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GameStop: Wie eine Horde Reddit-User Hedgefonds bluten lässt

Die Finanzbranche hasst diesen Trick.
Das Logo der Videospielkette GameStop, deren Aktie gerade für Chaos an der Börse sorgt.
Bild: Bruce Bennett/Getty Images / Composition by Jason Koebler

Hat deine Partnerin, ein Kumpel oder dein Kind dir vorgeschlagen, deine ganzen Ersparnisse sofort in Aktien von GameStop zu investieren? Dann lies diesen Artikel. Er ist lang und ausführlich und voller Finanzgedöns, aber wenn du ihn durch hast, wirst du hoffentlich verstanden haben, was gerade an der Börse los ist.

Kurz zusammengefasst: GameStop, der Laden neben Nanu-Nana im Einkaufszentrum, in dem dein kleiner Bruder seine Pokémon-Karten kauft, ist momentan eine der meistgehandelten Aktien überhaupt und bildet die Frontlinie in einem obskuren Klassenkampf. Vergangenen Sommer kostete eine Aktie der Videospielkette 3,50 Euro, am 28. Januar, erreichte sie einen Wert von 410 Euro. 

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Wie konnte das passieren? Eine Horde Kleinanleger hat sich mit großen Finanzinstitutionen angelegt und scheint das Spiel gerade zu gewinnen. In der Praxis könnte das einen der größten Kapitaltransfers der jüngeren Zeit bedeuten, von der Finanzelite zur Mittel- und gehobenen Mittelklasse.

Aber gut, noch einmal alles der Reihe nach.


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Was ist GameStop?

GameStop ist der größte Videospielhändler in den USA, auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern betreibt die Kette Geschäfte. Da sich immer mehr Menschen ihre Spiele allerdings als Download bei Steam, Epic oder den konsoleneigenen Stores von Sony, Nintendo und Microsoft besorgen, haben viele die Ladenkette ein ähnliches Schicksal vorausgesagt wie den Videotheken vor einigen Jahren. Die Pandemie und die damit einhergehende Ladenschließungen haben GameStop auch nicht gerade geholfen. 

Diverse Finanzexpertinnen und Experten hatten deswegen das Ende von GameStop vorhergesagt, was wiederum Hedgefonds und andere Kapitalunternehmen dazu gebracht hat, Leerverkäufe mit GameStop-Aktien zu tätigen – sogenanntes Shortselling.

Was sind Leerverkäufe und wer macht das?

Ein Leerverkauf ist quasi eine Wette darauf, dass der Kurs einer bestimmten Aktie fällt. Investoren verkaufen dazu Aktien, die sie gar nicht besitzen – daher Leerverkäufe – sondern nur geliehen haben, zu einem bestimmten Preis in der Annahme, dass der Kurs der Aktie bald fällt. Wenn das passiert, kaufen sie die Aktien zu dem niedrigeren Preis zurück, um die geliehenen Aktien zurückgeben zu können. Die Differenz zwischen dem Betrag, für den sie die Aktien verkauft haben, und dem niedrigeren Rückkaufwert stecken sie als Profit in die eigene Tasche.

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Große Hedgefonds machen das ständig – und CEOs wie Elon Musk finden das gar nicht so geil. Mit ihren Leerverkäufen können die Fonds nämlich den Kurs einer Aktie negativ beeinflussen. Das heißt, der Kurs einer angeschlagenen Firma wird noch schlechter, weil ein gigantischer Hedgefonds Hunderte Millionen Dollar auf ihren Niedergang gewettet hat. Schon die Wette allein kann dazu führen, dass auch andere in der Branche einen Abfall der Aktie kommen sehen und ihre Anteile aus Angst verkaufen. Der Preis der Aktie fällt also wirklich und die Shortseller machen viel Geld.

Manchmal verlieren die Leerverkäufer aber auch – nämlich, wenn der Aktienpreis nach oben und nicht nach unten geht. Und für die Höhe der Verluste gibt es theoretisch keine Grenze. Irgendwann läuft die Frist nämlich ab und der Shortseller muss seine Seite des Deals erfüllen. Sagen wir, du machst einen Leerverkauf bei 20 Euro und der Aktienpreis klettert auf 100 Euro, wenn du die geliehene Aktie zurückgeben musst. Dann hast du 80 Euro Miese gemacht.

So etwas in der Art ist jetzt dem Hedgefonds Melvin Capital Management passiert. Dieser hatte GameStop-Aktien im Wert von mehreren Millionen Dollar leerverkauft. Auch Citron Research, eine andere Investmentfirma, hatte große Mengen GameStop-Aktien leerverkauft und passend dazu monatelang der ganzen Welt erklärt, warum GameStop eine beschissene Firma ist, die untergehen wird. Von beiden Unternehmen dürften die meisten Menschen bis heute noch nie gehört haben, in der Finanzwelt sind sie aber dicke Fische.

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Was ist für Melvin, Citron und die anderen Leerverkäufer schiefgelaufen?

