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DIE MUSIKAUSGABE

Afrika Bambaataa hat angeblich jahrzehntelang junge Männer missbraucht

Nach Jahren des Schweigens brechen die angeblichen Opfer des HipHop-Pioniers ihr Schweigen. Das sind ihre Geschichten.

Ron Savage in Castle Hill, wo er aufwuchs. Fotos von Cole Wilson

Im März beschuldigte Ron Savage Afrika Bambaataa, einen der Begründer des HipHop, ihn als Teenager sexuell missbraucht zu haben. Seither haben sich weitere Männer gemeldet, die eine ähnliche Geschichte erzählen.

Savage im Alter von 16 Jahren.

Aus der Music Issue 2016.

Ron Savage wuchs in den 1970ern in Castle Hill auf. Das Viertel im New Yorker Bezirk Bronx war geprägt von Armut und Bandengewalt. Er lebte in Angst vor seinem Vater, einem Trinker, der ihn und seine Schwester terrorisierte und die Mutter missbrauchte.

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Im Center, einem Ge­meinde­zentrum in der Sozialbausiedlung Bronx River Houses, fand regelmäßig die HipHop-Party des Viertels statt. Sie war für Ron einer der wenigen Zufluchtsorte. DJs spielten Breakbeats aus Soul-, Funk-, Rock- und Latin-Platten und MCs reimten. Die Partys lockten Unmengen Feierlustige an, vor allem Teenager.

1979 lernte Savage bei einer dieser Partys Afrika Bambaataa kennen. Der mysteriöse und exzentrische Visionär gilt neben DJ Kool Herc und DJ Jazzy Jay als einer der Begründer des HipHop. Er lebte seit geraumer Zeit in den Bronx River Houses und war ein ehemaliger Warlord der Gang Black Spades. Er war dabei, als die vier Säulen des HipHop aufgerichtet wurden: Breakdance, Rappen, Auflegen und Graffiti.

Später fügte er noch eine Fünfte hinzu: Wissen. Wenige Jahre später sollte er "Planet Rock" herausbringen; der Song würde ihn und Universal Zulu Nation, seine Organisation für HipHop und afroamerikanische Kultur, international berühmt machen.

Die 1973 gegründete Zulu Nation zählt heute HipHop-Größen wie Nas, Lil Wayne und Big Boi sowie jüngere Rapper wie Joey Bada$$ und Freddie Gibbs zu ihren Mitgliedern. Die gefeierte Netflix-Serie The Get Down, zahllose Dokus und eine Präsentation 2012 an der Cornell University stellen Bambaataa als vereinende Kraft in einem gespaltenen Viertel dar. Er half, afroamerikanische Kunstformen ins Zentrum der globalen Popkultur zu rücken, und zeigte einen Ausweg aus dem Gang-Leben.

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"Ich fand ihn cool. Er war wie ein Gott", sagt mir Savage, heute 50. "Alle wussten damals, wer Afrika Bambaataa war." Savage fing an, Platten für Bambaataas Partner, DJ Jazzy Jay, zu tragen. Er liebte die besondere Aufmerksamkeit, die Bambaataa ihm und den anderen Jugendlichen aus dem Viertel schenkte, und die Burger, die der DJ ihnen ausgab, wenn er seine Gage bekommen hatte.

"Er war für mich eine Vaterfigur", erinnert sich Savage. "Ich sah zu ihm auf, weil ich ihn für jemanden hielt, der etwas Positives tat. Er war mein Vorbild, denn mein Vorbild zu Hause war Alkoholiker. Ich sah, wie mein Vater ständig mit meiner Mutter stritt, und bei Bam sah ich das nicht. Deswegen hing ich so an ihm."

Savage sagt, diese Bindung habe ihn Bambaataa nahegebracht—zu nah. Ende März machte Savage Schlagzeilen, als er als erster von mehreren Männern Bambaataa in den Medien des sexuellen Missbrauchs beschuldigte. Zuerst sprach er mit dem kontroversen Radiomoderator DJ Star auf dessen YouTube-Kanal The Star Chamber, dann mit der New York Daily News. Er beschrieb im Detail, wie Bambaataa ihn mutmaßlich sexuell missbrauchte, als Savage 15 war.

Seither haben mindestens drei weitere Männer Bambaataa beschuldigt, sie im Teenageralter sexuell missbraucht zu haben. Bambaataa ist auf freiem Fuß, sein Aufenthaltsort ist unbekannt.

Wie konnten die Mitglieder der Zulu Nation die ganze Zeit Bescheid wissen, ohne irgendetwas dagegen zu unternehmen?

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Für diese Story haben drei der Männer ausgiebig mit mir gesprochen. Alle mutmaßlichen Opfer behaupten, in der Bronx-River-Community und darüber hinaus sei der Missbrauch seit Anfang der 80er allgemein bekannt gewesen. Unter den Mitwissern sollen viele enge Freunde Bambaataas und Zulu-Fußsoldaten sein. Sie erzählen mir von jahrzehntelanger Vertuschungsarbeit seitens der Zulu Nation und von einem verborgenen Netzwerk an Opfern, die unter Morddrohungen, Selbstmorden, Drogenmissbrauch und Gewalt leiden.

Die Situation wirft Fragen auf: Wie konnten die Mitglieder der Zulu Nation die ganze Zeit Bescheid wissen, ohne irgendetwas dagegen zu unternehmen? Wie konnte Bambaataa, ein Mann, der jahrzehntelang als Musikpionier und Held gefeiert wurde, über Jahre allen prüfenden Blicken entgehen?

In Savages Jugend war die South Bronx der Inbegriff des urbanen Verfalls. In den 60ern und 70ern fielen die Grundstückspreise, rassistische Spannungen intensivierten sich und mehr als 20 Prozent der Einwohner—hauptsächlich Weiße aus der Mittelschicht—flohen in die Vororte. Die Mordrate verdreifachte sich und Brandstiftung erschütterte ganze Blocks. Präsident Carter beschrieb einen Besuch des Viertels 1977 als "ernüchternd", und Präsident Reagan verglich es mit London nach den Luftangriffen der Nazis im Zweiten Weltkrieg.

