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Ich habe Gaming-Nachhilfe bei einem Profi genommen und etwas fürs Leben gelernt

Für 50 Dollar habe ich gelernt, wie ich besser Mana manage und ein besserer Mensch werde.
Screenshot: Youtube

Ich werde nicht besser. Seit etwa zwei Jahren spiele ich Heroes of the Storm, ein Action-Strategiespiel der World of Warcraft-Macher Blizzard und ich werde nicht besser. Ich steige nicht im Rang auf, meine Gewinnstatistik macht keine Sprünge nach oben, ich habe ein Leistungsplateu erreicht. Foren, Mitspieler, Freunde, Podcasts, ich hab alles versucht—ich brauche professionelle Hilfe. Und darum rufe ich einen Coach an, der mich aufs nächste Level bringt. Glücklicherweise kann ich die Motherboard-Redaktion überzeugen, dass das Videospiel-Coach-Business ein wirklich spannendes Thema für einen Artikel sei. Sie beißen an und bezahlen mir die Videospielnachhilfe.

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Etwa 47 Euro muss ich zahlen, damit ich abends mit Kyle Fergusson sprechen darf. Ich kenne ihn aus seinem Podcast, Into The Nexus, den ich mir jede Woche anhöre, um Kyle dabei zu lauschen, wie er und ein Freund zwei Stunden lang jedes kleinste Detail meines liebsten MOBAS besprechen. So erfahre ich wichtige Dinge, wie die News, dass der Berserkerzauberspruch von Ork-Schamane Rehgar stärker geworden ist und welche Rolle der feuerspeiende Dämon Diablo nach einem Patch jetzt im Spiel einnimmt.

Bereits vor meiner Nachhilfestunde muss ich Kyle Videos von meinen letzten Spielen schicken. Ich bin nervös. Ich bin verdammt nervös. Was, wenn er meine Clips katastrophal findet? Was, wenn ich im Spiel wie ein Idiot aussehe? Was, wenn er von meinem Versagen im Spiel—den vermasselten Zaubersprüchen, den verpassten Zielen—auf meine Fails als Mensch schließt?

Vielleicht habe ich ja doch nicht über 600 Stunden meines Lebens mit einem Spiel verschwendet?

Das Training beginnt

"Du musst nichts verlernen", Kyle beginnt unsere Skype-Stunde mit guten Nachrichten: „Deine Positionierung ist sehr gut", das geht runter wie Butter. Er hat sich durchs Videomaterial gewühlt, um meinen Spielstil ganz genau zu analysieren. Vielleicht habe ich ja doch nicht über 600 Stunden meines Lebens mit einem Spiel verschwendet (…nein, bitte, sagt jetzt nichts). Schon nach fünf Minuten Vorgeplänkel geht es ans Eingemachte unserer 60 minütigen Trainingssitzung. Wir besprechen, was genau ich eigentlich falsch mache. Die Heldenauswahl etwa: Mit Nekromant Xul und seinen Skeletten will ich die gegnerische Basis einrennen, bedenke aber gar nicht, dass Eiszauberin Jaina im anderen Team genau das sehr leicht mit ihren flächendeckenden Blizzards kontert.

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Das Probespiel

Nach etwas über einer halben Stunde Theorie geht es endlich zur Sache: Wir spielen eine Probepartie und ich merke: Eigentlich geht es bei der Trainingsstunde um mehr als ein Videospiel. Ich bin Diablo, der feuerspeiende Wrestler-Dämon, Kyle steuert Uther, einen Krieger mit Heilzaubern. Nach einem besonders erfolgreichen Gefecht an den Mauern der feindlichen Basis werde ich kurz nervös – sind wir zu weit im feindlichen Territorium!? – und mache ein paar Schritte zurück. "Halt! Dein kleiner Tanz hier verwirrt dein Team", erklärt Kyle, "du musst selbstsichere Bewegungen ausführen, lass die anderen wissen, dass du sie nach vorne bringst"—genau das ist doch oft auch mein Problem in meinem Leben, nicht nur im Spiel. Wieder werde ich nervös, hinterfrage meine Entscheidungen.

Und es wird noch detaillierter: "Dein Ressourcen-Management im Hintergrund könnte besser sein", doziert Kyle. Jede kleine Entscheidung beeinflusst die weiteren Spielminuten. Wenn ich meine Zaubersprüche möglichst schnell in jedem kleinen Kampf verfeuere, dann sind meine Helden später einfach zu ausgepowert für die wirklich wichtigen Gefechte. Meine Moves führen zu Mana-Problemen, so wie Kyle mir das hier erklärt, wird das ganz klar. Aufgefallen ist mir das Problem bisher trotzdem nicht. Jetzt weiß ich: Pausen sind wichtig, Durchatmen, die Energie in das wirklich Wichtige stecken. Wir lassen Gift-Dryade Lunara entkommen.