Irgendwann werden die geliehenen Aktien fällig, die das Unternehmen weiterverkauft hat. Zum großen Pech von Melvin, Citron und Co ist der Preis für GameStop-Aktien aber in den vergangenen Monaten langsam, aber stetig angestiegen. Dafür gab es mehrere Gründe. 

Im August 2020 begann ein gewisser Ryan Cohen GameStop-Aktien zu kaufen. Er besitzt inzwischen knapp 13 Prozent des Unternehmens. Cohen ist der Mitbegründer von Chewy, einem sehr erfolgreichen Online-Handel für Haustierbedarf. Aufgrund seines guten Rufs und weil er durch seinen GameStop-Anteil Mitglied im Aufsichtsrat wurde, konnte er dort ein paar Ideen einbringen. Das führte zu neuem Vertrauen in das Unternehmen und positiver Berichterstattung in den Medien, was den Aktienpreis nach oben trieb. Außerdem konnte GameStop in diesem Januar eine gute Bilanz für das Weihnachtsgeschäft vorlegen. Die Digitalverkäufe waren um 309 Prozent gestiegen.

Das allerwichtigste jedoch – so haben wir das jedenfalls verstanden – ist hier der besondere und wohl auch seltene Umstand, dass die Shortseller mehr GameStop-Aktien verkauft haben, als es eigentlich gibt. Das bedeutet: Selbst, wenn sie schon vor Ablauf der Frist ihren Deal beenden wollten, um die Verluste in Grenzen zu halten, könnten sie das gar nicht. Es sind nicht genug Aktien im Umlauf. Normalerweise ist das kein großes Problem, da sie durch das ständige hin und her am Aktienmarkt früher oder später ausreichend Aktien in ihren Besitz kriegen, um ihren Verbindlichkeiten nachzukommen. Bei der GameStop-Aktie haben Reddit-User den Braten jedoch gerochen, gegen einen Preisverfall angekämpft und die Shortseller ordentlich auflaufen lassen.

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Damit wären wir bei Reddit und WallStreetBets.

Was ist WallStreetBets?

So sieht WallStreetBets bei Reddit aus:

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Und so sieht es bei Discord aus:

Und so klingt es:

r/WallStreetBets ist ein Subreddit, der sich selbst als "4Chan mit einem Bloomberg Terminal" beschreibt. Und ja, das trifft es ganz gut. Es ist ein Forum für Leute, die mit verhältnismäßig geringen Beträgen an der Börse spekulieren. Wie bei 4chan ist der Umgangston anstrengend bis toxisch, man pflegt seine eigene Kultur, Begriffe, Figuren und Feindbilder.

Die erfolgreichsten Posts in dem Forum sind "loss porn" und "gain porn". Darin zeigen User mit Screenshots, wie sie wenig Geld in kurzer Zeit zu einem Haufen Geld oder viel Geld zu sehr wenig Geld gemacht haben. Die Finanzwelt im Großen und Ganzen hält diese Leute kurz gesagt für die letzten Pfeifen. Das Investieren in einzelne Aktien, so der gängige Konsens, ist extrem riskant und sollte besser Profis und Menschen überlassen werden, die sich auskennen – gigantischen Hedgefonds und Milliardären zum Beispiel. Das ist der Ratschlag, den dir jede Anlageberaterin und jeder Wirtschaftsteil einer großen Tageszeitung geben wird. 

WallStreetBets ist eine Antithese zu dieser Haltung. Hier gilt jeder als langweilig, der jeden Monat etwas in einen Indexfonds einzahlt und hofft, in 20 Jahren etwas reicher zu sein. Das Forum ist voll von Hobby-Investoren, die bereit sind, ihre ganzen Ersparnisse in eine bestimmte Aktie zu stecken, in der Hoffnung, möglichst viel Geld in möglichst kurzer Zeit zu machen.

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WallStreetBets und GameStop

Im September 2019 postete ein Reddit-User mit dem Namen DeepFuckingValue einen Screenshot von seiner 53.000 Dollar-Investition in GameStop-Aktien über die vorangegangenen Monate – bei Preisen von 30 bis 76 Cent pro Aktie. An dem Tag hatte er sein Vermögen schon um 86 Prozent auf 113.000 Dollar vermehrt. Die GameStop-Aktie war zu dem Zeitpunkt 85 Cent wert.

Auch wenn das am Anfang nicht groß beachtet wurde, postete DeepFuckingValue, der auch als RoaringKitty einen YouTube-Kanal betreibt, regelmäßig Updates zu seiner Investition und erklärte ausführlich, warum er sein Geld auf GameStop gesetzt hatte. Zusammengefasst: starke Online-Verkäufe, Schließung von Läden (Kostenreduktion) und verstärkter Umsatz in den verbliebenen Geschäften. 

Irgendwann fiel DeepFuckingValue und anderen Reddit-User auf, dass noch etwas anderes mit der GameStop-Aktie passierte: Es war das Wertpapier mit den meisten Leerverkäufen auf dem ganzen Markt. Das, gepaart mit den stabilen Geschäftsgrundlagen, die DeepFuckingValue dargelegt hatte, schien darauf hinzudeuten, dass die Leerverkäufer an einem Punkt ihre Deals mit einem Verlust beenden würden müssen. 

