Gerade begrüßte sie mich noch freundlich mit “Guten Morgen”, doch nun entgleist ihr das Gesicht. Die Apothekerin wendet den Blick ab und deutet auf ein kleines Zimmer, das mit einem beigen Vorhang abgetrennt ist. “So etwas behandle ich nicht. Warten Sie dort”, sagt sie. Als mein Freund und ich Platz genommen haben, ruft sie genervt durch den Laden: “Carolin, einmal die Pille Danach!”
Als ich letztes Jahr die Notfallverhütung in einer Apotheke im eher linken Bezirk Berlin-Friedrichshain hole und damit für Unruhe in der Apotheke sorge, bin ich eine von rund 800.000 Frauen, die sich 2017 die Pille Danach in einer Apotheke besorgten. Seit 2015 können Frauen das Beratungsgespräch beim Arzt überspringen und das Mittel direkt in der Apotheke abholen, auch ohne Rezept. Und sie holen es sich immer öfter: Im Vergleich zu 2014, als die Pille Danach noch verschrieben werden musste, wurden 2017 um 70 Prozent mehr verkauft.
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Bevor die Verschreibungspflicht abgeschafft wurde, gab es eine lange Debatte zu Nebenwirkungen und Verantwortungsbewusstsein der Patientinnen. CDU-Politiker Jens Spahn fürchtete, Frauen könnten das Medikament “wie Smarties” nehmen, statt zu verhüten. Inzwischen ist er Gesundheitsminister. Dabei kann die Pille Danach gar keine normale Verhütung ersetzen und wirkt nur, wenn sie in einem begrenzten Zeitraum nach dem Geschlechtsverkehr eingenommen wird – im Notfall. Verschiedene Wirkstoffe verhindern den Eisprung, sodass keine Eizelle befruchtet werden kann. Die Nebenwirkungen ähneln häufig den körperlichen Symptomen, die Frauen vor und während der Periode erleben: Kopfschmerzen, Übelkeit, Unterleibsschmerzen, Blutungen.
Hat sich die Einnahme der Pille Danach insofern in der Zwischenzeit normalisiert? Wir haben mit drei jungen Frauen über ihre Erfahrungen gesprochen – und was sie aus der Notfallverhütung gelernt haben. Und obwohl sich alle einen entspannten und enttabuisierten Umgang mit der Pille Danach wünschen, wollte keine ihren echten Namen benutzen – zu groß ist das verbundene Stigma noch immer.
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Agatha*, 30
Ich habe damals jemanden locker gedatet. Vollkommen von Sexhormonen gesteuert haben wir dann beim Sex das Kondom kurz weggelassen – bevor er gekommen ist, hat er sich jedoch schnell eins übergezogen. Als ich wieder bei Verstand war, habe ich das kurze Weglassen direkt bereut und wollte auf Nummer sicher gehen, schließlich habe ich schon ein Kind, das ich alleine groß ziehe. Da es jetzt so viel einfacher ist, die Pille Danach zu holen, war die Hemmschwelle auch nicht so groß, mich nochmal abzusichern.
Kondome sind super, man sollte sie natürlich auch während des gesamten Geschlechtsverkehrs am Penis belassen, sonst steht man nachher wie ich mit Kind auf dem Arm in der Apotheke und bestellt die Pille Danach. Ich habe versucht, das Ganze mit Humor zu überspielen: “Das eine Kind reicht erstmal” und so. Der Apotheker war sehr nett, aber es ist schon unangenehm, wenn man am Schalter steht und die Anwendungshinweise bekommt. Ein kleines separates Beratungszimmer wäre mir lieber gewesen. Vor allem, weil dann trotz der Freundlichkeit noch so eine Art Belehrung dazu kam: “Nächstes Mal müssen Sie aber bei der Verhütung aufpassen!” Da dachte ich nur: Hey, ich bin 30 Jahre alt. Ich weiß das schon.
Mir war bewusst, dass die Pille Danach etwas mit meinem Körper machen würde. Das ist schon was anderes, als eine Kopfschmerztablette zu nehmen. Neben Blutungen spürte ich das Medikament auch emotional. Ich habe mich im Nachhinein sehr darüber geärgert, dass ich so fahrlässig mit der Verhütung umgegangen bin. Da mein Sohn auch eine Verhütungspanne war, habe ich mich schon gefragt, warum mir das schon wieder passiert ist. Ich hatte ein sehr schlechtes Gewissen.
