Florian steht neben einer Sexschaukel in einem Sexclub
Sex

Florian ist Putzmann im Sexclub – und er liebt es

Er schlief im Tiergarten, hatte mit Männern Sex gegen Geld. Dann fand er seinen Traumjob.

Der Eintrittspreis im Böse Buben, einem Sexclub für schwule Männer, richtet sich nach dem zu erwartenden Reinigungsaufwand. Gestern kostete der Eintritt satte 18 Euro – es war Fistparty. Jetzt zeigt die Uhr 9:30, der Himmel ist nicht mehr schwarz, sondern grau, und in der Ferne rauschen Autos über die Autobahn durch das Gewerbegebiet in Berlin-Schöneberg. Hinter einer großen Einfahrt, gleich neben einer Autowerkstatt, befindet sich der Club.

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Der dunkle Eingangsbereich wird durch einen dicken Plastikvorhang abgeschirmt. Gleich dahinter ist die Bar. Hier steht Florian und zieht an einer Zigarette. Seine Schicht beginnt, wenn alle Lichter an und keine Gäste mehr da sind. Florian, schwarzes Haar, 3-Tage-Bart, ist hier der Putzmann. Seit sechs Jahren schon.

Im Sexclub nach der Fistingparty: benutzte Tücher und Florian der Putzmann

An der Wand hinter dem Tresen hängen Poster unter Plexiglas. Eines der Poster zeigt eine Aufnahme von zwei Männern, die einem anderen Mann, er sitzt in einem Planschbecken, ins Gesicht pinkeln. Darunter steht eine Auswahl an Gleitmitteln und hochprozentigem Alkohol.

Florian steigt eine Treppen nach oben, oder besser: Er humpelt. Die Behinderung hat er schon seit seiner Kindheit, die nicht gut war. Der Boden im ersten Stock klebt. Gleitgel, Sperma, wer weiß was noch. Aus einem Schrank in der Küche nimmt er Putzlappen, Handschuhe und einen Eimer.

Florian beginnt immer mit den Duschen und den Toiletten. Er lässt Wasser in den Eimer und desinfiziert die Analdusche. "Oft ist hier alles voller Spritzer", sagt er. Heute sieht es harmlos aus. Die Fäkalien anderer Menschen wegzuschrubben, macht ihm nichts aus. Andernfalls könnte er den Job nicht machen.

Analduschen und Toiletten

Geboren ist Florian in Rumänien, in Slobozia, einer Stadt im Südosten des Landes, zwei Stunden vom Schwarzen Meer entfernt. Seit elf Jahren lebt er in Berlin. Er kam her, weil es in seiner Heimat keine Perspektive für ihn gab. Er verdiente zu schlecht, und auch sonst hielt ihn nichts. Florians Kindheit war geprägt von Gewalt. Wenn man ihn danach fragt, spricht er offen darüber. Fast so, als wäre er froh, dass mal jemand fragt.

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Er sei gleich nach seiner Geburt von seinen Eltern im Krankenhaus abgegeben worden, erzählt Florian, und deshalb in einem Kinderheim aufgewachsen. "Es war sehr schlimm", wiederholt er immer wieder, schüttelt den Kopf und schaut dabei zu Boden. "Ich wusste lange nicht, was Schokolade ist." Als Kind sei er dort geschlagen worden. "Ich lebte in ständiger Angst." Prügel hätten jederzeit und ohne Grund gedroht. "Nachts haben mich manchmal zwei Männer mit meiner Decke aus dem Bett gerissen und ins kalte Wasser geworfen", erzählt er. Tagsüber hätte er mit den anderen Kindern auf der Straße betteln gehen müssen. Das Geld hätten die Betreuerinnen und Betreuer im Anschluss eingesammelt.

Einmal, Florian war etwa zehn Jahre alt, kam es zu einem Zwischenfall. Weil er sein Geld bereits einer Betreuerin gegeben hatte, sei ein anderer Betreuer wütend geworden. Er habe ihn an Fuß und Arm gepackt und mit voller Wucht auf den Boden geschleudert. Er hatte mehrere Knochenbrüche und kam ins Krankenhaus – das kaputte Bein blieb.

Im Sexclub Böse Buben Bar

Florian wechselt den Putzlappen und bereitet einen neuen Eimer vor. Im nächsten Raum hängt eine Sexschaukel. Das Gleitmittel, das zum Fisten benutzt wird, ist besonders hartnäckig. Man muss es extra anrühren, aus einem Pulver. Also fängt Florian an zu schrubben. Obwohl das Reinigungsmittel in der Nase zwickt, trägt Florian keinen Mundschutz. "Dann kann ich schlechter atmen", sagt er. Seine Haut trocknet von den Chemikalien aus, die Arbeit belastet seinen Rücken. "Aber das ist bei jedem Job so", sagt er und lacht. Florian ist glücklich hier. Er hat viel Schlimmeres erlebt.