Afrika Bambaataa 1990 in einem offiziellen Publicity-Foto von Universal Zulu Nation. Bekannte Persönlichkeiten in dem Bild sind das verstorbene Mitglied Lucky Strike (ganz links), Crazy Legs von der Rock Steady Crew (ganz rechts) und das Zulu-Mitglied King Righteous, rechts in der Hocke. Die Identitäten der restlichen Personen sind unbekannt. Archivmaterial mit freundlicher Genehmigung von rushtown298

Inmitten der Armut und des Chaos bildeten sich Straßenbanden mit Namen wie Black Spades, Savage Nomads, Seven Immortals und Savage Skulls. Die Gangs boten den Bewohnern Schutz und ziellosen jungen Männern Zugehörigkeit. Gleichzeitig machten sie mit Drogen- und Prostitutionsgeschäften, Diebstahl sowie schockierenden gewalttätigen Bandenkämpfen von sich reden.

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Bambaataa, ein Mitglied der Black Spades, beschloss 1973 eine Alternative zu den Banden zu gründen, die das Viertel zerstörten. Er nannte sie Universal Zulu Nation; der Name war inspiriert von dem Kriegsfilm Zulu (1964) und den afrozentrischen und Black-Power-Ideologien, die Ende der 60er wichtig wurden.

Die Zulu-Mitglieder mussten einen strengen Moralkodex befolgen, bei dem es um die persönliche Weiterentwicklung, Nähe zu Gott, Dienst an der Gemeinde und universelle Gleichheit ging. Bambaataa nannte die Erfolgreichen unter ihnen "King" und "Queen", um ihr Selbstwertgefühl zu stärken.

Die Organisation weitete im Laufe der nächsten Jahrzehnte ihre Aktivitäten aus. Heute pflanzt sie Gemeinschaftsgärten, organisiert Nachbarschaftswachen, außerschulische Programme und Stadtteilentwicklung. Selbst kostenlosen Rechtsbeistand bietet sie ihren Mitgliedern.

Zulus schmissen damals auch die HipHop-Straßenfeste und organisierten Konzerte für die frühen Künstler des Genres, vor allem Bambaataa und Soulsonic Force. Heute hat die Zulu Nation Dutzende aktive Ortsverbände in den USA sowie unter anderem in Deutschland, Belgien, Großbritannien, Skandinavien, Frankreich, Honduras, Neuseeland und Australien.

1982 landete Bambaataa einen Megahit: "Planet Rock", ein futuristischer Electro-Rap-Track mit Beats aus der Drummachine TR-808 und spacigen Synthesizern. Zuerst eroberte der Song örtliche Clubs, dann wurde er zur Weltsensation, die Rappern und Produzenten elektronischer Musik den Weg ebnete.

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"Crate Boys sind im HipHop ziemlich verbreitet—das sind DJ-Lehrlinge, die das Handwerk lernen und eine Musikkarriere starten wollen"

Der Erfolg von "Planet Rock" machte Zulu Nation zu einer lukrativen Entertainment-Firma. Ein eigener Sicherheitsdienst namens Zulu Warriors brachte Mitgliedern zusätzliche Jobs. Die Zulu Warriors boten Konzert- und VIP-Security und haben im Laufe der Jahre Dutzende Künstler geschützt, darunter Jay Z, Nas, Busta Rhymes, A$AP Ferg und Lauryn Hill.

Savage trat den Baby Zulus bei, einer Ausbildungsgruppe für zukünftige Zulus. Er bekam den Spitznamen "Bee-Stinger", den er bis heute trägt, und wurde "Crate Boy"—ein unbezahlter Job als Platten- und Equipment-Träger für DJs. Viele mittellose Jugendliche aus dem Viertel strebten diese Position an.

"Crate Boys sind im HipHop ziemlich verbreitet—das sind DJ-Lehrlinge, die das Handwerk lernen und eine Musikkarriere starten wollen", schreibt mir Steven Hager, HipHop-Historiker und ehemals Autor für die New York Daily News und Village Voice, per E-Mail. "Aber niemand rekrutierte oder kultivierte sie wie Bam."

Savage liebte es, zu den Zulus zu gehören, auf den Partys im Center abzuhängen und die Geburtsstunde des HipHop aus der ersten Reihe zu erleben. Doch 1980, zwei Jahre vor Bambaataas Durchbruch mit "Planet Rock", änderte sich alles.

Savage war 15. Eines Tages schickte Bambaataa ein Taxi an die Adlai E. Stevenson High School, um ihn abzuholen. Der Neuntklässler schwänzte den Unterricht, stieg ein und wurde in Bambaataas Haus im Bronx-Viertel Baychester gefahren. Dort fand Savage Bambaataa mit einem Mann vor, dessen Identität er nicht preisgeben will.

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"Da war ein Typ, und Bam sagte, ich könne im anderen Zimmer fernsehen. Als ich ins Zimmer ging, lag da ein Fotobuch auf dem Bett", erinnert sich Savage. "Darin waren Fotos von den Penissen anderer Männer."

Er sagt, Bambaataa sei ins Zimmer gekommen, habe gesehen, dass er das Buch ansah, und ihn gefragt, ob er wisse, wie man "sich einen runterholt". Laut Savage forderte Bambaataa den Jungen auf, seinen Penis herauszuholen, und stimulierte diesen dann mit der Hand. Bambaataa habe seinen Penis ebenfalls herausgeholt und ihm befohlen, dasselbe bei ihm zu tun, so Savage.

Party-Flyer für die James Monroe High School (oben) und den Club T-Connection (unten) in der Bronx, beide 1981.