Dass man die Pille Danach jetzt rezeptfrei bekommt, finde ich gut. Zudem ist sie ja auch recht teuer, um die 35 Euro. Das ist sicherlich ein Preis, den man nicht einfach so ausgibt oder der dazu verlocken würde, die Pille Danach statt normaler Verhütung zu nehmen. Wenn es aber noch einmal notwendig werden würde, würde ich sie natürlich wieder nehmen.
Olivia, 25
Da ich ein sehr großes Thromboserisiko habe, kann ich die normale Pille nicht nehmen. Mit meinem festen Freund verhüte ich mit Kondom, doch leider passiert es tatsächlich öfter, als man denkt, dass ein Kondom auch mal reißt. Deswegen war es vor zwei Jahren auch schon das vierte Mal, dass ich die Pille Danach benötigte.
In der Apotheke bediente mich eine Frau im Alter meiner Mutter, die mich während des gesamten Gesprächs sehr strafend ansah. Ich musste auch erstmal erklären, was genau passiert war – woraufhin sie mir sagte, dass ich vom Zeitpunkt her gar nicht schwanger werden könnte. Ich habe trotzdem darauf bestanden, die Pille Danach zu bekommen, und sie hat sehr genervt reagiert. Wahrscheinlich hätte sie lieber eine Oma mit Syphilis bedient als eine junge Frau mit Verhütungspanne. Das unausgesprochene “Wie kann sowas nur passieren” stand die ganze Zeit zwischen uns. Ich hatte das Gefühl, dass sich die Apothekerin in ihren ethischen Werten verletzt gefühlt hat. Klar, ich habe was falsch gemacht – mich aber so zu behandeln, als würde ich an Ort und Stelle spontan abtreiben, fand ich übertrieben.
Bis auf ein paar Stimmungsschwankungen und ein bisschen Übelkeit hatte ich keine Nebenwirkungen – und das, obwohl es für mich aufgrund der Unverträglichkeit der normalen Pille ja eigentlich viel schlimmer sein müsste, die Pille Danach zu nehmen. Ich finde es schon gut, wenn man in einem Beratungsgespräch ordentlich aufgeklärt wird. Den Tonfall, den ich bisher jedes Mal in den Apotheken erlebt habe, würde ich allerdings gerne ändern. Da wünsche ich mir mehr Augenhöhe und Verständnis dafür, wenn eine junge Frau gerade nicht schwanger werden möchte – ganz ohne das Thema zu stigmatisieren.
Der gesamte Prozess war sehr unangenehm, ich würde mir bei Bedarf allerdings jederzeit wieder die Pille Danach holen.
Natalie, 32
Ich hatte einen One-Night-Stand, bei dem ich mit Kondom verhütet habe. Leider war ich sehr betrunken und hatte am nächsten Morgen ein merkwürdiges Gefühl. Irgendwie hatte ich Angst, dass sein Sperma über Umwege doch in mir gelandet sein könnte – und ich wollte auf gar keinen Fall von einem fremden Typen schwanger werden. Auch wenn eine Schwangerschaft unrealistisch war, wollte ich die letzten 0,1 Prozent Wahrscheinlichkeit ausmerzen. Also bin ich zur Apotheke.
Das Beratungsgespräch war sehr unspektakulär. Natürlich ist die Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft nicht mit einem Schnupfen vergleichbar, aber die Apothekerin war kompetent, diskret und auch nicht übergriffig.
Als ich 16 war, habe ich die Pille Danach schon mal genommen. Zu der Zeit brauchte ich noch ein Rezept und es war schrecklich: Da meine Eltern privat versichert waren und die auf keinen Fall etwas erfahren sollten, musste ich die Kosten des Arztes privat übernehmen: um die 160 Mark. Die Rechnung habe ich an den Mann schicken lassen. Ich dachte mir: Wenn ich schon den Stress habe, soll er zahlen.
Bisher habe ich die Einnahme immer gut verkraftet, obwohl Nebenwirkungen immer Teil davon waren – was bei so einem Hormonhammer ganz logisch ist. Besser, als ungewollt schwanger zu werden, ist es allemal. Ich bin sehr dankbar, dass die Pille Danach mittlerweile so unkompliziert zu bekommen ist. Das beruhigt. Kondome, Pille Danach und ihm Zweifel sogar Abtreibungen sollten jeder Frau zur Verfügung stehen.
*Alle Namen geändert.
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