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Doch Kyle wird in seinen Lektionen für mich noch philosophischer: "Verbanne die Dinge aus dem Spiel, die dich verlieren lassen", das ist leicht, jedes Team darf bis zu zwei unliebsame Helden vor Spielstart verbieten, "Aber noch besser ist: Werde selbst das, was dich besiegt. Und werde dann auch der Konter dazu", Kyle spricht davon, mal ein paar Stunden Übung zu stecken in Diablo und den Space Marine Tychus (Anti-Dämonen-Mini-Gun!), aber für mich klingt das alles nach Zen-Meditation.

Das Business

Zwischen 12-30 Stunden steckt Kyle pro Woche ins Coaching, erzählt er mir. Eine Übungsstunde, wie wir sie machen, nimmt insgesamt mit Vorbereitung etwa vier Arbeitsstunden in Anspruch und kostet 50 Dollar. Um die 300-400 Dollar verdient er mit den Übungsstunden die Woche. Er schätzt, das sei guter Durchschnitt für einen Spiele-Coach. Bestätigen kann ich das nicht, schließlich ist sein Job relativ neu und es gibt weder einen Berufsverband, noch eine Coach-Gewerkschaft. Andere Trainer, denen ich Fragen schicke, antworten nicht oder wollen viel Geld fürs Interview.

Der Job des Spiele-Coaches kommt ursprünglich aus der eSports-Szene. Profi-Spieler geben zwischen großen Turnieren oft Privatstunden, um die Kasse aufzubessern, wohl inspiriert von ihren eigenen Team-Trainern. Für normale Spieler mit dem nötigen Kleingeld ist das wohl ein bisschen wie mal mit Lionel Messi über den Bolzplatz zu kicken.

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Vom Spielen kann man viel lernen über das Menschsein insgesamt

Kyles erster Schüler ist ein befreundeter Grafik-Designer. Kyle gab ihm Tipps für Heroes of the Storm und bekam im Gegenzug Photoshop-Tutorials und Karriere-Ratschläge: "Er sagt mir: Du musst das als Kurs anbieten, es gibt da draußen eine Menge verwirrter Leute."

Die Lektion

Da könnte er recht haben: Es gibt tatsächlich genug verwirrte Gamer, die gerne einmal ihre Skills aufbessern wollen, aber Spieler, die auch für Trainer zahlen, scheinen dagegen begrenzt zu sein. Spiele-Coaching macht den Eindruck eines Nischen-Business, trotz der Popularität von Spielen wie League of Legends, Counter-Strike oder FIFA. Die meisten Trainer machen auf ihren eigenen Kanälen Werbung für sich—Kyle habe ich über seinen Podcast gefunden. Es gibt auch größere Seiten auf denen Trainer ihre Dienste anbieten, wie etwa die eGG-one school, bei der man gleich für mehrere Spiele Übungsstunden buchen kann. Einige Seiten sehen professionell aus, andere wie Hobbyprojekte voller Rechtschreibfehler und großer Versprechen. Viele Trainer, die man über diese Seiten buchen kann, wirken nach Karteileichen, haben nur wenige Stunden gegeben, einige dagegen viele positive Bewertungen angeblicher Nutzer. Wirklich überprüfen, wie gut das angebotene Training ist, lässt sich nicht. Zentrale Anlaufstellen für Trainer gibt es bisher nicht.

Kyle Fergusson ist aber optimistisch, was seinen gewählten Job angeht: "Ohne Heroes of the Storm hätte ich nicht mit meinem Workout angefangen. Es hat mir Disziplin beigebracht, die Bedeutung von Training, wie Menschen ticken. Vom Spielen kann man viel lernen über das Menschsein insgesamt. In Zukunft wird es noch viel normaler sein, seine Zeit mit Gaming zu verbringen." Und, das ist wohl Kyles Hoffnung, genauso normal wird es sein, sich einen Videospiellehrer anzuheuern.

Ich bin mir nicht sicher, ob meine 600 Stunden Spielzeit mich zu einem besseren Menschen gemacht haben, aber das Training und die Reflektion über das, was ich in diesen 600 Stunden getan habe, hat sich hilfreich angefühlt. Als ich in den nächsten Tagen nach dem Training wieder mit Heroes of the Storm anfange, verliere ich wieder. Und wieder. Aber ich verstehe warum und was ich ändern muss, sowohl an meinen Zaubersprüchen, an meinem Mana-Management, aber auch an mir selbst.