Das verklärte Bild von der einsamen Insel ist zu einem festen Bestandteil unserer Popkultur geworden. Versunkene Schiffe, am Strand sitzende Seemänner und geheime Piratenbuchten, all das kommt uns in den Sinn, wenn wir nach einer weiteren langweiligen 40-Stunden-Büro-Woche gedanklich in ferne Welten abdriften. Deswegen gibt es auch Playlists für einsame Inseln, teure Insel-Resorts und noch teurere Privattouren, bei denen Einheimische reiche Touristen tatsächlich auf eine einsame Insel bringen und dann manchmal wochenlang dort lassen. Fünf-Sterne-Bewertungen für Null-Sterne-Unterkünfte.
Für das Nachstellen von Tom Hanks misslicher Lage in Cast Away – Verschollen muss man aber gar nicht so viel Geld hinblättern – wenn man nur weiß, wo man zu suchen hat. Allein um Indonesien und die Philippinen herum gibt es Tausende einsame Inseln, die sich perfekt für ein Survival-Training abseits der Gesellschaft eignen. Und genau das will ich durchziehen.
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Ich bin zwar in Indonesien aufgewachsen, habe aber keine Ahnung, wie man dort auf einer einsamen Insel überleben würde. Meine Jugend bestand eher aus Netflix-Marathons und Ausflügen in angenehm klimatisierte Einkaufszentren. Umso mehr will ich mich nun selbst pushen und herausfinden, ob ich allein durch Willenskraft einen auf Tom Hanks und Wilson machen kann. Außerdem sollte man immer auf das Worst-Case-Szenario vorbereitet sein und wissen, wie man nur mit dem eigenen Verstand und ein paar Werkzeugen überlebt.
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Zuerst habe ich aber noch einige Fragen. Was ist zu tun, wenn das Wetter umschlägt? Wie verhalte ich mich gegenüber aggressiven Affen, fiesen Quallen und gefährlichen Haien? Was isst und trinkt man auf einer einsamen Insel? Und was muss man unbedingt dabei haben, um in solchen Gegebenheiten zu überleben?
“Um zu überleben, musst du gar nichts mitbringen”, sagt Tom McElroy, ein Überlebensexperte, der auch schon mit dem Discovery Channel zusammengearbeitet hat. “Alles, was du brauchst, findest du in der Natur.” Mit dieser Antwort gebe ich mich nicht zufrieden. Ich brauche konkrete Infos. “OK, auf jeden Fall ein Messer”, lenkt McElroy ein. “Ein paar Seile können nie schaden. Aus wasserfesten Planen kann man einen Unterschlupf bauen. Und ein Feuerstarter ist immer nützlich.”
Vorbereiten aufs ungewisse Leben auf einer einsamen Insel
Langsam nimmt mein Plan Formen an. Um mich aber noch besser auf mein Abenteuer auf einer einsamen Insel vorzubereiten, schaue ich mir die beiden Filme Cast Away – Verschollen und Die blaue Lagune mit einer Aufmerksamkeit an, die ich sonst nur für männliche olympische Schwimmer übrig habe. So lerne ich, dass Kokosnüsse anscheinend der Schlüssel zum Überleben unter extremen Bedingungen sind. Zum Glück erklärt sich ein Freund bereit, mir zu zeigen, wie man eine Palme ohne Hilfsmittel hochklettert und oben die leckere, lebenserhaltende Frucht pflückt. Nach ein paar Versuchen schaffe ich es tatsächlich und weiß nun, wie ich mein Gewicht auf dem Stamm verteilen und mich hochziehen muss. Zwar bin ich erschöpft und meine Oberschenkel sind blutig, aber ich halte eine Kokosnuss in meiner Hand.
In Jakarta zeigt mir ein Straßenverkäufer, wie ich mithilfe einer Machete die Kokosnuss öffne. Also schreibe ich sofort “Machete” auf meine Must-Have-Liste, denn damit kann ich nicht nur steinharte Kokosnüsse aufhacken, sondern mich auch gegen freche Affen zur Wehr setzen. Jetzt muss ich mir noch meine Insel aussuchen. Weil ich ein richtiges Abenteuer erleben will, entscheide ich mich für eine unbewohnte Insel in Palawan, einer kleinen Provinz im Südwesten der Philippinen.
Ich würde gerne sagen, dass ich unerschrocken in mein Abenteuer starte, aber in Wahrheit habe ich eine Scheißangst.