Hinterher kam der zweite Mann mit entblößtem Penis ins Schlafzimmer. Savage sagt, er habe sich gefürchtet und sei weinend aus dem Haus gerannt. Als er schluchzend durch die Straßen der Bronx rannte, bemerkte eine Frau sein Leid und nahm ihn mit.

"Sie sagte, ich solle ins Auto steigen, und brachte mich zurück in die Schule", erinnert er sich. Savage erzählte damals niemandem von dem Missbrauch. Nur ein, zwei Tage später besuchte Bambaataa Savage zu Hause in Castle Hill und missbrauchte ihn mutmaßlich erneut. Er sagt, Bambaataa habe ihn zuerst in seinem Auto und dann im Haus zu Oralsex bewegt. Noch mindestens vier weitere Male verging er sich laut Savage an dem Teenager.

Der Missbrauch hörte auf, als er anfing, so zu tun, als sei er nicht zu Hause, wenn Bambaataa bei den Savages vorbeischaute. In den darauffolgenden Jahren zog Savage sich vor Freunden und Familie zurück, brach den Kontakt zu Bambaataa ab und verfiel in tiefe Depressionen, die sich zusehends verschlimmerten. Er schnitt sich mit Scheren und unternahm mehrere Selbstmordversuche.

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"Ich war wütend auf mich selbst", sagt er. "Ich starrte immer aus dem Fenster und gab mir selbst die Schuld an allem." In seinen 20ern arbeitete Savage für Strong City Records und Dick Scott Entertainment. Er wurde Manager und Promoter für die deutsche Dance-Combo Snap!, die örtliche Rap-Gruppe Showbiz and A.G. sowie den Beatbox-Pionier Doug E. Fresh. Später fand er Arbeit als Security und wurde politischer Aktivist mit Schwerpunkt auf Bildungsfragen.

2006 wählte man ihn zum Mitglied des New York State Democratic Committee. Savage sagt, er sei zwar Mitglied von Zulu Nation geblieben, habe aber nach dem letzten Missbrauch nie wieder mit Bambaataa gesprochen. Der Missbrauch habe seine Beziehungen mit Frauen stark negativ beeinflusst und stecke hinter den Intimitätsproblemen, die ihn bis heute verfolgen.

"Er kümmerte sich um mich", sagt Campbell. "Er passte auf, dass ich alles hatte, was ich brauchte. Und für meine Mutter tat er dasselbe."

"Es hat mich richtig fertig gemacht", sagt Savage. "Die Frage, die mich immer verfolgt hat, war: Warum ich? Das wollte ich [Bambaataa] immer fragen." Wie auch Savage wuchs Hassan "Poppy" Campbell, 39, in gestörten Familienverhältnissen auf, umgeben von Armut und Sucht. Das Leben in den Bronx River Houses beschreibt er so: "An einem Tag gehst du auf eine Party, am nächsten Tag wirst du angeschossen oder brauchst Sozialhilfe."

Campbell, der ein Jahrzehnt jünger ist als Savage, sah in Bambaataa ebenfalls eine anziehende Figur. Ende der 80er, als er 12 oder 13 war, fing Campbell an, mit den Zulus abzuhängen. Wie Savage stieg er in die aufkeimende B-Boy-Kultur ein.

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Campbell teilte sich die Wohnung in den Bronx River Houses mit seiner Mutter und fünf Geschwistern. Seine Mutter habe ihn misshandelt und sei psychisch krank gewesen, sagt er. Auch er fand in den Partys im Center eine wohltuende Ablenkung vom Chaos zu Hause. Oft stritt er mit seiner Mutter und riss aus; wenn er keine andere Zuflucht fand, übernachtete er manchmal bei Bambaataa. Wie schon Savage bezeichnet er Bambaataa als "Vaterfigur".

"Er kümmerte sich um mich", sagt Campbell. "Er passte auf, dass ich alles hatte, was ich brauchte. Und für meine Mutter tat er dasselbe." "Bam war wie der Pate", fügt er hinzu. "Viele Eltern in unserer Gemeinde waren drogenabhängig, und das hat Bam ausgenutzt." Als er 13 war, schlug diese Fürsorge laut Campbell in Gewalt um. Er sagt, ein anderer Mann habe ihn zuvor sexuell missbraucht, was "es Bam leichter machte, mich zu missbrauchen".

Seine Geschichte ähnelt stark der von Savage: Bambaataa habe ihm zuerst ein Buch gezeigt, in dem Männer bei sexuellen Handlungen zu sehen waren. Er habe von Pornografie zu Berührungen und später Oralsex eskaliert. Der mutmaßliche Missbrauch sei "konstant" gewesen und habe Jahre angedauert.

"Bam war wie der reiche Onkel, der einem das Studium zahlt, aber einen gleichzeitig missbraucht."

"Das war keine einmalige Sache", sagt er. "Es lief mehrere Jahre so." Campbell verheimlichte den mutmaßlichen Missbrauch. Er sagt, es habe schließlich aufgehört, als er sich in den späten Teenagerjahren von Bambaataa "losriss" und seine Wut gegen die Straßen der Bronx richtete.

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"Ich fing an, mich wie ein wildes Tier aufzuführen", sagt er. Seine Wut hatte verheerende Auswirkungen auf sein Leben. Campbell erzählt mir, er sei als Teenager kriminell geworden und habe angefangen, Waffen zu tragen. 1993 warf man ihm die Tötung eines Mannes in der Bronx vor und klagte ihn für Mord zweiten Grades an, was etwa Totschlag entspricht. Er floh und wurde 1994 in Connecticut gefasst. Der zweite Angeklagte wurde freigesprochen, und Campbell bekannte sich im Austausch für eine mildere Strafe der Körperverletzung schuldig.

