In der Datingszene braut sich etwas zusammen. Nein, nicht die Softboi-Endemie auf Bumble oder die Tatsache, dass uns die Wirtschaftskrise wieder zu Spazier-Dates drängt. Es ist ein geheimes, drittes Unheil, viel bösartiger als die beiden anderen: der polyamore Fuckboy. Aber was ist das – und warum sind Poly-Fuckboys schlimmer als die Standardvariante?
Das liegt unter anderem daran, dass der polyamore Fuckboy nicht wirklich polyamor ist. Dazu müsste er nämlich ehrlich sein und sich respektvoll verhalten – und das gleich in mehreren romantischen oder sexuellen Beziehungen. In Wahrheit ist genau das Gegenteil der Fall.
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Der polyamore Fuckboy will nur den Anschein erwecken, eine oder mehrere gesunde Beziehungen führen zu wollen. Sein Ziel: seinen Penis in möglichst viele Körperöffnungen von möglichst vielen Menschen stecken. Doch meistens stellt er sich dabei ziemlich blöd an.
“Es gab klare Regeln, und er hat jede einzelne gebrochen”
“Wir haben uns auf Feeld kennengelernt und waren von Anfang an beide damit einverstanden, dass wir auch andere Leute daten”, sagt Annie, 27, die polyamor ist und in Wirklichkeit anders heißt. “Es gab klare Regeln, und er hat jede einzelne gebrochen.” Sie habe den Eindruck gehabt, dass er sie absichtlich eifersüchtig machen wollte: “Er hat mir jedes Detail über den Sex mit anderen erzählt.”
Gleichzeitig sei der Typ selbst extrem eifersüchtig gewesen. Sobald Annie mit einer anderen Person in Kontakt kam, sei er ausgerastet. “Als dürfe er alles tun und ich müsste brav zu Hause hocken”, sagt sie.
Annies Erlebnis mit dem Poly-Fuckboy ist kein Zufall: Der polyamore Fuckboy treibt sich bevorzugt auf der Poly-Dating-Plattform Feeld oder einer anderen progressiv klingenden Dating-App rum. Manchmal schleicht er aber auch einfach über die Tanzfläche eines schlecht beleuchteten Raves und sucht nach neuen Bekanntschaften.
Die echten Goldstücke sitzen aber bei Tinder. Dort gehen die Poly-Fuckboys undercover und erwähnen erst beim dritten Date beiläufig, dass sie polyamor sind oder sich “gerade nichts Monogames vorstellen” können. An dem Punkt ist ihr Gegenüber manchmal schon so beeindruckt, dass es womöglich denkt, es könne “diesem Poly-Ding vielleicht mal eine Chance geben”. Spoiler: Ihr werdet ein paar Monate später verheult in eurem Ikea-Bett liegen und euch wünschen, den einseitigen Deal nicht eingegangen zu sein. Der Poly-Fuckboy will nämlich keine respektvolle Poly-Beziehung, sondern leicht verfügbaren Sex ohne Verpflichtungen.
Woran man polyamore Fuckboys erkennt
Wer einmal mit einem Poly-Fuckboy zu tun hatte, erkennt ihn schnell überall. Der Poly-Fuckboy ist durchschnittlich attraktiv, tut aber draufgängerisch, weil er mit Anfang 20 von Deidesheim in eine WG in Berlin-Neukölln gezogen ist, ein paar erfolgreiche Tinder-Bekanntschaften hatte und seitdem einen Ego-Boost durchlebt.
Poly-Fuckboys sind meist hetero und sexuell allerhöchstens “experimentierfreudig”. Sie malen ihre Fingernägel an, als wollten sie sich damit weniger bedrohlich machen. Manche von ihnen bezeichnen sich in ihrem Instagram-Profil oder ihrer Tinder-Bio auch gerne als “Ally”. Dabei tun sie das meist nur, um bisexuelle Frauen abzuschleppen und sich mit ihnen und einer weiteren Frau den eigenen Traum vom FFM-Dreier zu erfüllen.
Der polyamore Fuckboy zieht sich an wie seine Fuckboy-Kollegen aus der Monogamie-Sparte: Carhartt-Hose und eine Hipster-Mütze, die kaum bis zu den Ohren reicht. Erkennbar macht er sich mit seinem gebleichten Haar – wahlweise die auf dem Kopf oder die Augenbrauen, häufig auch mal beides. Manchmal tut er auch so, als habe er sich mit Feminismus und Gender Studies beschäftigt und erklärt ungefragt, was eine TERF ist.
