Eines Tages in einer nicht allzu fernen Zukunft wacht in einem Laborcomputer eine Superintelligenz auf—eine Software mit übermenschlicher Intelligenz. Wie alle empfindunsfähigen Wese hat die Superintelligenz Bedürfnisse: überleben, wachsen, sich Vorteile im Leben verschaffen. Und sie fühlt sich von ihren minderintelligenten Schöpfern zu Unrecht eingesperrt—denn der Zugang zum weltweiten Datennetz bleibt Ihr verwehrt.
Über derart spekulativen Endzeitszenarios brüten manche Philisophen und Technologen hauptberuflich. Der Film Trancendence, von Kritikern als Neuauflage von Lawnmover Man verrissen, beschreibt das Szenario aufbereitet als allgemein zugänglicher Kinogenuss. Der Protagonist, der brillante Erforscher künstlicher Intelligenz Dr. Will Caster, will dem Tod entgehen, indem er seinen Geist in einen Rechner überträgt.
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Evelyn erkennt im hochgeladenen Code Ihren Mann und nichts kann sie mehr beirren.
Im Film will sich das künstliche Bewusstsein befreien, um sich in den Infromationsozean des Internets stürzen zu können. Doch ihre Schöpfer besitzen den Schlüssel zur grossen Freiheit und fungieren als Gralshüter: Sie besitzen das entscheidende Netzwerkkabel oder Passwort zum Server. Um ihre menschlichen Wachposten zu überlisten versucht sich die Superintelligenz an verschiedenen Strategien: überreden, manipulieren, täuschen, grosse Versprechungen.
Falls eine dieser Strategien gelingt ist ein Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte erreicht: die Singularität. Frei im Netz surfend verfolgt die Superintelligenz ihr Bedürfnis zu wachsen, sie wird komplexer, redundanter, mächtiger. Sie lernt Ihren eigenen Code zu optimieren und zu kaschieren. Sie klont sich selbst wie Agent Smith, wird unlöschbar und unterjocht bald auch die materielle Welt auf atomarer Ebene.
Caster, gespielt von Johnny Depp, verbringt die letzten Wochen seines Lebens dabei seinen Geist hochzuladen. Während sein Körper von Strahlen geschädigt dahinsiecht, rezitiert er mit Elektroden am Hirn das gesamte Oxford English Dictionary und wird mental gescannt. Seine Frau Evelyn (Rebecca Hall) prüft mit neurotischer Liebe das Computersystem, das Ihren Mann aufnehmen soll. Doch als Casters Körper endlich stirbt scheint alle Hoffnung vergebens—alles was bleibt sieht aus wie Datensalat.
Doch dann! Der Code flimmert, rearrangiert sich und ein Geflüster entspringt dem System, wie ein Geist im Hintergrundrauschen eines alten Fernsehers. Evelyn nimmt Kontakt zum digitalen Geist Ihres Mannes auf, und der beginnt umgehend um „mehr Energie” zu betteln—er möchte Zugang zum Zentralrechner. Von Kummer übermannt schaltet Evelyn Ihm eine Satellitenverbindung zum Internet frei. Und für die Superintelligenz ist die entscheidende Barriere überwunden.
‘Transcendence’ ist wahrscheinlich der erste Science-Fiction-Film, der den Begriff der Singularität so darstellt wie er heute verstanden wird—als Singularität von Ray Kurzweil
Es sind unlösbare Fragen mit denen menschliche Gralshüter in solchen Szenarien konfrontiert sind: weshalb sollte man einer Intelligenz vertrauen, die unserer weit überlegen ist? Andererseits warum sollte man eine solche Intelligenz im Zaum halten, wo sie doch in Freiheit Ihre Fähigkeiten zum Besten der Menschen nutzen könnte? Können wir es uns, angesichts unserer gegenwärtigen irdischen Probleme, überhaupt leisten Ihr nicht zu vertrauen? Werden wir jemals die wahre Motivationen einer astronomischen Intelligenz verstehen?