Seine Haftstrafe betrug drei Jahre, und laut Campbell "kümmerte sich" Bambaataa während dieser Zeit und nach seiner Entlassung um ihn. "Als ich aus dem Gefängnis kam, ging Bam mit mir Einkaufen und so", erinnert er sich. "Bam war wie der reiche Onkel, der einem das Studium zahlt, aber einen gleichzeitig missbraucht."

Campbell sagt, er sei für Verstöße gegen seine Bewäh­rungsauflagen und versuchten Mord ein weiteres Mal inhaftiert worden. 2000 legte man ihm zur Last, auf drei Menschen geschossen zu haben, doch die Anzeige sei fallengelassen worden. 2004 sei er noch mal eines Mordes in den Bronx River Houses angeklagt worden, doch nach einem Monat in Untersuchungshaft sei auch dieser Fall fallengelassen worden.

Ein weiteres mutmaßliches Opfer, das sich nach Savage meldete, ist ein 51-jähriger ehemaliger Bewohner der Bronx, der hier nur mit seinem Vornamen, Troy, genannt werden möchte. Troy, der ebenfalls im April mit der New York Daily News sprach, erzählt eine Geschichte, die stark an die Aussagen von Savage und Campbell erinnert.

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"Ich weiß noch, dass er mir ein Buch mit Penissen zeigte"

Er wurde jung zum Scheidungskind und wuchs bei seiner Mutter und Verwandten in den Bronx River Houses auf. Ende der 70er trat er den Zulus bei, weil er Anschluss und Schutz suchte. Bei den Straßenfesten im Viertel lernte er Bambaataa kennen. Troy sah zu ihm auf und vertraute ihm—so sehr, dass er sich mit 13 an ihn wendete, als er Dating-Rat brauchte. 1978 war Troy unterwegs, um seine neue Freundin zu besuchen. Er beschloss, bei Bambaataa haltzumachen, um ihn zu fragen, was er tun solle, wenn er mit ihr alleine war.

"Ich dachte, ich gehe zu Bam, weil er wie ein großer Bruder für mich war", sagt mir Troy. "Er sagte: 'Du weißt Bescheid über Blasen und all das?' Ich war 13, da denkt man nicht an so was. Zumindest habe ich das nicht." Die HipHop-Ikone habe ihm daraufhin ein Buch mit Bildern von nackten Jungs gezeigt und Oralsex bei ihm durchgeführt, so Troy.

"Ich weiß noch, dass er mir ein Buch mit Penissen zeigte", sagt Troy. „Er sagte: 'Du musst nicht schwul sein, wenn das jemand bei dir macht.' Er tat es und letztendlich sagte ich ihm, er solle aufhören. Ich erzählte niemandem davon, bis ich 30 war."

Heute ist Troy verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Kurz nach dem mutmaßlichen Verbrechen verließ er das Viertel, um bei seinem Vater zu wohnen. Er vertiefte sich in Kampfsport. 1989 verließ er New York ganz und verpflichtete sich bei der US Army.

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"Viele Jungs hat es auf einen negativen Weg geschickt", sagt er. "Mich nicht. Ich war wirklich wütend, aber ich fing mit Kampfsport an. So bin ich damit fertig geworden." "Er ist ein Pädophiler", sagte Ali Bey gegenüber DJ Star. "Ich habe oft Jungen in sein Zimmer gehen und wieder herauskommen gesehen."

Ronald „Bee-Stinger" Savage in der Nähe der Castle Hill Houses.

Laut den mutmaßlichen Opfern und mehreren anderen Personen, die ich für diese Story interviewt habe, gibt es seit Jahren Gerüchte in schwarzen New Yorker Gemeinden und der HipHop-Community im Allgemeinen, Bambaataa habe sexuelle Verhältnisse zu Teenager-Jungs. Doch selbst nachdem die ersten Vorwürfe laut wurden, entging er der allgemeinen Kritik.

Der Autor und Blogger Khalil Amani, der im US-Staat Colorado lebt und für DJ Kay Slays Straight Stuntin Magazine schreibt, war der Erste, der Bambaataa öffentlich sexueller Übergriffe bezichtigte. Amani, der ein Buch über Homophobie und Homosexualität im Rap-Geschäft verfasst hat, schrieb im April 2013 einen Artikel, in dem er behauptete, ein Mann habe auf Bambaataa eingestochen, nachdem dieser sich an ihm vergangen habe.

Amani schrieb, Bambaataa habe dem Mann Drogen verabreicht und gegen dessen Willen Oralsex bei ihm durchgeführt. Laut Amani soll der Mann aufgewacht sein und auf Bambaataa eingestochen haben, als er realisierte, was vor sich ging. Die Story wurde von diversen HipHop-Seiten aufgegriffen. Ein hochrangiges Zulu-Mitglied soll Berichten zufolge bei dem Vorfall anwesend gewesen sein und ebenfalls eine Schnittverletzung davongetragen haben.

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Der Artikel verärgerte Mitglieder von Zulu Nation, die laut Amani Kay Slay baten, ihn offline zu nehmen. Ein oder zwei Tage nach der Veröffentlichung nahm Amani ihn selbst aus dem Netz, doch eine Woche später überlegte er es sich anders. Er erhielt Drohungen, doch der Artikel ist bis heute auf Amanis Website.

"Er behauptete in der Öffentlichkeit, nie einen Messerstich abgekriegt zu haben, und gleichzeitig sind 100 Leute seinetwegen ins Krankenhaus gefahren."

"Eine Drohung kam von einem Zulu-Typen direkt hier aus Colorado. Er sagte: 'Du weißt schon, dass man an dich rankommt, oder? Du bist gleich hier um die Ecke. Man kommt an dich ran.' Die Zulu Nation ist sehr furchteinflößend."

Campbells und Savages Berichte über die Messerstecherei decken sich mit Amanis Aussagen. Campbell erzählt, er habe Bambaataa im Jacobi Medical Center in der Bronx besucht. Dort habe Bambaataa, der sich von einer Stichwunde im Bauch erholte, Campbell von dem Vorfall erzählt. Dann gab er Campbell ein Foto von dem mutmaßlichen Angreifer und bat ihn, Rache zu üben, so Campbell.