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Florian sagt, er hätte im Heim nicht nur körperliche Gewalt erlebt, sondern sei von einem Lehrer zum Oralsex gezwungen worden. "Das war schrecklich", sagt er. "Ich war einfach noch so jung." Es blieb nicht dabei. Der Mann sei immer wieder in Florians Schlafzimmer gekommen, wenn die anderen Kinder weg waren.

Wenn Florian darüber spricht, lächelt er immer wieder, so als würde er die Gedanken abschütteln wollen und mit neuen ersetzen. Noch heute habe er Albträume und wache nachts auf, erzählt er. "So bin ich schwul geworden", sagt er. Das ist ein merkwürdiges Verständnis von Homosexualität, viele würden sagen: ein falsches. Aber Florian empfindet es so.

Später, mit 13 oder 14 Jahren, sei er zum ersten Mal für Sex bezahlt worden. Sex mit älteren Männern gegen Zigaretten oder Schokolade.

Florian putzt einen Hundenapf

In Berlin landete Florian 2009 auf dem Schwulenstrich im Tiergarten. Er fing an, sich zu prostituieren, weil er kein Deutsch sprach und niemanden kannte. "Ich wusste nur, wie ich 'Kann ich eine Zigarette haben, bitte?' sage", erzählt er. "Die Winter waren besonders hart." Ein Jahr übernachtete er in der Nähe eines Toilettenhäuschens in einem Schlafsack auf einem steinigen Boden, erzählt er. "Ich konnte immer nur bis drei oder vier Uhr morgens schlafen", sagt er. Drogen hätte er nie genommen, obwohl viele Männer um ihn herum täglich konsumiert hätten. Wenn er keine Kunden hatte, ging er tagsüber in ein Internetcafé. Dort wärmte er sich auf und suchte online nach weiteren Männern, die ihn für Sex bezahlen. 50 Euro verlangte er mindestens, andere Männer im Tiergarten hätten es auch schon für 10 Euro mit ihren Kunden gemacht.

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Zum Essen und Duschen sei er in Sozialeinrichtungen gegangen, bis ihn einer der Männer, die er im Park kennenlernte, bei sich zu Hause aufnahm. Die Beziehung hielt nicht lange. Im Internetcafé stieß er durch Zufall auf einen Verein, der Rumäninnen und Rumänen Hilfe anbietet und sie bei der Jobsuche unterstützt. Er verabredete einen Termin und fand mit der Hilfe einer Mitarbeiterin einen Putzjob in einem Hotel, in dem er auch übernachten konnte. Danach wurde sein Leben besser, gefestigter.

In einer Schwulensauna lernte er Ralf kennen, seinen heutigen Partner, der dort als Masseur arbeitete. Er ist 16 Jahre älter als Florian. "Ich wusste, dass er mein Mann wird, als wir zum ersten Mal miteinander geschlafen haben", sagt er. Er vermittelte Florian den Job als Putzmann im Sexclub.

Florian putzt einen Gynäkologenstuhl

Eine eigene Wohnung hatte Florian noch nie. "Es ist zu schwer, als Rumäne eine Wohnung zu finden", sagt er. Aber heute lebt er mit Ralf zusammen, nur wenige Meter vom Sexclub entfernt. Das Paar besitzt außerdem ein kleines Gartengrundstück in Potsdam und sie reisen viel. Brasilien steht als Nächstes an. "Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals reisen kann", sagt Florian. Zusammen mit Ralf flog er auch nach Rumänien und lernte seine Heimat neu kennen, ganz abseits der schmerzhaften Vergangenheit. "Rumänien kann auch ein schönes Land sein", sagt er. Den Ort seines Kinderheims zeigte er seinem Partner nicht, obwohl der danach fragte. Das sei einfach zu schmerzhaft.

Obwohl Florian seinen Job mag, ist die Belastung für seinen Körper mittlerweile zu groß. Die harte, körperliche Arbeit lässt sich mit seiner Behinderung nur schwer vereinen. Deshalb schlug er sich lange mit den Behörden und Papierkram herum – mit Erfolg. Schon in einem Monat steht ihm eine vorzeitige Behindertenrente zu. "Ralf hat mir viel geholfen", sagt er. Seine Stimme verändert sich, er flüstert fast. Ralf hat ihn auch an einen Psychologen vermittelt, mit dem er über seine Zeit im Kinderheim sprechen kann. "Dieser Mann ist mein Lottogewinn", sagt Florian. Sein Partner gebe ihm Kraft. Er schüttelt seinen Kopf und schaut dabei lächelnd ins Leere – fast so, als könne er nicht fassen, wie viel Glück er hat.

Florian auf der Treppe der Böse Buben Bar

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