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Vom Hostel auf die Straße – Alltag für Flüchtlinge in Berlin?

Wir haben eine syrische Familie begleitet, die gestern aus einem Berliner Flüchtlings-Hostel geflogen ist.

Khaled klingt aufgebracht am Telefon. „Das ist so unfair, so unfair!", wiederholt er immer wieder. Der VICE-Übersetzer ist ein Freund von Ibrahim Alowayid, einem syrischen Flüchtling, der gemeinsam mit seiner Familie aus dem City Hostel 54 in Berlin-Wedding geworfen wird. Vor fünf Monaten hat VICE über das Geschäft von als Flüchtlingsunterkünfte genutzten Hostels berichtet. Durch die Möglichkeit der Vollbelegung und des längerfristigen Aufenthalts der Flüchtlinge verdienen viele Hotels und Hostels in Berlin viel Geld. Einige Hostels stocken dazu die Zimmer mit Matratzen auf, um noch mehr Personen unterzubringen. In unserer Dokumentation zeigten wir Ausschnitte aus dem Leben im City 54 Hotel & Hostel in Berlin-Wedding. Wo vor der Flüchtlingswelle bis zu 208 Touristen ein temporäres zu Hause gefunden haben, mussten zwischenzeitlich bis zu 870 Flüchtlinge unterkommen. Für jede Person erhält die Betreiberin 20,48 Euro am Tag, bei einer derartigen Anzahl an Flüchtlingen wären das 5,16 Millionen Euro im Jahr. Dass ein Hostel für 208 Gäste keine vernünftige Unterkunft für so viele Menschen sein kann, liegt auf der Hand.

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Auch wenn heute nicht mehr so viele Geflüchtete in dem Hostel untergekommen sind, hat sich die Situation an anderer Stelle verschärft. Denn Khaled erzählte mir, dass immer wieder Flüchtlingsfamilien das Hostel aus anscheinend kuriosen Gründen verlassen müssen. An diesem Tag ist Ibrahims Familie dran, vor acht Monaten sind sie aus Syrien geflüchtet.

Vor dem Hostel treffe ich die Familie Alowayid an, die gerade das Hostel verlassen musste. Vier Frauen und drei Männer stehen auf der Straße, sie tragen gerade die letzten mit Töpfen, Pfannen und Kleidunng gefüllten Ikea-Tüten auf den Gehsteig. Zwei der Männer sind Freunde der Familie, die beim Auszug geholfen haben.

Eine deutsch-syrische Cousine übersetzt. „In dem Heim hier ist immer was los, fast jeden Tag werden Familien rausgeworfen. Durch die vielen Menschen kommt es zu Ungeziefer. Mäuse sind gerade das Hauptproblem im Haus."

Die Familie rückt näher zusammen und scharrt sich um das Auto der Cousine, während die Ikea-Tüten unbeobachtet auf dem Bürgersteig bleiben. Ein vorbeilaufender Berliner beschwert sich, dass „die Kanaken doch ihren verdammten Scheißdreck" wegräumen sollen.

Auf meine Rückfrage, woher die Mäuse kommen, erzählt mir die Familie von den Zuständen des Hostels. Alle reden wild durcheinander. „Es gibt zu viele Leute da drin—vor ein paar Monaten war es sogar so voll, dass sie selbst in unsere Küche und in den Hausflur Matratzen gelegt haben. Alles, damit die Frau mehr Geld verdient."

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„Die Frau" ist Angelika S., die Besitzerin des Hostels. Während wir uns auf dem Bürgersteig unterhalten, kommt sie kurz vor die Tür. Sie lächelt und schaut auf den Haufen an Tragetaschen. Als ich sie mit der Frage konfrontiere, wieso die junge Familie das Haus verlassen musste, winkt sie ab, sagt „Dazu möchte ich keine Stellung nehmen. Das hat seine Gründe" und verschwindet wieder im Hostel.

„Wir sind aus Syrien geflüchtet und kommen von einem Krieg in einen anderen Krieg", sagt Ibrahim. „Die beiden Jüngsten haben gerade einen Sprachkurs begonnen, meine jüngste Schwester ist gerade wieder zur Schule gegangen und ist dort auch sehr zufrieden. Die ist hier um die Ecke, jetzt müssen wir erstmal eine andere Unterkunft suchen."

Im weiteren Verlauf erzählt mir die Familie auch von Kontrollen seitens des Personals. „Bei uns Muslimen gibt es einfach ein paar Dinge, die ein Mann nicht sehen darf. Und trotzdem knallt es immer wieder ungefragt an der Tür und die Securitys kommen in unser Zimmer. Das ist wie im Gefängnis, Privatssphäre haben wir nicht. Manchmal wird nicht einmal geklopft. Warum sie kommen, wissen wir nicht. Sie sagen immer, dass sie schauen, ob das Licht brennt." Eine Schwester von Ibrahim erzählt von regelmäßigen Beleidigungen seitens der Security. „Warum wir hier sind und ob wir nicht endlich wieder abhauen wollen aus Deutschland."