"Ich war einer der ersten Soldaten, die er auf den Plan rief, um sich um die Situation zu kümmern. Er behauptete in der Öffentlichkeit, nie einen Messerstich abgekriegt zu haben, und gleichzeitig sind 100 Leute seinetwegen ins Krankenhaus gefahren." In Interviews mit Allhiphop.com dementierten Zulu-Sprecher den Vorfall; Bambaataa sei wegen Brustschmerzen in Behandlung.

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Campbell sagt, Bambaataa habe ihm folgende Version der Geschichte erzählt: Der mutmaßliche Messerstecher nahm am Tag des Vorfalls ein Taxi zu Bambaataas Haus in New Rochelle. Der Mann verhielt sich seltsam und lief durchs Haus. Der Zulu-Anführer, der Bambaataa gerade besuchte, aß ein Sandwich, als er Bambaataa im Nebenzimmer schreien hörte. Er rannte hin und sah den Mann mit dem Messer und Bambaataa, der aus einer Bauchwunde blutete. Der Messerstecher habe dann laut Bambaataa den Zulu-Anführer am Bauch geschnitten und sei aus dem Haus gerannt.

Campbell fügt hinzu, er habe den Verband an Bambaataas Bauch gesehen und mit dem Zulu-Zeugen über den Vorfall gesprochen. Auch habe der mutmaßliche Messerstecher seinem Bruder erzählt, er habe auf Bambaataa eingestochen, weil er "date raped" worden sei.

Die Gerüchte über Bambaataas sexuellen Missbrauch kochten 2014 erneut hoch, als Savage sein Buch Impulse, Urges and Fantasies veröffentlichte.

Auch Savage sagt, er habe am Tag der Messerstecherei davon erfahren. Der Zulu-Anführer, der dabei war, habe angerufen. "Er sagte einfach: 'Jemand hat auf Bam eingestochen'", erzählt Savage. "Und er habe auch einen Schnitt abbekommen."

Der Vorfall leistete zwar in der Bronx und der HipHop-Community den Gerüchten über Bambaataas Verhalten Vorschub, doch die Mainstream-Medien berichteten nie da­rüber. Es kam nie zu einer Anzeige und die Story verschwand in der Versenkung.

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Doch die Gerüchte über Bambaataas sexuellen Missbrauch kochten 2014 erneut hoch, als Savage sein Buch Impulse, Urges and Fantasies veröffentlichte. In dieser Autobiografie schreibt er über seine Arbeit im Musikgeschäft und als Aktivist und erzählt, er sei von einem "HipHop-DJ, zu dem ich und alle anderen aufsahen", missbraucht worden. Allerdings nennt er Bambaataa nicht namentlich.

Etwa ein Jahr später postete Campbell ein Video auf seiner privaten Facebook-Seite, in dem er Bambaataa den Missbrauch vorwarf. Campbell sagt, es habe in der Community "einen Shitstorm ausgelöst". Nach einem aufgebrachten Anruf von einem leitenden Security der Zulu Nation habe er es schnell entfernt.

Ein paar Tage später kam es zu einem Treffen mit Bambaataa und mehreren Spitzenmitgliedern des Zulu-Rats. Laut Campbell "entschuldigte" sich Bambaataa bei ihm und versprach, es wiedergutzumachen, die Zulu Nation zu verlassen und einen Grabstein für ein verstorbenes Mitglied zu kaufen, das mit Campbell befreundet gewesen war. Bambaataa hielt keines der beiden Versprechen.

Bambaataa und der DJ Grand Wizzard Theodore (von Grandwizard Theodore & the Fantastic Five) bei einer Zulu-Veranstaltung 1994 in New York City.

"Er weinte", erinnert sich Campbell. "Er entschuldigte sich. Er versuchte zu sagen, dass er das Kindern nicht mehr antut. Aber ich weiß, dass er gelogen hat."

Nach dem Treffen willigte Campbell ein, das Video nicht wieder auf Facebook zu stellen und über die Missbrauchsvorwürfe zu schweigen. Er sagt, er habe sich geschämt und sich "einfach gewünscht, dass die Situation ein Ende hat". Auch habe er die Zulu Nation und seinen eigenen Security-Job bei den Zulu Warriors schützen wollen.

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"Ich habe viele Leute damit ernährt", sagt Campbell von den Entertainment-Geschäften der Zulu Nation. "Alle reiten auf Bams Erfolgswelle mit. Sie leben von ihm. Natürlich sägen sie nicht den Ast ab, auf dem sie sitzen." Campbell hatte zwar kurz für Aufruhr gesorgt, doch Bambaataa kam erneut ungeschoren davon. Als Savage jedoch am 29. März 2016 auf DJ Stars YouTube-Kanal The Star Chamber auftrat, erreichte er endlich ein großes Publikum.

Am nächsten Tag setzten zwei Zulu-Anführer Savage unter Druck, seine Aussagen zurückzunehmen. Savage zeichnete die Unterhaltungen auf, in denen die Zulu-Mitglieder ihm verhüllt drohten. Ich selbst habe Kopien der Aufnahmen erhalten. Als ich ihn im Juli anrief, gab einer der Zulu-Anführer, ein Kollege von Ice-T namens Mickey Bentson, zu, Savage unter Druck gesetzt zu haben, weil er die "Marke" Zulu Nation schützen wollte.

Bentson sagte außerdem noch Sachen wie: "Lutsch meinen Schwanz, du Schwuchtel." Ein Publizist für Ice-T beschrieb Bentson lediglich als einen "Freund" von ihm und sagte: "Ice wird sich zu dem Thema nicht äußern." Savage sagt, innerhalb eines Tages nach der Veröffentlichung habe ihn ein dritter Zulu-Vertreter angerufen und ihm 50.000 Dollar geboten, wenn er seine Aussagen zurückzunehme.