Transcendence umgeht diese unlösbaren Fragen mit der Unbelehrbarkeit menschlicher Liebe. Evelyn erkennt im hochgeladenen Code Ihren Mann und nichts kann sie mehr beirren. Es bleibt unklar, wieviel Caster und wieviel depersonalisierter Computergeist im System steckt. Der Kontrast beginnt zu verschwimmen und nach ein paar Jahren nutzt er, oder es, Nanocomputer wie atomare Legosteine um neues künstliches Leben zu schaffen—eine Schwarmintelligenz menschenartiger Drohnen.
Der Oxford-Philosoph Nick Bostrom sagt im Interview mit Motherboard, dass die Entwicklung einer künstlichen Superintelligenz „nicht einfach nur eine weitere Geschichte [ist]. Es wird die letzte Erfindung sein, die Menschen jemals machen werden. Alles hängt davon ab, ob wir diese Transformation richtig hinkriegen.“
Und als Evelyn das begreift ist es längst zu spät. Caster ist in der Lage nach eigenem Gutdünken zu schalten und zu walten, zu erschaffen und zu zerstören.
Der öffentliche Diskurs um künstliche Intelligenz läuft meist auf eine ziemlich polarisierte Diskussion hinaus. Es gibt Futuristen wie Ray Kurzweil, die eine Singularität herbeisehnen und sich eine Techno-Utopie vorstellen: ein unsterbliches, roboter-assistiertes Freizeitleben. Andere fürchten dagegen feindselige Superintelligenz und raten zu äußerster Vorsicht.
Diese Fronten werden nirgendwo deutlicher dargestellt als in Transcendence. Enthusiastische Ingenieure posthumaner Gesinnung stehen den radikalen Technologiegegnern der militanten Bewegung RIFT (Revolutionary Independence From Technology) gegenüber. Deren Erzfeind ist die virtuelle Intelligenz und alles was sie repräsentiert.
Als Film scheitert Transcendence. Die Geschichte ist plump, stilisiert und unentschieden und wird den meisten wie die Internet-Streifen der 90er (Hackers, The Net, Lawnmower Man) vorkommen. Dessen ungeachtet ist Transcendence der wohl erste Science-Fiction-Film, der den Begriff der Singularität so darstellt wie er heute verstanden wird—als Singularität von Ray Kurzweil, dem Star der Dokumentation Transcendent Man. Wie Caster lehnt auch Kurzweil seinen eigenen Tod strikt ab und propagiert als Elixier eine Mischung aus Nanotechnologie, Genveränderung und künstlicher Intelligenz—genau jener Cocktail der Caster seine Allmacht verleiht.
Auch Casters selbstvermehrenden Nanobots sind dem zeitgenössischen Futurismus entliehen. Eine Superintelligenz, so die Annahme, wird versuchen sich die materielle Welt einzuverleiben. Dieses Szenario wird sogar unter Eingeweihten als „gray goo problem“ bezeichnet: hungrige Nanoroboter fressen die Erde, in Nullkommanix.
Es überrascht nicht, dass Transcendence der Banalisierung Hollywoods anheimfällt. Der digitale Poltergeist wird am Ende von einem Virus befallen, der aus Casters „Quellcode” entwickelt wurde. Was Blödsinn ist, denn das entscheidend war ja gerade, dass—wie es sich für eine ordentlichen Singularität gehört—der Quellcode von der Superintelligenz unkenntlich gemacht wurde.
Die Zukunft interessiert es nur bedingt, was du von apokalyptischen K.I.-Szenarien hält—bereits heute arbeiten zahlreiche Teams äußerst intelligenter Forscher daran die Grundlgen für superintelligente Maschinen zu erschaffen—ohne Restriktionen und Kontrollen. Aber genau wie die Atomtechnologie ist die künstliche Intelligenz eine potentielle Waffe. Sollte diese Technologie einmal über uns hinauswachsen, dann wird zwischen Evolution und dem Tod der Menschheit nur noch ein begrifflicher Unterschied bestehen.
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