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Tag der Anarchie: St. Patrick's Day in den USA

Alkoholvergiftungen, sexuelle Übergriffe, Vandalismus und gewalttätige Ausschreitungen: Am St. Patrick's Day vergessen die Amerikaner alles um sich herum und das Chaos bricht aus. Was hat das mit irischer Tradition zu tun?
Photo via Hilaria Baldwin/Instagram

Am St. Patrick's Day wird gemäß alter irischer Tradition jedes Jahr der Schutzheilige der Insel gefeiert. In Irland heißt das: Straßenumzüge, Familienessen und überhaupt zelebriert man die irische Kultur bei einem Pint oder ein paar mehr im Pub um die Ecke.

In den USA wurde die Tradition jedoch in jüngster Zeit etwas abgewandelt: Jedes Jahr an St. Patrick's Day besaufen sich die Amerikaner, grölen „Erin go bragh", kleiden sich komplett in Grün und die Städte werden von Guinness—und Urin—überflutet.

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Und wenn ich besaufen sage, dann meine ich hemmungslos und zwar so sehr, dass es seinesgleichen sucht. Am St. Patrick's Day schnellen die Zahlen der Todesopfer durch Alkohol am Steuer in die Höhe, ähnlich wie auch an anderen alkoholgeschwängerten Feiertagen—Silvester, dem Super Bowl und so weiter. Am Tag nach dem Fest der Brüderlichkeit fürchten die Arbeitgeber massenhaftes Krankfeiern oder verkaterte Mitarbeiter. Dadurch gehen der amerikanischen Wirtschaft jährlich 160 Milliarden Dollar [circa 140 Milliarden Euro] durch die Lappen.

In den USA leben mehr Menschen mit irischen Wurzeln als derzeit auf der Heimatinsel. Allerdings haben die weniger eine Ahnung davon, was es heißt, Ire zu sein. St. Patrick's Day hat in Amerika nichts mehr mit seinen Ursprüngen zu tun. Der heilige Patrick ist zu einem Schutzheiligen der Anarchie mutiert, es ist ein einziges Fest der Zerstörungswut: Bei der jährlichen „Blarney Blowout"-Party der University of Massachusetts Amherst feiern teilweise bis zu 4.000 Leute, einmal wurden in einem Uni-Wohnheim auch bei einer Party 73 Feierwütige verhaftet, es kam zu „Gewalt, Auseinandersetzungen, Verletzungen, gefährlichen Alkoholvergiftungen, sexuellen Übergriffen, Lärmbelästigung, Vandalismus und gewalttätigen Ausschreitungen gegenüber der Polizei und den restlichen Anwohnern." In offiziellen Berichten wurde der St. Patrick's Day auch als „beunruhigend und unsicher" beschrieben.

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Ein ähnliches Chaos bricht auch über Champaign im US-Bundesstaat Illinois ein: Bei der sogenannten „Unofficial" Party anlässlich des St. Patrick's Days kommen jedes Jahr 14.000 Besucher aus 9 Bundesstaaten, 15 Städten und von 47 Unis, mit ähnlich kriminellen Ausschweifungen.

Doch St. Patrick's Day ist nicht nur was für Studenten. Bis zum Ende der 2000er gab es in Hoboken, New Jersey, jedes Jahr eine regelrechte St.-Patrick's-Day-Orgie: 2011 fand der letzte Umzug statt, dabei wurden 34 Menschen verhaftet und 136 mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden. In Polizeiberichten heißt es, dass einige Feierwütige sogar Barpersonal mit Messern bedroht haben, als sie versuchten, eine Flasche Grey-Goose-Wodka zu klauen. Außerdem wurden Anwohner von „Männern in grünen Shirts und Jeans" zu Brei geschlagen. Nachdem die Stadt erklärte, dass „sie unfähig war, die Besucher, Musiker und Teilnehmer des Umzugs zu beschützen", wurde das jährliche Fest eingestellt.