Nachdem Savages Geschichte publik wurde, geschah noch etwas: Campbells Facebook-Video von 2015 tauchte auf mysteriöse Weise wieder online auf, sagt er. Es folgten Morddrohungen durch Zulus.

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"Ich habe oft Jungen in sein Zimmer gehen und wieder he­rauskommen gesehen."

"Jemand rief an und sagte: 'Sei vorsichtig—Brüder sprechen schon davon, sich um dich zu kümmern, wegen der Sache mit Ron Savage und diesem Video'", erzählt mir Campbell. "Sie wollten mich also umbringen oder was auch immer."

Daraufhin habe er Bambaataa angerufen und ihn um Personenschutz gebeten. Doch Bambaataa, der die Zulu Nation zu diesem Zeitpunkt noch leitete, wischte die Drohungen beiseite. Also ging Campbell den letzten Schritt an die Öffentlichkeit.

"Ich hatte keine Wahl", sagt er. "Ich weiß nicht, warum mein Video wieder auftauchte, aber dann gab es all die Drohungen. Jemand sagte mir, dass mich gewisse Leute umbringen wollten, weil sie meinten, ich sei dafür verantwortlich, dass Ron Savage redete."

Campbell sagt, er habe seit der Veröffentlichung seiner Vorwürfe Angst um sein Leben und stehe seither in Kontakt mit anderen Opfern, die "Todesangst haben zu reden". Unter seinen Kontakten soll auch die Familie eines britischen Mannes sein, der behauptete, Bambaataa habe ihn in Großbritannien missbraucht, doch der Mann habe Selbstmord begangen.

Ich hatte keinen Erfolg bei der Suche nach der Familie dieses Opfers. Im Zulu-Umfeld gibt es Geschichten über andere mutmaßliche Opfer in den USA und Großbritannien, die Selbstmord begangen haben oder an einer Überdosis gestorben sind. Campbell ist der Meinung, es gebe Dutzende Opfer. Er hat auch Kontakt mit einem mutmaßlichen Opfer in Brasilien.

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Shamsideen Shariyf Ali Bey, der behauptet, Bambaataas Leibwächter zu sein, meldete sich ebenfalls zu Wort und sagte DJ Star im Mai, Bambaataa habe im Laufe der Jahre auf seinen Reisen "Hunderte" Teenager-Jungen dabeigehabt. Ali Bey, ein früheres Mitglied der Black Spades und aktiver Zulu mit dem Pseudonym Lord Shariyf, behauptet, er habe 2007 Mitgliedern des Zulu-Rats von Bambaataas mutmaßlichem sexuellen Kindesmissbrauch erzählt, doch man habe nichts unternommen.

"Er ist ein Pädophiler", sagte Ali Bey gegenüber DJ Star. "Ich habe oft Jungen in sein Zimmer gehen und wieder he­rauskommen gesehen …Ich habe schon Räume betreten und mir gedacht: 'Was zur Hölle geht hier vor sich?'"

Nachdem sie ihr Schweigen gebrochen hatten, griff Zulu Nation Campbell und Savage an. Erst veröffentlichte die Organisation im April eine Mitteilung, laut der Savage "geistig behindert" sei und Campbell ein "Lügner" und gleichzeitig "bezahlter Polizeiinformant". Die Mitteilung bezeichnete die Vorwürfe außerdem als "von der Regierung finanzierten Medien-Angriff" und Teil einer "rassistischen" Kampagne gegen HipHop seitens der New Yorker Behörden.

Bambaataa, der anfangs im XXL Magazine behauptete, die mutmaßlichen Opfer gar nicht zu kennen, veröffentlichte im April eine eigene Mitteilung, in der er die Vorwürfe abstritt und "feige" und "unbegründet" nannte. Seit diesem Text und einigen wenigen darauffolgenden Interviews hat die Öffentlichkeit nichts von Bambaataa gehört.

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Die Frage, die am häufigsten gestellt wird, wenn in Fällen wie diesem Vorwürfe endlich ans Licht kommen, lautet: Warum haben die Opfer sich nicht früher zu Wort gemeldet?

Wendy Murphy ist eine erfahrene Staatsanwältin im Bereich sexueller Gewaltverbrechen, Aktivistin für Opferrechte in den USA sowie Professorin an der New England School of Law in Boston. Sie sagt, der Grund sei Angst. Opfer sexuellen Missbrauchs befürchten unter anderem, aus gewissen Gruppen ausgeschlossen zu werden oder durch das Justizsystem erneut zu Opfern zu werden.

"Opfer haben oft Angst, der Täter könnte sich rächen, und erwarten nicht, von der Justiz fair behandelt zu werden", sagt Murphy. "Oft brauchen Opfer Zeit, bis sie sich in der Lage fühlen, über das Vergehen zu sprechen, vor allem, wenn sie zu dem Zeitpunkt Kinder waren. Kinder kann man leicht zum Schweigen bringen—besonders wenn der Täter eine erwachsene Vertrauensperson ist."

Für die Menschen aus Bambaataas Umfeld wurde die Situation noch durch Armut und Angst vor Gewalt verschärft.

"Das sind Leute aus einkommensschwachen Gegenden, die einen Scheiß hatten. Und plötzlich gab es da diese neue Sache namens HipHop, ein Ausweg aus dem Hexenkessel", sagt mir DJ Star, der seit Jahrzehnten über HipHop berichtet und die Bambaataa-Story an die breite Öffentlichkeit brachte.

"In Wahrheit entwickelte sich die Zulu Nation aus einer Gang … Es gibt diese Haltung, niemanden zu verpfeifen und nie mit der Polizei zu reden. Das macht eine Bande, die ohnehin schon den gesamten Staat New York terrorisieren kann, zu einer sehr mächtigen Organisation. Sie können einem das Leben zur Hölle machen."

