Menschen

Corona-Krise: Aus diesem Grund verhalten sich Menschen wie Idioten

Wer jetzt unnötig rumläuft und Leute trifft, gefährdet Menschenleben. Wie kann einem das nur egal sein? Ein Sozialpsychologe gibt Antworten.
Niccolò Carradori
Florence, IT
Eine Illustration des Coronavirus in einem Gehirn
Illustration: Loris Dogana

Vor gut einer Woche erklärte die Weltgesundheitsorganisation die durch das Coronavirus verursachte Krankheit COVID-19 zur Pandemie, das heißt, Menschen auf der ganzen Welt sind davon betroffen. Vor allem in Europa schießen die Zahlen der Infizierten und der Todesopfer in die Höhe. Krankenhäuser und Hilfestellen sind im Dauerstress und drohen, unter der Belastung zusammenzubrechen. Und das alles, obwohl die Behörden mit allen Mitteln versuchen, die Ausbreitung des Virus einzudämmen.

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Italien ist von der Krise besonders schlimm betroffen: In dem südeuropäischen Land sind am 19. März schon über 35.000 Infektionsfälle bekannt, knapp 3.000 sind durch das Virus gestorben. Am 10. März verhängte die italienische Regierung eine landesweite Ausgangssperre. Mit Ausnahme von Apotheken und Supermärkten mussten alle Geschäfte schließen – auch Bars, Restaurants und Clubs. Schulunterricht und öffentliche Veranstaltungen wurden gestrichen, zudem wiesen die Behörden alle Unternehmen an, jegliche nicht essentiellen Abteilungen zu schließen. In einer Fernsehansprache sagte Ministerpräsident Giuseppe Conte: "Ich bleibe zu Hause."

Viele Italienerinnen und Italiener scheinen da jedoch anders zu denken. Als die Behörden dazu aufriefen, Ruhe zu bewahren, stürmte Tausende los und kauften die Supermärkte leer. Außerdem feiern viele Menschen in Italien weiterhin Partys und gehen in Bars und Restaurants, die eigentlich geschlossen sein sollten. Wer das tut, trägt maßgeblich zur Verbreitung des Virus bei – und dazu, dass immer mehr Infizierte mit schwerem Krankheitsverlauf sterben, weil die Krankenhäuser überlastet sind.

Zwar hat die italienische Regierung inzwischen militärische Checkpoints eingerichtet, um Leute zu bestrafen, die die eigenen vier Wände ohne triftigen Grund verlassen, aber so erwischt man auch nicht alle. Viele italienische Städte schlossen am 14. März auch öffentliche Spielplätze und Parks, weil sich die Leute dort weiterhin trafen.

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Warum verhalten sich Menschen nicht so, wie es ihnen für die eigene Sicherheit angeraten wird? Sind wir einfach nur ignorante Idioten? Oder rebellieren Menschen einfach gerne? Um diese Fragen zu beantworten, sprechen wir mit Renato Troffa, einem Professor für Sozialpsychologie an der Universität Cagliari. "Das ist ein komplexes Phänomen", sagt er. Unser persönlicher Bezugsrahmen – etwa unser sozialer Hintergrund und das Umfeld – wirke sich stark darauf aus, wie wir ein Risiko wahrnehmen: "Vertraut man der Regierung? Wie besorgt sind Freunde und Verwandte? All das spielt eine Rolle."

Wie man ein Risiko einschätzt, basiere laut Troffa auf drei Aspekten: Wie wahrscheinlich wird etwas eintreten, wie viel Kontrolle haben wir darüber und wie schwerwiegend könnten die Folgen sein. Für diese Einschätzung wichtig seien dann zentralisierte Informationsquellen, zum Beispiel Nachrichten und objektive Daten, aber auch Faktoren aus dem direkten Umfeld – wie das Verhalten der Menschen, mit denen wir viel zu tun haben. "Wenn man sich sehr für ein Thema interessiert oder sich gut damit auskennt, hört man eher auf die zentralisierten Informationsquellen", so Troffa weiter. "Wenn das nicht so ist, neigt man eher dazu, sich so zu verhalten und zu reagieren wie die Leute um einen herum. Das ist vor allem dann der Fall, wenn sich die Informationen ständig ändern."