Mein letzter Stopp in der Zivilisation ist El Nido, eine wunderschöne und touristisch erschlossene Insel in Palawan, von der aus ich ein Boot in das große Ungewisse nehmen werde. Eine Mischung aus Angst und Aufregung erfüllt mich. So vieles kann schief gehen, zum Beispiel könnte mich die Terrororganisation Abu Sajaf entführen – eine Vorstellung, bei der sich mir der Magen umdreht, mir aber auch das Adrenalin durch den Körper schießt.
Meine Ausrüstung sieht folgendermaßen aus: ein Messer-Feuerstarter-Kombiwerkzeug, eine Hängematte, ein 40 Meter langes Seil, eine Plane gegen den Regen, ein New-Age-Buch mit dem Titel The Power of Now und eine große Flasche Wasser.
Die Mitarbeiter des Hostels auf El Nido helfen mir dabei, einen Fischer zu finden, der mich am nächsten Morgen auf die nahegelegenste unbewohnte Insel bringen wird. Pünktlich zum Sonnenaufgang wache ich auf, packe meine sechs Sachen zusammen, ziehe mir ein langärmliges Shirt und eine strapazierfähige Hose an und wickle mir zum Sonnenschutz ein Tuch um den Kopf. Anstelle von Unterwäsche entscheide ich mich für einen Bikini. Ein Paar bequeme Sneaker vervollständigen mein Outfit.
Abenteuer und Überleben: wenn Vorstellung und Realität weit auseinanderliegen
An dieser Stelle muss ich gestehen, dass ich doch nicht ganz alleine unterwegs bin. Mein Kumpel Dennis Wu begleitet mich bei meinem Abenteuer – aber nur, um im Notfall per Handy Hilfe zu holen und um die Fotos für diesen Artikel zu schießen. Anderweitig wird er mir auf der einsamen Insel nicht helfen.
Der Himmel ist in ein unheilvolles Grau getaucht und kühle Regentropfen treffen auf meine Stirn, als der Kapitän den Motor startet und wir losfahren. Ich würde gerne sagen, dass ich unerschrocken in mein Abenteuer starte, aber in Wahrheit habe ich eine Scheißangst. Ich tausche ein gemütliches Bett und einen schier endlosen Biervorrat gegen eine Insel ohne Essen und Dach über dem Kopf ein. Ist das wirklich eine so gute Idee?
Das Boot schneidet sich seinen Weg durch das grünblaue Wasser, bis der Kapitän endlich auf eine kleine Insel am Horizont deutet. “Da”, sagt er, “Cadlao Island.” Etwas ungläubig starre ich auf die rauen, teilweise mit dunkelgrüner Vegetation bewachsenen Kalkklippen, die sich vor mir auftürmen. Diese Insel ist nicht nur einsam, sondern geradezu furchteinflößend – und hat nichts mit dem traumhaften Rückzugsort gemeinsam, den ich mir ausgemalt habe.
“Wo sind der Strand und die Kokospalmen?”, frage ich den Kapitän. “Da”, antwortet er und deutet auf eine winzige weiße Sandformation zwischen all den schwarzen Felsen. “Pasandigan Beach.”
Als ich den Strand und ein paar Palmen sehe, überkommt mich Erleichterung. Ich atme einmal tief durch und will vom Kapitän wissen, ob es auf der Insel auch Tiere gebe.
“Oh, sehr viele Tiere sogar”, sagt er, als er den Anker ins Wasser wirft. “Affen, Warane, große Schlangen …”
“Moment, große Schlangen?!”
“Ja, Schlangen so groß wie ein Baumstamm”, erzählt der Kapitän grinsend. “Viele Einheimische kommen manchmal hierher, um Kokosnüsse zu ernten und dann an Touristen zu verkaufen. Seit Neustem erzählen sie aber, dass auf der Insel eine große Schlange lebe, die einen ganzen Hund auf einmal verspeisen könnte. Ein Freund von meinem Cousin wurde im Schlaf angegriffen, deswegen kommt niemand mehr auf die Insel.”
“Du wolltest eine einsame Insel”, antwortet der Kapitän. “Die hier ist einsam.”
Ich starre den Kapitän nur fassungslos an, während mir unzählige Fragen durch den Kopf schießen. Die dringendste stelle ich dann auch: “Warum hast du mich dann überhaupt hergebracht?”
“Du wolltest eine einsame Insel”, antwortet der Kapitän. “Die hier ist einsam.”
“Aber doch keine Insel, die wegen Schlangen menschenleer ist!”, rufe ich. Meine Stimme überschlägt sich fast.
“Entspann dich”, weist mich der Seemann an. “Wenn dein Feuer bis zum nächsten Morgen durchbrennt, dann wird nichts passieren.” Mit diesen weisen Worten wirft er mein Gepäck in den Sand, steigt wieder ins Boot und lässt mich auf einer Insel zurück, auf der zwar keine Menschen, dafür aber wohl riesige Schlangen leben.