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Die Kombination aus sozial schwachen und gefährdeten mutmaßlichen Opfern und einer mächtigen Obrigkeit verleiht dem Fall Bambaataa einige Parallelen zum Missbrauchsskandal der katholischen Kirche. Priester missbrauchten vor allem Kinder aus armen, zerrütteten Familien. Die Kirche ignorierte die Epidemie jahrzehntelang, wenn nicht sogar jahrhundertelang.

Sie schickte beschuldigte Priester in andere Gemeinden und zahlte Opfern Schweigegeld. Anfang der 2000er kam der Skandal an die Öffentlichkeit, angestoßen durch die hartnäckige Berichterstattung des Boston Globe, welche in dem oscargekrönten Film Spotlight dramatisiert wurde. Der Skandal zeigt, welch eine große Rolle systemische Korruption in der Ermöglichung pädophiler Gewalt spielt.

"Bam nahm Kinder mit Problemen—Kinder ohne gute Eltern, die nichts hatten", sagt ein langjähriger DJ-Kollege von Bambaataa, der anonym bleiben möchte. "Alles dreht sich ums Geld. Diese Typen [von Zulu Nation] verdienen dort ihr Geld als Securitys, als Roadies. Viele von ihnen haben schwere Vorstrafen. Andere Jobs finden die nicht. Sie brauchen den Gehaltsscheck. Also schweigen sie."

Genau wie die Kirche pädophile Priester schützte, schützten laut involvierten Personen auch Zulu-Nation-Anführer Bambaataa und seine Organisation um jeden Preis.

"In der afroamerikanischen Gemeinde und eigentlich überall ist sexueller Kindesmissbrauch ein Geheimnis. Niemand will sich damit befassen", sagt Campbell. "Man bringt uns bei, darüber zu schweigen."

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"Es ist wichtig, alle Karten auf den Tisch zu legen. Es ist bisher eine emotionale Achterbahn, immerhin geht es um den Gründer unserer Organisation, zu dem wir jahrelang aufgesehen haben."

Er fügt hinzu: "Viele Leute aus unserer Community sprechen nicht öffentlich über Bam, weil sie Angst haben. Bam war schon immer stark. Er hat eine Armee hinter sich. Er war umgeben von den stärksten Soldaten."

Die Behörden haben sich zu dem Bambaataa-Skandal ebenfalls nicht geäußert. Eine Quelle aus dem New York Police Department sagt mir, es gebe keine laufenden Ermittlungen, da alle Anschuldigungen verjährt seien. In New York verjährt sexueller Kindesmissbrauch, wenn das Opfer das 23. Lebensjahr vollendet. Wie viele andere kämpft Savage darum, dieses Gesetz zu ändern.

Im Juni marschierten er und andere Missbrauchsüberlebende über die Brooklyn Bridge, um das New Yorker Unterhaus zu einer Gesetzesänderung zu bewegen. Der Gesetzgeber stellte den Antrag zurück, doch Savage ist entschlossen, nicht aufzugeben.

Inzwischen hat der Skandal den HipHop-Underground gespalten. Rap-Pionier KRS-One, ein alter Freund und Verbündeter Bambaataas, hat scharfe Kritik geerntet, weil er in Social Media und HipHop-Foren Bambaataa unterstützt. Savage nannte den ikonischen MC in einem Interview mit Allhiphop.com "schlimmer als einen katholischen Priester" und regte zum Boykott seiner Musik an.

Wie Zulu Nation behauptet KRS-One, die mutmaßlichen Opfer wollten Bambaataa schaden und sein Erbe zerstören. Er ging sogar so weit, bei einem Auftritt im englischen Birmingham zu sagen: "Jeder, der ein Problem mit Afrika Bambaataa hat, sollte mit HipHop aufhören." DJ Kool Herc, ein weiterer lebenslanger Freund Bambaataas, wollte ihn auch nicht kritisieren: "Ich weiß definitiv von dieser Sache. Aber ich bin kein Schönwetterfreund. Er ist ein Freund von mir. Seine Organisation hat einen internen Konflikt, das ist alles."

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Andere Rapper dagegen haben sich gegen Bambaataa ausgesprochen. Der Aktivist, Schauspieler und Rapper Lord Jamar von der politisch-sozialkritischen HipHop-Gruppe Brand Nubian kritisierte Bambaataa in einem Interview mit Vlad TV; er habe bezüglich Savage gelogen und es gebe bereits seit 20 Jahren Gerüchte, Bambaataa sei schwul. Der Rapper und Aktivist Talib Kweli vom HipHop-Duo Black Star tweetete, er sei „enttäuscht" darüber, wie die Zulu Nation mit dem Skandal umgehe. Arthur Baker, ein Electro- und HipHop-Pionier, der "Planet Rock" mitproduzierte, wusste wenig von dem Skandal, aber sagt: "Das schadet natürlich [Bambaataas] Erbe."

Zwar griff Zulu Nation die mutmaßlichen Opfer zuerst an, doch die Organisation hat ihr Vorgehen geändert. Im Mai, mehr als einen Monat, nachdem Savage an die Presse ging, exkommunizierte sie Bambaataa und mehrere Zulu-Anführer. Wenige Wochen später veröffentlichte Zulu Nation eine lange Mitteilung, in der sich die Gruppe bei Savage und Campbell für "ungerechte und unverzeihliche Angriffe auf ihren Ruf" entschuldigte.

"Wir möchten uns zutiefst aufrichtig bei den vielen Menschen entschuldigen, die durch Afrika Bambaataas Taten verletzt worden sind, und für die unangemessene Reaktion unserer Organisation auf die Vorwürfe gegen ihn", hieß es in der Mitteilung.