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Die Angst vor der sozialen Ausgrenzung ist größer als die vor Corona

Wenn deine Freunde also der Meinung sind, dass man auch während einer globalen Pandemie feiern gehen darf, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass du das auch so siehst. "Natürlich haben diese Menschen auch Angst", sagt Troffa. "Sie wollen nicht, dass man über sie urteilt." Das erklärt, warum manche Leute auch dann weggehen, wenn sie glauben, dass das eigentlich keine so gute Idee ist: Sie wollen nicht, dass man sich über sie lustig macht. Außerdem neigen wir dazu, uns der Community anzupassen, zu der wir gehören. Auch Troffa sagt, dass wir einem Menschen, den wir kennen und respektieren, oft mehr vertrauten als wissenschaftlichen Fakten. "Die Sache wird noch komplizierter, wenn ein ungleiches Machtverhältnis vorliegt: Wenn zum Beispiel alle Kollegen weiter im Büro arbeiten, will man selbst auch kein Homeoffice machen, weil man der eigenen Karriere nicht schaden will."

Tendenziell sind wir bereit, ein Risiko zu verdrängen, wenn es unsere Gewohnheiten und Tagesabläufe durcheinander bringen könnte. "Wenn die Informationen so wie in den letzten Wochen nicht ganz eindeutig sind, dann reden wir uns verstärkt ein, dass das Risiko ja gar nicht so groß sei", sagt Troffa. Die Leute würden dann lieber zu der Einschätzung tendieren, dass sie ihr Leben normal weiterleben könnten. Das treffe vor allem dann zu, wenn die empfohlenen Maßnahmen unsere persönlichen Freiheiten einschränken – etwa die Freiheit, in eine Bar zu gehen und mit Freunden etwas zu trinken. "Wenn wir uns eingeschränkt fühlen, dann geben wir unseren Freiheiten eine höhere Priorität."

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Strenge Regeln machen es den Leuten einfacher

Hamsterkäufe und Corona-Partys haben Troffa zufolge etwas gemeinsam: Beides sind irrationale Reaktionen. "Wenn ich hier 'irrational' sage, dann meine ich das nicht wertend", sagt er. Bei beiden Dingen käme ein "unbegründeter Optimismus" zum Tragen. "Die Leute, die panisch in den Supermarkt stürmen, sind durch ihren persönlichen Bezugsrahmen konditioniert und glauben, dass ihre Einkäufe die Lage entschärfen. Die Menschen, die Party machen, sind von einem anderen Bezugsrahmen beeinflusst und gehen davon aus, dass sie sich ihren Ängsten nicht stellen müssen und dass die Probleme einfach verschwinden, wenn sie ihr Verhalten nicht ändern."

Troffa glaubt nicht, dass das unvernünftige Verhalten abnimmt, wenn man die Menschen damit konfrontiert. Denn niemand wolle Selbstwertgefühl und soziales Ansehen verlieren, dann neige man zur Rebellion. Wie sollten die Regierungen in den vom Coronavirus betroffenen Ländern dann vorgehen? Troffa empfiehlt einen entschlosseneren Ansatz. Ein Beispiel: Von zu Hause aus zu arbeiten, ist in Italien eher ungewöhnlich. Wenn die Behörden diesen Schritt nicht nur empfohlen, sondern direkt angeordnet hätten, dann wäre es laut dem Professor für Sozialpsychologie vielen Menschen leichter gefallen, diese Anweisung auch umzusetzen.

Natürlich fällt es einem nicht leicht, "irrationales" Verhalten zu verstehen. Aber vielleicht liegt genau darin der Schlüssel, um eine Pandemie zu besiegen.

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