“OK”, denke ich mir, “beruhige dich. Du darfst nicht schon nach wenigen Minuten durchdrehen.” Als Erstes gehe ich den Strand ab und finde so heraus, dass man von der einen Seite zur anderen gut 15 Minuten braucht. Außerdem fällt mir auf, dass das Wasser bei Flut auf jeden Fall bis zu den Bäumen geht. Ich muss also weiter im Inneren der Insel mein Camp aufschlagen, wenn ich trocken bleiben will.
Direkt an der Grenze zwischen Strand und Wald entdecke ich einen passenden Baum, zwischen dessen Stämmen ich meine Hängematte aufspanne. Anschließend befestige ich das Seil über meinem provisorischen Schlafgemach und so entsteht mit der Plane ein einwandfreies Zelt, das mich vor dem Regen schützt. Zeit für ein Nickerchen, denn diese Aufgabe hat mich wirklich einiges an Energie gekostet.
Als ich wieder wach bin, kann ich es kaum erwarten, meine erlernten Palmenkletter-Skills einzusetzen, und mache mich voller Tatendrang auf die Suche nach Essen. Freudig nähere ich mich einer Gruppe Kokospalmen, aber dann werde ich schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: An den anmutigen Bäumen hängen genau null Kokosnüsse.
Es gibt zwar Palmen – aber keine Kokosnüsse
Schockiert starre ich nach oben. Auf der Insel gibt es mindestens 20 Kokospalmen und jede einzelne von ihnen ist blank. Wie ist das möglich? Und was mache ich jetzt? Ungläubig klettere ich eine Palme hoch, um mir ein besseres Bild zu machen. Nein, da ist wirklich nichts. Ich bemerke, wie sich die Palmwedel der anderen Bäume bewegen. “Wahrscheinlich Affen”, denke ich mir. “Affen, die alle meine Kokosnüsse geklaut haben.”
Den Rest haben sich wahrscheinlich der Cousin des Kapitäns und seine Freunde geschnappt und an die durstigen Touristen auf El Nido verkauft. Ich denke kurz über diese verwöhnten Backpacker mit ihren bequemen Hosen und Dach über ihren Köpfen nach und verziehe das Gesicht. Vor nicht mal 24 Stunden war ich noch eine von ihnen. Jetzt hasse ich sie alle.
Die nächste Herausforderung: Feuer machen. Ich zücke mein brandneues Feuerstarter-Messer und lerne schnell, dass es unglaublich schwer ist, ein Feuer mit einem kleinen Stück Metall zu entfachen. Meine Arme schmerzen und meine Finger sind schnell geschwollen. Irgendwann erzeuge ich einen ausreichenden Funken, allerdings ist das Feuer so klein, dass ich es kaum am Lodern halten kann. Ich werfe etwas Rinde auf die glimmenden Flammen, aber die Baumstücke sind zu feucht, um etwas zu bewirken.
Zitternd spüle ich meinen Mund mit dem mitgebrachten Wasser aus und klettere in meine Hängematte. Mein erster Tag auf der einsamen Insel ist eine einzige Katastrophe.
Inzwischen macht mir mein Hunger schwer zu schaffen. Ich bin zwar erst knapp einen Tag auf der Insel, aber in der Hitze Feuer zu machen und Palmen hochzuklettern, schlaucht doch ganz schön. Da erblicke ich eine alte Kokosnuss auf dem Boden, die ich sofort mit meinem winzigen Messer bearbeite. Leider bringt das überhaupt nichts. Deswegen fange ich an, die Nuss gegen einen Felsen am Strand zu schlagen. Geschafft, die äußere Schale ist aufgebrochen und ich kann die trockenen Fasern mit meinen müden Fingern wegpulen. Ich frage mich, ob der Inhalt der eigentlichen Kokosnuss überhaupt ausreicht, um meinen erschöpften Energievorrat wieder aufzufüllen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hat die Kokosnuss endlich zwei kleine Löcher. Ich setze sie an meine Lippen, um einen großen Schluck Kokoswasser zu nehmen. Da fällt mir auf, dass die Frucht schon längst verfault ist, denn was sich da in meinen Mund ergießt, schmeckt nach verrottetem Fisch und hat eine schleimige Konsistenz. Würgend lasse ich die Kokosnuss fallen. Plötzlich kriechen zwei Maden aus den Löchern und ich muss mich übergeben.
Zitternd spüle ich meinen Mund mit dem mitgebrachten Wasser aus und klettere in meine Hängematte. Mein erster Tag auf der einsamen Insel ist eine einzige Katastrophe. Um nicht noch mehr Rückschläge erleiden zu müssen, versuche ich zu schlafen. Morgen läuft es bestimmt besser.
