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Flüchtlinge in Deutschland

Können 25 Asylbewerber die deutsche Politik verändern?

Zwei SPD Politiker überredeten die Flüchtlinge, ihren Protest zu unterbrechen. Ein Hauptargument war dabei, die Forderungen der Asylbewerber zum Thema bei den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen zu machen.

In Lebensgefahr sind sie nicht mehr, aber die Teilnehmer des Hungerstreiks vor dem Brandenburger Tor letzte Woche sorgen bei deutschen Politikern immer noch für Kopfzerbrechen. Ihre Aktion, mit der sie vor allem für die Anerkennung ihrer Asylanträge und für mehr Rechte für Asylbewerber in Deutschland demonstriert haben, könnte die deutsche Asylpolitik vielleicht beeinflussen:

„Aktionen wie die am Brandenburger Tor und am Oranienplatz [ein Protestcamp, bei dem es gestern zu stundenlangen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam] bringen dem Thema natürlich Aufmerksamkeit“, sagt Franziska Schönberner, die Sprecherin der Berliner Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD). „Das wird ein Thema sein, mit dem sich die Politik in Deutschland und Europa immer wieder auseinandersetzen wird.“

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Kolat gehört zusammen mit dem Flüchtlingsexperten der SPD, Rüdiger Veit, zu den Politikern, die die Flüchtlinge in langen Gesprächen letzten Samstag überreden konnten, ihren Protest zu unterbrechen. Ein Hauptargument beider SPD-Politiker war dabei, die Forderungen der Asylbewerber zum Thema bei den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen zu machen.

Seit die Hungerstreikenden am Samstag überredet werden konnten, ihre Aktion abzubrechen, sind die 25 Asylbewerber in einer Tagesküche für Obdachlose in Berlin-Kreuzberg untergebracht. Nach elf Tagen ohne Essen, dazu die letzten fünf ohne Wasser, ruhen sie sich erstmal hier aus.

Jules Akili, deutlich ausgeruhter als noch letzte Woche auf dem Pariser Platz

Neben der Anerkennung ihrer Asylanträge hatten die Flüchtlinge vor allem drei Dinge gefordert: das Recht auf Arbeit, Deutschkurse, und das Ende der Residenzpflicht, die es allen Asylbewerbern vorschreibt, in der Stadt oder dem Landkreis zu bleiben, dem sie ursprünglich zugeteilt worden sind.

„Offiziell dürfen wir ja gar nicht in Berlin sein—das ist auch etwas, wogegen wir protestieren“, erklärt mir Jules Akili, den ich während dem Hungerstreik kennengelernt habe. „Bis jetzt haben sie noch keinen Ort für uns gefunden, also warten wir weiter.“ Wir sitzen im Hof der Tagesküche, die offiziell „Zentrum für Gesundheit und Kultur“ heißt und von der Evangelischen Kirchengemeinde der Heilig-Kreuz-Passion betrieben wird. Die Spruchbänder des Streiks hängen jetzt hier an den Zäunen, dazwischen aber auch lange Reihen von Wäsche, die an der Luft trocknet. Das Gebäude ist eigentlich nicht auf Übernachtende eingerichtet. Die Flüchtlinge schlafen im großen Atelier und in Konferenzzimmern auf dem Boden, tagsüber rollen sie ihre Habseligkeiten zusammen und machen Platz für den normalen Betrieb. „Das ist hier alles provisorisch, wir suchen händeringend nach einer anderen Lösung“, erklärt mir Christiane Pförtner von der Gemeinde. „Es kann nicht sein, dass die Kirche jetzt das Problem hat.“

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Im Hintergrund trocknet die Wäsche, weil es im Zentrum keinen Trockner gibt.

Die Unterbringung in dem Zentrum ist tatsächlich nur eine Notlösung, anscheinend wird fieberhaft nach einer geeigneteren Bleibe für die Asylbewerber gesucht. Da alle Flüchtlinge nach dem „Königsteiner Schlüssel“ Bayern zugeordnet worden sind, ist hier eigentlich niemand für sie zuständig. Sie müssen deshalb „Urlaubsanträge“ stellen, bei denen Senatorin Kolat sie unterstützen will. In Bayern ist man wahrscheinlich sowieso froh, dass die aufmüpfigen Asylbewerber jetzt Berlins Problem sind.

Die Suche nach einer neuen Bleibe wird auch dadurch kompliziert, dass der Berliner Senat keinen Präzedenzfall für andere Asylbewerber schaffen will. Schönberner erklärt, warum man keine „Sonderregelung“ für die 25 Protestierenden einrichten möchte. „Natürlich ist Berlin als Ort für Demonstrationen attraktiv, die sich an die Bundesregierung wenden. Aber das Land Berlin ist nicht zuständig für die Unterbringung der aus Bayern kommenden Asylbewerber“, erklärt die Sprecherin. „Eine Sonderreglung für die 25 Demonstranten vom Brandenburger Tor könnte als Einladung für weitere, nicht Berlin zugeordnete Flüchtlinge missverstanden werden.“

Die gesammelten Besitztümer der Flüchtlinge

Den Flüchtlingen im Hof der Obdachlosenküche geht es aber nicht darum, in Berlin eine Unterkunft zu bekommen. „Normale Menschen stehen morgens auf und gehen zur Arbeit, aber wir haben dieses Leben nicht. Das ist alles, was wir wollen, deshalb machen wir diese Aktionen, um gleich zu sein. Vielleicht hat es sich irgendwann gelohnt“, meint Brook Tadele, ein anderer Flüchtling, den ich vom letzten Mal noch kenne.