WallStreetBets hatte zu der Zeit mehr als eine Million Subscriber und DeepFuckingValues Gain-Porn-Post ging im Dezember 2019 viral, als der Preis für die GameStop-Aktie etwa 4 US-Dollar erreichte. Seine Gewinne führten dazu, dass noch mehr User in GameStop investierten. Das übte weiteren Druck auf die Shortseller aus, was wiederum zu einem Kursanstieg führte.

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Auf WallStreetBets kursierte von da an folgende Ansage: Kauft GameStop-Aktien, haltet sie und fickt die großen Hedgefonds – insbesondere Melvin Capital und Citron Research. 

Das führte zu einer kampflustigen Wir-gegen-die-Mentalität im Forum: Wenn du GameStop-Aktien kaufst, bist du cool und wirst reich. Wenn du GameStop-Aktien vorzeitig verkaufst, bist du ein Feigling und hilfst den großen Hedgefonds und schadest deinen Reddit-Kumpels. Der Wert von DeepFuckingValues Anteilen stieg in dieser Zeit von 50.000 auf 20 Millionen US-Dollar. Soweit wir wissen, hat er sie bis heute noch nicht verkauft.

Aber warum ist der Aktienkurs so heftig durch die Decke gegangen?

Das bringt uns zu dieser Woche. Wie es ausschaut, steckt Melvin Capital gerade so richtig in der Scheiße. Anfang der Woche brauchte der Hedgefonds eine Geldspritze von 2,75 Milliarden US-Dollar. Ein prominenter Risiko-Kapitalanleger gab an, GameStop-Aktien zu kaufen. Jede Zeitung, jeder Nachrichtensender berichtet über GameStop. Elon Musk, der berühmt dafür ist, die Tesla-Shortseller leidenschaftlich zu hassen, gab an, dass er selbst im WallStreetBets-Discord abhängt.

Die GameStop-Shortseller selbst haben noch keinen eleganten Ausweg aus der Situation gefunden. Bei WallstreetBets gehen viele davon aus, dass die GameStop-Aktie sogar bis auf über 1.000 oder 5.000 Dollar steigt. Zu diesem Zeitpunkt bewegt sich der Kurs gerade zwischen 300 und 400 Euro, also zwischen 360 und 480 US-Dollar. Im Subreddit scheint man auf jeden Fall noch nicht zufrieden zu sein.

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Muss dafür jemand in den Knast?

Nein, das ist alles legal. Vielleicht werden ein paar Hedgefonds pleite gehen. WallStreetBets selbst manipuliert allerdings nicht den Markt. Dort werden nur öffentlich einsehbare Informationen geteilt.

Was bedeutet das jetzt alles?

Die Finanzwelt ist in heller Aufruhr und das wahrscheinlich aus gutem Grund. Das hier könnte ein einschneidender Moment sein – möglicherweise bedeutet er sogar die Demokratisierung von Finanzinformationen. Bis zu einem gewissen Grad jedenfalls. Finanztechnologien und Analysen sind offenbar nicht mehr länger nur Managern von Hedgefonds, Finanzinstitutionen und den Superreichen vorenthalten, sondern der breiten Masse zugänglich.

Bei WallStreetsBets gibt es eine Gruppe von Menschen, die im Finanzsektor arbeiten oder gearbeitet haben, und die die Schnauze voll von der wachsenden Ungleichheit haben. Sie erklären einem breiten Publikum, wie der Laden läuft. Was sie tun, ist riskant, aber nicht "sehr dumm", wie manche meinen. Seit Jahrzehnten wird uns eingetrichtert, dass Banken und Leute, die bei Goldman Sachs und irgendwelchen Hedgefonds arbeiten, von denen noch niemand von uns gehört hat, schlauer sind als wir; dass sie es verdienen reich zu sein; dass sie in der Wirtschaft zurecht am Hebel sitzen; dass sie entscheiden sollten, welche Firmen gut und welche schlecht sind.

Also wird jetzt echt alles anders?

Noch ist unklar, wohin das hier alles führen wird. Immerhin sind die Leute, die ein paar Tausender in GameStop investieren können, schon die Leute, die überhaupt ein paar Tausender über haben – im Gegensatz zu den vielen, die durch die Pandemie ihre Jobs verloren haben. Und auch wenn ein paar Hedgefonds jetzt von Kleinanlegern ausgeweidet werden, dürften man sich bei großen Playern wie Fidelity und BlackRock, die zig Millionen GameStop-Aktien besitzen, gerade ebenso die Hände reiben.

Das Ende der Finanzelite ist also noch keineswegs gekommen. Für die paar Anleger, die in GameStop-investiert haben und jetzt auf dem Rücken von ein paar Hedgefonds ein paar Tausender machen, ist das aber trotzdem kein schlechtes Ergebnis.

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