Jeder, der mal in Berlin war, kennt die unzähligen Spätis—kurz für Spätkauf, Läden, in denen der Partywütige und Spielsüchtige alle erdenklichen legalen Drogen findet, und das oft 24 Stunden am Tag.Allerdings dürfen laut Paragraph 3, Absatz 4 des Berliner Ladenöffnungsgesetzes eigentlich sonntags bis 16 Uhr nur Geschäfte geöffnet haben, die Blumen und Pflanzen, Zeitschriften und Zeitungen, Back- und Konditoreiwaren oder Milch und Milcherzeugnisse verkaufen. Bis 20 Uhr können Reisebedarf, Stadtpläne, Postkarten, Tabakwaren und Snacks verkauft werden.
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In Berlin gibt es hunderte Spätis, die weder in die eine noch in die andere Kategorie passen. Da Sonntag der verkaufsstärkste Tag ist, machen viele Spätis trotzdem auf. Das Ordnungsamt kontrolliert vermehrt, ob das Gesetz eingehalten wird. Das Ausmaß unterschiedet sich jedoch von Bezirk zu Bezirk. Während das Ordnungsamt in Pankow oder im Prenzlauer Berg die Sache weitgehend ignoriert, seien die Kontrollen in Neukölln hingegen sehr streng. Die eingeforderten Ordnungsgelder beginnen bei 200 Euro und verdoppeln sich mit jedem weiteren Verstoß.TRINKEN: Boy makes Booze—Späti Edition #1Christina Jurgeit hat eine Petition ins Leben gerufen, die schon fast 20.000 Unterschriften hat, aber doppelt so viele braucht, damit dieses unnötige und freiheitsraubende Gesetz geändert wird.Der Berliner Spätkauf ist Kult und viele von uns haben ihren persönlichen Lieblingsspäti—wegen der Auswahl an Bieren oder Zeitschriften. Oder weil der Besitzer so lustig ist oder auch so furchtbar fuchsteufelswild, dass man sich vor jedem Einkauf in die Hose macht. Ob er heute guter Laune ist? Du weißt, er will nicht, dass du im Geschäft telefonierst! Du musst auch vorher schon genau wissen, was du willst. Er hasst es, wenn du stöberst.Viele Verkäufer leben für ihren und in ihrem Späti und kriegen allerhand mit. Sie haben dich schon in den unmöglichsten Zuständen gesehen und wissen mehr von dir, als dir lieb ist.
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TRINKEN: Boy makes Booze—Späti Edition #2Sie sind die Tankstellen des Berliner Hipsters, die Antithese des Delikatessengeschäfts. Oft unglaublich abgefuckt und nach Zigarettenrauch miefend, vollgestopft mit Tabak, Alkohol, Lottoscheinen und Junk Food—alles, was dich glücklich und potentiell krank macht. Wild und dreckig.
Immer mehr Spätis spezialisieren sich inzwischen auf die zahlreicher werdenden Sonderwünsche der Kunden–zum Beispiel mit einer riesigen Auswahl an Bier oder Architekturmagazinen, die man vielleicht nicht mal am Hauptbahnhof findet.Doris Heil hat einen ganz besonderen DIY-Späti. Sie verkauft neben dem Üblichen einen Haufen Werkzeug und ziemlich gute, seltene Zeitschriften. Sie sagt: ,,Leute, die Werkzeug brauchen und nicht weit ins Bauhaus fahren wollen, bekommen hier, was sie brauchen. Die Nachfrage bestimmt das Angebot in meinem Spätkauf. Zeitungen, die es aber überall gibt, hab ich nicht mehr im Sortiment."
Eddej Tandogan vom Danziger 23 Kiosk sagt: ,,Wir verkaufen 8900 Produkte, darunter 127 verschiedene Biere. Das Sortiment richtet sich nach dem, was die Leute haben wollen. Würde ich mich nicht spezialisieren, wär es schwer bei der Konkurrenz zu bestehen."Sebastian, ein regelmäßiger Kunde, meint: ,,Danziger 23 ist immer offen und hat so ziemlich jedes deutsche Bier. Ausserdem kann man hier auch sitzen und vor dem Fortgehen ein schnelles Bier trinken".
Das Besondere an Murats Späti International ist die Musik. Er hat 50 000 afrikanische Songs, die man sich anhören kann. Einer seiner Stammkunden sagt: ,,Im Späti International ist jeder freundlich, es ist international und er ist einfach immer da für dich!"
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Der Spätkauf, auch der, der am Sonntag geöffnet ist, passt zu Berlin wie die Faust aufs Auge. Sie passt. Im Übrigen: Wenn schon mal jemand arbeiten will, damit der andere einkaufen kann, dann soll das doch erlaubt sein.
Jurgeit schreibt: ,,Mit dieser Petition soll eine neue Debatte über die Sonntagsöffnung in Gang gesetzt werden, um die kleinen Läden von nebenan zu unterstützen. Alle Spätverkaufsstellen in Berlin sollten mit Tankstellen und Bahnhofsläden gleichgestellt werden und somit ein freies Verkaufsrecht ihrer Ware (inkl. Tabakwaren und alkoholischer Getränke) an Sonn- und Feiertagen erhalten. Durch die vergangenen Jahrzehnte haben die Spätis immens zur Kiez-Kultur beigetragen. Wenn wir der Politik zeigen können, dass die Berliner/innen und alle Berlin-Freunde vereint hinter der Späti-Kultur stehen, dann können wir diesem Projekt den öffentlichen Rückenwind geben, den es so dringend braucht."Dass jede Unterschrift von euch zählt, hat schon die Rettung des Tempelhofer Feldes gezeigt. Dieses Mal geht's um euren geliebten Spätkauf. Es kann nicht sein, dass man aus dem freiheitsliebenden und sozialen Berlin eine Stadt machen will, die überreguliert und überkontrolliert wird.Hier kannst du unterschreiben!Aufgezeichnet von Phillip TuroFotos von Dominic Blewett