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Weil Deutschland im Moment aber keine Regierung hat, hat man sich darauf geeinigt, den Streik für drei Monate zu unterbrechen. Für die Koalitionsverhandlungen sieht Schönberner durchaus Chancen: Die Residenzpflicht wurde bereits in einigen Bundesländern gelockert, die Frist bis zum Eintritt in den Arbeitsmarkt gelockert, und für Sprachkurse haben sich auch sämtliche Innenminister der Länder ausgesprochen. Wenn die SPD die CDU zu noch mehr Zugeständnissen überreden kann, könnten sich die Lebensbedingungen der Asylbewerber in Deutschland tatsächlich verbessern.

Zum Bettenlager umfunktionierter Konferenzraum

Senatorin Kolat hat sich in einem Positionspapier bereits für eine komplette Abschaffung der Residenzpflicht und einen früheren Zugang zum Arbeitsmarkt eingesetzt.

Fürs Erste bleibt die Truppe im „Zentrum für Gesundheit und Kultur“. So schlecht scheint es ihnen hier auch nicht zu gehen, finde ich, sie sehen jedenfalls deutlich fröhlicher aus als noch letzte Woche. Die Flüchtlinge aus den verschiedensten Ländern laufen in Haus und Hof herum und scherzen miteinander. Tikist Beley, die während des Streiks zweimal zusammenbrach, kniet jetzt im Hof und kocht über einem Lagerfeuer.

„Hier ist es besser als in den Lagern“, meint Jules zu mir. Wenn er über die „Lager“ spricht, wird der Kongolese, der schon seit vier Jahren in Asylheimen auf eine Entscheidung seines Antrags wartet, richtig wütend. „Das ist es, was mich motiviert. Ich kann nie mehr ins Lager zurück. Niemals. Ich bleibe lieber hier, als ins Lager zurückzugehen—mit dem „Paketessen“-System, dem „Taschengeld“, der „Residenzpflicht“.

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Die Flüchtlinge sind entschlossen, dem BAMF drei Monate Zeit zu geben, um ihre Fälle zu prüfen, dann wollen sie den Streik fortsetzen. „Wir wollen, dass alle akzeptiert werden“, sagt Jules. „Aber sie können uns sonst natürlich keine Garantien geben.“ Und was, wenn nur ein paar von ihnen Asyl in Deutschland bekommen, die anderen aber abgeschoben werden? „Da denke ich noch nicht dran. Wir werden sehen, was passiert.“

Flüchtlinge nutzen die Mitarbeiterküche

In einer E-Mail erklärte das Bundesamt jedoch, dass die Lage deutlich komplizierter sei. Die 25 Anträge befänden sich alle „in verschiedenen Stadien“. Denn: „Die Anträge von 5 Personen waren bereits vor Beginn des Hungerstreiks rechtskräftig abgelehnt; 6 Personen klagen gegenwärtig bei Gericht gegen negative Entscheidungen des Bundesamts; eine Person hat zuvor in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt, die Zuständigkeit für diesen Fall liegt nicht bei Deutschland; eine weitere Person hat bereits eine Niederlassungserlaubnis—das heißt ein Daueraufenthaltsrecht—in Deutschland erhalten“, schreibt die Pressesprecherin des BAMF. „Lediglich die Verfahren von 12 Personen sind somit gegenwärtig beim Bundesamt noch nicht abgeschlossen.“ Die Pressesprecherin weist außerdem darauf hin, dass es letztes Jahr 27% der Antragsteller in die „Schutzgruppe“ geschafft haben—die anderen durften nicht bleiben.

Brook will den Kampf weiterführen, sollte das passieren. „Wir brauchen Akzeptanz für alle in der Gruppe. Wir haben alle dasselbe Problem“, sagt der Äthiopier. „Vielleicht ist es manchmal unmöglich, es allen zu geben, weil wir alle aus verschiedenen Ländern kommen. Aber wir kämpfen zusammen.“

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Only God can judge Brook Talede

Eins ist auch ihm klar: Weiter in Asylheimen auf eine Entscheidung warten, das wollen sie nicht. „Wir können nicht mehr lange warten. Deshalb geben wir unser Leben hier in die Öffentlichkeit, weil wir eine praktische Lösung brauchen“, sagt Brook. Ob er glaubt, dass die neue Kompromissbereitschaft der Politiker einen Sieg darstellt? „Ich hoffe es. Wir glauben, dass es besser wird für uns.“

Wenn man Brook und Jules gegenübersitzt, kommt einem das Klischee vom undankbaren Sozialschmarotzer-Asylanten noch hirnrissiger vor. Kein Mensch würde sich freiwillig solchen Strapazen und solcher Missachtung aussetzen, wenn er nicht wirklich überzeugt wäre, keine andere Möglichkeit zu haben. Niemand kann einem Gast Undankbarkeit vorwerfen, wenn er von seinem Gastgeber verlangt, nicht in der Besenkammer eingesperrt zu werden, sondern sich auch im Haushalt nützlich machen zu dürfen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Stimmen der Flüchtlinge aus Bayern nicht ungehört bleiben.

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