit ihrem Fokus auf örtliche Lieferanten, ganze Tiere und deren komplette Verwendung. Der Unterschied war allerdings der ethische Standpunkt dieser neuen Metzger: Ihre Tiere wurden auf einer Weide großgezogen, mit Gras gefüttert, human geschlachtet und jedes Teil von ihnen wurde genutzt. Und das nicht nur, weil die „schlechten" Teile ebenfalls lecker schmeckten, sondern auch aus Respekt vor dem Tier. Diese neue Art zu denken erfreute mich am meisten und hielt mich ganze Nächte lang wach, in denen ich viel über Fleisch las. So kam ich 2010 auch zur Metzgerei „The Meat Hook" in Brooklyn—deren Besitzer zu den Pionieren der ethischen und nachhaltigen Fleischbewegung gehören—und fragte, ob ich dort an meinen freien Tagen ohne Bezahlung arbeiten könne. Seitdem gehöre ich zum Team und mein Glaube an das, was wir tun, ist nur noch stärker geworden.

Photo courtesy of Cara Nicoletti

Aber der Coolness-Faktor von Fleisch und dem Schlachten ist seit 2008 nicht zurückgegangen. Wenn überhaupt, dann scheint die Presse nur noch mehr darüber zu schreiben. Der Trend des Fleisches—das Draufgängerische von Blut und Innereien—ist scheinbar wichtiger als die eigentliche Botschaft: mehr, aber mit Bedacht essen. Vor allem Schweine scheinen Opfer dieses neuen Trends des Fetischisierens von Fleisch zu sein. Quasi jedes Mal, wenn ich den Fernseher einschalte, wird die Show „KNIFE FIGHT" beworben. Bestandteil dieser ist eine Gruppe von beleibten Köchen, die wahllos kleine Ferkel auf ihre Schneidebretter hauen. 2012 nahm eine Fastfood-Kette einen Eisbecher mit Speck in ihre Speisekarte auf und während des Superbowls lief eine Werbung, in der ein Mann Speck buchstäblich geheiratet hat. Sogar Vicki Gunvalson, Star der Sendung Real Housewives of Orange County, veröffentlichte einen Wodka mit Speckgeschmack, den sie zur Zubereitung eines Drinks namens „The Bloody Piggy" verwendet. Frag mich besser nicht, woher ich das alles weiß. Selbst wenn der Speck in diesen Produkten von ethisch aufgezogenen Tieren stammen würde, wie es am Anfang dieses Trends noch der Fall war … Muss der wirklich auf deinen Donut 'rauf?

Photos courtesy of Cara Nicoletti

Vor Kurzem las ich einen Artikel über Esquires Buch „Eat Like a Man", in welchem Josh Ozersky behauptet, dass alle mit Gras gefütterten Rinder „traurige und kräftige Kreaturen" seien, „deren Fetthaltigkeit oder Zartheit nicht über die einer großen Ansammlung von lebendem Trockenfleisch hinausgeht". Jeder, der einmal mit qualitativ hochwertigem, grasgefüttertem Rindfleisch gearbeitet hat, weiß, dass das nicht stimmt. Es ließ mich aber darüber nachdenken, was die nächste Phase dieses Fleischwahns beinhaltet. Folgendes bereitet mir am meisten Sorgen: Die Gegenreaktion wird womöglich so groß sein, dass eine Bewegung zunichte gemacht wird, für die viele Menschen hart gearbeitet haben und Sorge um unsere Nahrungssysteme die Basis war. Wird diese Aussage wieder das nächste coole Ding beim Essen: „Es ist mir egal, wo mein Fleisch herkommt und wie es produziert wurde. Hauptsache, es schmeckt!"?