Philipp Amthor ist die Geheimwaffe der CDU – und wir sind schuld daran

Philipp Amthor mit jungen Menschen

Ein junger Mann im Anzug vor einem Zebrastreifen. Schnitt. Landschaften ziehen an einem Zugfenster vorbei. Schnitt. Der junge Mann steht auf einer Rolltreppe, aufwärts natürlich. Dramatisch schwillt im Hintergrund Musik an. Schnitt. Das Bundeskanzleramt. Schnitt. Eine Debatte im Bundestag und plötzlich eine Stimme: “Es wird langsam Zeit, mich zu der Scheiße hier zu äußern …”

Die Stimme gehört Bushido, die Worte stammen aus seinem Track “Leben und Tod des Kenneth Glöckler”, 51 Millionen Views auf YouTube. Das Gesicht im Bild gehört jedoch jemand anderem: Philipp Amthor, Nachwuchshoffnung der CDU aus Ueckermünde. Die Bundestagsrede, die ihn bekannt machte: 1,6 Millionen Views. Es gibt Dutzende Tweets, in denen Amthor zum Gangster hochstilisiert wird – wie den beschriebenen Zusammenschnitt mit Bushidos bekanntestem Disstrack. Was deshalb lustig ist, weil der Jungpolitiker eher wie Biene Majas Freund Willi aussieht.

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Der zweitjüngste Abgeordnete des deutschen Bundestags ist im letzten Jahr zu einer der beliebtesten politischen Meme-Vorlagen geworden. Und niemand profitiert davon mehr als er selbst.


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Unzählige Beiträge zeigen Amthor, wie er mit altklugem Gesichtsausdruck Tee eingießt oder mit seinem charakteristischen Lächeln (halb Die kleinen Strolche, halb House of Cards) in die Kamera starrt. Twitter-Accounts wie AmthorMemes huldigen ihm und seiner Begeisterung für “Sachthemen”, als sei er der neue Drachenlord. Seine schrullige Art, die Memes und die daraus resultierende Aufmerksamkeit der jungen Zielgruppe brachten ihn bis ins Neo Magazin Royale.

Als bekannt wurde, dass Amthor auf das CDU-kritische Video des YouTubers Rezo antworten sollte – ebenfalls in Videoform –, reagierten Medienschaffende und ganz normale Social-Media-Nutzende zu gleichen Teilen begeistert. Zwar fiel das Antwortvideo nach einem Machtwort der Parteispitze letztlich aus, dafür stellte sich Amthor beim YouTube-Format Disslike den Hate-Kommentaren des Internets – und machte trotz, oder gerade wegen des Fehlens jeglicher Selbstironie, eine überraschend gute Figur. Innerhalb von vier Tagen sahen über 150.000 Menschen das Video, mehr als beim Rapper-Duo Celo und Abdi oder dem Schauspieler Lars Eidinger. Auch Menschen, die sich sonst eher wenig mit Politik auseinandersetzen, kennen Amthors Gesicht.

Dabei entspricht Philipp Amthor bis aufs letzte seiner ordentlich gescheitelten Haare exakt jenem Nachwuchspolitiker, den sich konservative Rentner in einem Labor züchten würden. Er trägt eine große Brille und die Deutschlandfahne auf Höhe des Herzens am Anzug. Er ist gegen Abtreibungen, gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, aber für Abschiebungen nach Afghanistan. Von ihm und seinen Ansichten erhofft sich die CDU, jene Menschen zurückzugewinnen, denen die Partei unter Angela Merkel zu “liberal” geworden ist. Anders gesagt: Der angebliche Musterschwiegersohn hat es faustdick hinter den rechtskonservativen Ohren.

Vor allem aber spricht Amthor, als hätte er schon Dutzende Tanztees und Bingo-Abende in der Seniorenresidenz hinter sich. Inklusive der Art von Witzchen, in denen alles noch wie “früher” ist – Frauen so sind und Männer so, aber nicht so laut und vulgär wie bei Mario Barth, eher wie bei Heinz Rühmann. “Was für ein netter junger Mann”, denkt sich die Rentnerin. “So spricht doch niemand unter 67”, denkt sich die Durchschnittsdeutsche Mitte 20.

Manche sehen den 26-Jährigen deswegen als Opfer. “Wer sich über Amthors Aussehen lustig macht, ist nicht besser als ein rechter Troll”, hieß es beispielsweise bei Bento. Der Vergleich hinkt auf mehreren Ebenen. Vor allem, weil Amthor zwar nichts für sein Gesicht kann, aber doch ganz genau weiß, warum er sich gibt, wie er sich gibt. Seine Schrulligkeit begeistert nicht nur die alternde CDU-Kernzielgruppe, sondern beschert ihm auch bei jungen Menschen eine Aufmerksamkeit, für die Juso-Chef Kevin Kühnert öffentlich über die Enteignung eines Automobilkonzerns nachdenken muss.

Hilft es der CDU langfristig, wenn junge Wahlberechtigte sich im Internet über Philipp Amthor lustig machen? Oder macht der emsige Abgeordnete seine Partei in deren Augen noch mehr zur Lachnummer als sowieso schon? Beantworten lässt sich das aktuell noch nicht. Fakt ist aber: Menschen, die sich auf Social Media sonst nicht allzu sehr mit politischen Inhalten beschäftigen, reden über einen Politiker. Wissen, wie er aussieht und immer häufiger auch, wofür er steht. Durch Memes und Videozusammenschnitte entwickeln sie trotzdem ein insgesamt positives Grundgefühl ihm gegenüber. Schließlich bringt er sie zum Lachen.

Amthors Antwort auf Rezos “Zerstörungs”-Video hätte sicherlich mehr junge Menschen erreicht als das elfseitige PDF, mit dem die CDU stattdessen auf die Kritik des YouTubers reagierte. Und egal, wie viel sie während des Videos gelacht hätten, wie oft sie es angehalten hätten, um aus Screenshots neue Memes zu basteln: Sie hätten Amthor zugehört. In einer Zeit, in der die großen Parteien zunehmend hilflos versuchen, junge Menschen zu erreichen, kann der CDU kaum etwas Besseres passieren.

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