Bei den St.-Patrick's-Day-Feierlichkeiten in Baltimore sind einmal „hunderte Teenager in die Innenstadt eingefallen und prügelten sich regelrecht von Straße zu Straße, mit blanken Fäusten und Messern … Aus anderen Städten wurden Dutzende Beamte herangezogen, die versuchten, Herr der Lage zu werden, indem sie Straßensperren errichteten, um so die prügelnde Meute von den Touristenattraktionen fernzuhalten."

Selbst im sonst so friedvollen Kanada rüstet sich die Polizei jährlich, um auf die Feierwütigen vorbereitet zu sein. Doch warum nur hat sich der St. Patrick's Day in Amerika so sehr in ein einziges trunkenes Fest der Gewalt verwandelt? Die ersten Einwanderer wollten sicherlich nicht eine ganze Stadt mit Kotze bedeckt sehen, als sie 1737 die erste St.-Patrick's-Day-Parade feierten. Aber es scheint so, dass diese Entwicklung durchaus tief in der Geschichte verankert ist.

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In einem Bericht in der New York Times von 1867 heißt es, dass es auf die Polizei während der „St.-Patrick's-Day-Unruhen" Übergriffe gab, bei denen auch „Schwerter und Speere zum Einsatz kamen". Eine Schlagzeile aus dem Jahr 1874 bringt es noch besser auf den Punkt: „Death Rate Increased by the St. Patrick's Day Parade"—Mehr Todesfälle wegen St.-Patrick's-Day-Parade.

Aber was heute von damals unterscheidet, ist, dass selbst Leute mit nicht-irischen Wurzeln feucht-fröhlich mitfeiern. Am Anfang haben nur irischstämmige Amerikaner in Boston und New York gefeiert—mittlerweile feiern 97 Prozent der Amerikaner in irgendeiner Art und Weise am 17. März. Heißt, dass auch ziemlich viele Vollpfosten ein bisschen zu betüdelt werden, sobald die ersten Bars im Morgengrauen öffnen. Die Behörden für öffentliche Gesundheit, die Centers for Disease Control and Prevention, schätzen, dass übermäßiger Alkoholkonsum der amerikanischen Wirtschaft jährlich einen Schaden von 224 Milliarden Dollar [circa 198 Milliarden Euro] zufügt. An einem normalen Tag werden zwei Drittel davon von 15 Prozent der US-Bevölkerung verursacht, die gern mal dem Komasaufen frönen. Aber am St. Patrick's Day, wo jeder plötzlich Ire ist, sind es eben fast alle US-Amerikaner. Personen- und Sachschäden steigen entsprechend drastisch an.

Viel schwieriger zu verstehen ist, warum das Fest der irischen Kultur zu einem internationalen Sauffest mutiert ist. Klar, der Feiertag hat viel mit dem immensen irischen Einfluss—sozial und politisch—im 19. und 20. Jahrhundert zu tun, als mehr und mehr Iren in die USA kamen und nach einer neuen Heimat und einem Gemeinschaftsgefühl suchten. Aber warum dieser Feiertag so sehr mit diesem erschreckenden Exzess verbunden ist, darüber konnte ich nur wenig herausfinden.

Auf der Suche nach Antworten befragte ich einfach meinen guten, alten Freund, das Internet. Ein Post auf Yahoo!-Answers deutet an, dass die Amis den St. Patrick's Day deshalb genau so feiern, „weil es einfach Spaß macht, betrunken zu sein. Und das ist doch ein guter Vorwand dafür, ha ha!". Ein weiterer schlauer Kopf auf der Plattform erklärt die Ami-Version des irischen Feiertags so: „Viele Amerikaner sind stolz auf ihre Wurzeln und am St. Patrick's Day können sie genau das feiern", deshalb ist es ein guter „Anlass, um zu feiern und sich zu betrinken". Und einige Beiträge sprechen einfach für sich: „Wer braucht schon St. Patrick's Day? Betrink dich doch einfach so! Das Leben ist zu kurz."

Vielleicht sind alle Amis einfach nur hoffnungslose Alkoholiker.