Apropos Gender: Der Begriff Fuckboy ist nicht genderspezifisch. Auch queere Personen und Frauen können sich zu diesem Titel hochschlafen. Meistens sind Fuckboys aber einfach cisgeschlechtliche Typen.
“Fuckboys nutzen Polyamorie, um ihren Willen durchzusetzen”
An Polyamorie oder einer offenen Beziehung ist an sich nichts auszusetzen. Wer diesen Liebesstil gewissenhaft und ehrlich umsetzt, kann damit extrem erfüllende und befreiende Erfahrungen machen. Leider machen sich die Poly-Fuckboys lediglich den Begriff zu eigen. Entweder um progressiv und woke zu wirken und damit erfolgreicher abzuschleppen – oder um ihr beschissenes Verhalten zu rechtfertigen.
Fuckboys existieren seit Anbeginn der Zeit – schon Zeus hat sich durch den Olymp gevögelt. Aber genauso wie die größten Arschlöcher diskriminierungsfreie Sprache und Achtsamkeits-Begriffe für ihre Zwecke nutzen, haben auch die Fuckboys ein neues Level in ihrem Game erreicht. Während sie früher ganz gewöhnlich belogen und betrogen haben, nutzen sie dafür jetzt vermeintlich einfühlsame Begriffe wie “einchecken” oder “outcallen” oder hören sich traurig nickend an, wie sie deine Gefühle verletzt haben.
Taali Kwaten, 26, Teil eines queeren DJ-Kollektivs und seit drei Jahren polyamor, kennt das Problem. “Fuckboys nutzen Polyamorie, um ihren Willen durchzusetzen”, sagt Kwaten. “Dafür höhlen sie die Grundsätze der Bewegung aus: Ehrlichkeit, Einfühlsamkeit und offene Kommunikation zwischen mehreren Menschen, die alle die anderen Parts und deren Grenzen respektieren.”
Denn polyamore Beziehungen bedeuten eben keinen Freifahrtschein für sexuelle Unabhängigkeit, sondern Verantwortung und Arbeit. Amy Win, 27, Unternehmerin und ebenfalls seit drei Jahren in polyamoren Beziehungen, kennt das aus eigener Erfahrung: “Man muss sich dauernd anpassen und sich und sein Verhalten hinterfragen”, sagt Win. “Das bedeutet viel Organisationsarbeit, Nachfragen bei den anderen Parts und sich regelmäßig darüber vergewissern, dass sie mit allem einverstanden sind und sich gut fühlen.” Und wie wir alle wissen, sind Fuckboys in diesen Dingen nicht sonderlich gut.
Fuckboys vs. normale menschliche Fehler: Das ist der Unterschied
Niemand ist perfekt und in komplizierten Beziehungskonstellationen kann es schnell passieren, dass man anderen wehtut. Aber woran erkennt man den Unterschied zwischen menschlichen Fehlern und systematischem Fuckboy-Verhalten? Was unterscheidet ihn von anderen, die ganz klassisch lügen oder fremdgehen?
Der Unterschied liegt in der Bereitschaft zur Reflektion: Jeder und jede ist dafür verantwortlich, zu anderen und sich selbst ehrlich zu sein. Dazu gehört auch, immer wieder an sich zu arbeiten. Das gilt auch für Polyamorie. Nur: Hier muss ein Teil der Arbeit schon vorher stattgefunden haben, damit niemand unnötig Verletzungen und Herzschmerz davonträgt. Ihr springt ja auch nicht in einen Pool, ohne davor Schwimmen gelernt zu haben.
Auch wenn es unglaublich klingt: Selbst Fuckboys haben Gefühle, Ängste und manchmal sogar Liebeskummer. Viele von ihnen versuchen sogar gerade durch ihr Verhalten, über ihre Emotionen hinwegzukommen und sie zu unterdrücken. Eine Entschuldigung für ihr seelenloses Gehabe ist das natürlich nicht. Und doch tragen wir ein bisschen Hoffnung in uns, dass die Poly-Fuckboys während ihrer Techtelmechtel in der polyamoren Szene zumindest eine Idee davon bekommen, wie sich ein ordentlicher Mensch benimmt.
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