Das Abenteuer wird zur Qual: eine Nacht zum Vergessen
Die Sonne geht langsam unter, mein Feuer lodert zischend vor sich hin, der Rauch sammelt sich in meinem Planenzelt und ich liege hustend in meiner Hängematte. Glaubt mir, das Leben auf einer einsamen Insel besteht nicht nur aus heiterem Nacktbaden und romantischen Spaziergängen. Nein, es beinhaltet auch harte Arbeit und verfaulte Kokosnüsse. Bis jetzt ist mein Experiment ein richtiger Griff ins Klo und ich kann es kaum erwarten, endlich einzuschlafen und nicht mehr darüber nachdenken zu müssen.
Apropos Schlaf: Ich finde erstmal keinen. Die Insel ist nachts nämlich absolut furchterregend. Die ganze Zeit höre ich in der mich umgebenden Dunkelheit irgendwelche seltsamen Geräusche. Ich rechne ständig damit, dass ein Waran oder eine Schlange den Weg in mein Camp finden. Es fällt auch etwas aus einem Baum auf meine Plane, aber ich will gar nicht herausfinden, was. Ich bleibe lieber regungslos in meiner Hängematte liegen.
Hungerkrämpfe schütteln mich, aber ich atme sie weg. Irgendwann schlafe ich tatsächlich ein – wahrscheinlich, weil ich einfach völlig erschöpft bin.
Als ich am nächsten Morgen aufwache, bin ich kraftlos, hungrig und benommen. Für eine erneute Suche nach Essbarem reicht meine Energie aber noch. Inspiriert von Tom Hanks mache ich mich daran, einen Ast zu meinem persönlichen Speer zu schnitzen und damit Fische zu jagen. Damit bewaffnet wate ich hinaus ins Meer, wo ich anfangs nur auf farbenfrohe Korallenriffe und pfeilschnelle Minifische treffe. Ich schwimme weiter hinaus, wo die stärker werdenden Wellen meine Jagd aber immens erschweren.
Beim Herumtauchen schneide ich mir mein Bein an einer messerscharfen Koralle auf und kehre zurück ans sichere Ufer. Dort krieche ich blutend und mit immer noch knurrendem Magen wieder in meine Hängematte und verfluche Tom Hanks dafür, dass er mich glauben ließ, mit einem Speer Fische fangen zu können.
Zwischen Resignation und innerem Frieden
Schließlich gebe ich auf. Auf dieser Insel gibt es nichts zu essen. Ich bereue meine Entscheidung, anstelle des Buchs nicht ein paar Notfall-Proteinriegel eingepackt zu haben. Mein Experiment will ich aber noch nicht abbrechen. Ich nehme meine letzten Kraftreserven zusammen und ignoriere den Hunger einfach. Das machen doch viele Menschen, um Gewicht zu verlieren. Da sollte das auf dieser Insel ein Klacks sein.
Und so gibt es für mich nichts mehr zu tun, außer zu warten. Ich habe dem Kapitän nämlich gesagt, er solle mich an diesem Tag wieder abholen – die wohl einzige gute Entscheidung, die ich bei meinem Abenteuer getroffen habe. Ich schlage mein mitgebrachtes Buch auf und lese, dass die esoterische Bedeutung des Wartens der Schlüssel zur Erleuchtung sei. Wenn wir warten, könnten wir uns ganz dem Hier und Jetzt widmen und deshalb wertvolle Einsichten in die Wirklichkeit erhalten. Leider ist mein Hier und Jetzt eine einsame Insel ohne Essen, auf der ich wegen einiger dummer Entscheidungen meinerseits gelandet war.
Ich schließe meine Augen und verliere mich in der Stille der Insel. Meine Hängematte schaukelt leicht in der kühlen Brise hin und her. Das sanfte Rauschen der Wellen versetzt mich in einen Zustand irgendwo zwischen wach und in Trance. Perfekt, wenn man im angeblichen Paradies gestrandet ist.
Als die Sonne untergeht, höre ich endlich das Tuckern des Fischerboots. Ich klettere an Bord und schaue noch mal zurück zur Insel, die am Horizont immer kleiner wird. Irgendwie fühle ich mich erleuchtet und erleichtert. Vielleicht ist das aber auch nur der Hunger.
Könnte ich nun auf einer einsamen Insel überleben? Für ein paar Tage vielleicht, aber definitiv nicht länger. Und würde ich ein solches Experiment noch mal wagen? Nur dann, wenn ich schnell ein paar Kilo abnehmen will.
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