Die Familie hat eine fristlose Kündigung erhalten, weil es angeblich nicht sauber genug in ihren Zimmern war. Die Übersetzerin ist empört. „Ich kenne meine Cousine, ich weiß, wie sauber sie ist. Sie wird den anderen auch Beine gemacht haben." Von der Cousine der Übersetzerin erfahre ich, dass eine Angestellte öfter die Sauberkeit überprüft haben soll. „Sie fand die Zimmer immer sehr sauber und hat sich nie beschwert."

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Das Sozialamt kommt laut den Alowayids häufiger zur Kontrolle. „Sobald die Besitzerin davon Wind bekommt, schickt sie einige Leute für einige Stunden aus dem Haus und räumt die Zimmer um." Diese Information deckt sich auch mit den Zuständen von vor fünf Monaten aus der Dokumentation. Die Übersetzerin erzählt weiter: „Ich konnte meine Cousine gar nicht mehr besuchen. Das durfte ich gar nicht. Besucher haben schon lange keinen Zutritt mehr, da es so viele Mäuse gibt—und das sollte eben niemand mitbekommen."

Dass niemand in das Hostel kommt, erzählte mir auch der freiwillige Flüchtlingshelfer Carsten vor ein paar Tagen am Telefon. Er unterstützt eine andere Familie, die dieselbe Unterkunft vor zwei Wochen aus einem ähnlichen Grund verlassen musste. Er durfte der Familie „nichtmal einen Fernseher vorbeibringen, als das Gerät vor einigen Wochen kaputt gegangen ist." Es scheint niemand Zutritt zum Hostel zu haben.

Pro Woche sollen laut Ibrahim zwei bis drei Familien das Hostel verlassen müssen. Der Grund sei immer an den Haaren herbeigezogen. Mal sei es eine Beschwerde wegen fehlender Sauberkeit, mal das verbotene Einlassen von fremden Personen in die Unterkunft. Nachfragen und Hinterfragen der Zustände werde auf Kündigungen als handfester Streit beschrieben. Alle Kündigungen seien fristlos und unverzüglich, das Hausverbot werde dazu direkt ausgesprochen.

Ibrahim, sein Freund Khaled und auch der Flüchtlingshelfer Carsten vermuten jedoch andere Gründe. „Mit neuen Flüchtlingen verdient das Hostel mehr Geld. Denn Anfangs gibt es Essensgutscheine und einen Hotel-Service, die die Betreiberin berechtigen, mehr Geld vom Staat zu verlangen. Daher lohnt es sich für sie, immer wieder Familien aus dem Haus zu werfen."

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„Mit der Not der Menschen und den Herausforderungen, die der Staat nicht sofort erfüllen kann, werden manche schnell zu Millionären, auf sehr unseriöse und auch unsympathische Weise", sagte Bezirksstadtrat Stephan von Dassel schon vor fünf Monaten zu VICE. Das Geschäft mit den Flüchtlingen hat in den letzten Wochen anscheinend einen noch ganz anderen Turn bekommen.

Berlin kämpft immer noch mit der Unterbringung der Flüchtlinge. Dass die Stadt selten bei Unterkünften wie dem City 54 Hotel & Hostel eingreift, lässt sich vielleicht ein Stück weit auch dadurch erkären. Es gibt einfach zu wenige Unterkünfte für Flüchtlinge.

Abends telefoniere ich noch mit der festen Freundin von Ibrahim. Sie selbst ist auch Syrerin, lebt aber schon ihr ganzes Leben in Deutschland. Die beiden haben sich in Berlin kennengelernt. Ibrahim hat wohl mitbekommen, dass die Besitzerin jetzt ein paar Etagenbetten umgestellt habe. „Sie möchte in unseren zwei Zimmern wohl zwei Familien anstatt einer unterbringen", übersetzt seine Freundin. Sie erzählt mir, dass Ibrahims Familie heute erstmal aufgeteilt bei Verwandten untergekommen ist, da das LaGeSo auf die Schnelle keine neue Unterkunft bereitstellen konnte. Morgen wollen sie es nochmal versuchen.

„Ich möchte noch etwas sagen. Wir haben unser Bild von Deutschland nicht geändert, die Deutschen haben mit unserer Situation nichts zu tun. Wir sind froh, hier zu sein, und hoffen, bald alle unseren Weg hier zu finden", schreibt mir Ibrahim noch später am Abend auf Arabisch über WhatsApp.