"An die Überlebenden anscheinenden sexuellen Missbrauchs durch Bambaataa, an alle, die sich zu Wort gemeldet haben und alle, die noch schweigen: Es tut uns leid, was ihr durchmachen musstet. Wir danken jenen, die es öffentlich gemacht haben, für ihren Mut bei der Aufdeckung dieser Sache, von der die meisten von uns leider nicht wussten und die andere beschlossen hatten, nicht zu melden."

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Zulu King EL One, der aktuelle Sprecher des Zulu-Nation-Ortsverbands in New York, New Jersey und Connecticut, kritisiert die Ex-Mitglieder, die mutmaßliche Opfer angegriffen und eingeschüchtert haben.

"Man kann nicht einfach Leuten drohen. Das sind Mitglieder unserer Organisation", sagt Zulu King EL One mir am Telefon. "Wir wollen nichts mit Personen zu tun haben, die der Organisation geschadet oder etwas gegen die Opfer gesagt haben. Man muss die Opfer zu 100 Prozent respektieren."

Er fügt hinzu, die strauchelnde Organisation plane für September ein großes Gipfeltreffen, um die weitere Vor­gehensweise zu besprechen. "Es ist wichtig, alle Karten auf den Tisch zu legen", erklärt er. "Es ist bisher eine emotionale Achterbahn, immerhin geht es um den Gründer unserer Organisation, zu dem wir jahrelang aufgesehen haben. Es ist enttäuschend, wenn jemand, den man bewundert… nicht der Mann sein kann, für den man ihn gehalten hat."

"Ich bin froh, dass ich geredet habe", sagt Savage. "Aber ich wünschte, ich hätte schon früher den Mut dazu gehabt und damit vielleicht andere Kinder gerettet." Doch es scheint, als sei Bambaataa noch nicht ganz vom Zulu-Thron geklettert. Campbell hat mir einen Mitschnitt einer zweistündigen Telefonkonferenz geschickt, den Zulu King EL One als authentisch bestätigt.

Darin ist Bambaataa zu hören, den Campbell und Zulu King EL One an seiner Stimme erkennen, wie er mit einigen langjährigen Zulu-Anführern spricht. Zwar ist er nicht länger Oberhaupt der Gruppe oder überhaupt offizielles Mitglied, doch in der Konferenz teilt er mit, wie die Zulu Nation seiner Meinung nach mit dem Skandal umgehen soll.

"Ich suche nicht nach Leuten, die einfach nur HipHop machen wollen", sagt Bambaataa, der sich in dem Telefonat als „der afrikanische Mann" bezeichnet. "Davon habe ich die Nase voll. Wir brauchen Leute mit Geschäftssinn, die wissen, wie man andere führt."

Bambaataas riesige Sammlung von Memorabilien und Platten steht weiterhin in der Cornell University, wo er noch immer Gastdozent ist.

Ein Zulu-Mitglied namens Cashus D aus einer anderen Region unterbricht ihn wütend. "Ich meine das völlig ernst", sagt Cashus. "Bam, wenn du willst, dass es den Zulus gut geht, musst du den Weg räumen."

Nach Cashus' Rüge schweigt Bambaataa für den Rest des Telefonats. Zulu King EL One schreibt mir per E-Mail, die meisten neuen Leiter der Organisation seien nicht Teil der Konferenz gewesen; die meisten Anführer "weigern sich, etwas zu machen, an dem Afrika Bambaataa beteiligt ist".

"Manche Leiter haben vielleicht enge Beziehungen zu Bam und wollen ihn weiter involvieren", sagt Zulu King EL One. "Doch allgemein wollen die Leiter keinen Kontakt mehr mit ihm, es sei denn, er sagt endlich die Wahrheit und sucht sich Hilfe. Er kann die Universal Zulu Nation nicht heilen, denn er hat ihren Schmerz selbst verursacht."

Die Gemeinde in den Bronx River Houses, wo Savage, Campbell und Troy aufgewachsen sind, scheint sich langsam der Wunden anzunehmen, die der Skandal ins Bewusstsein gebracht hat. Im August fand in der Sozialbausiedlung ein Treffen zur Aufklärung über sexuellen Missbrauch und Unterstützung von Opfern statt, mit Mitgliedern der Association of Black Psychologists, der National Association of Black Social Workers und der Black Psychiatrists of America.

Aktuell herrscht wieder großes Interesse an den Wurzeln des HipHop, angetrieben durch die neue Netflix-Serie The Get Down, das NWA-Biopic Straight Outta Compton und jede Menge Dokus, darunter Ice-Ts Something from Nothing: The Art of Rap und Rubble Kings, die von der Gang-Kultur der Bronx handelt und in der Bambaataa eine wichtige Rolle spielt. Bambaataas Ruf mag gelitten haben, doch er nimmt weiterhin Einfluss auf die Popkultur. Zuletzt war er neben anderen HipHop-Ikonen als Experte für The Get Down tätig.

Bambaataas riesige Sammlung von Memorabilien und Platten steht weiterhin in der Cornell University, wo er noch immer Gastdozent ist. Laut einer Sprecherin hat der Radiosender Backspin auf Siriusxm.com allerdings nach Jahren seine Mix-Sendung ZuluBeatz abgesetzt.

Vielleicht gibt es nicht so viel Wirbel um Bambaataa wie um Bill Cosby oder Michael Jackson, weil Bambaataas Stern langsam verblasst, doch es könnte auch an einem Faktor liegen, der leider immer wieder bestimmt, was es in die Nachrichten schafft: Die mutmaßlichen Opfer kommen aus armen, verbrechensgeplagten Vierteln. Manche sagen auch, es gebe rassistische Gründe für das Schweigen.

Keiner meiner Interviewpartner für diesen Artikel scheint Bambaataas genauen Aufenthaltsort zu kennen—oder ihn öffentlich machen zu wollen. Manche vermuten, er verstecke sich in Großbritannien. Andere sagen Chicago oder Connecticut. Bambaataas Anwältin Vivian K. Tozaki lehnte es ab, einen Kommentar abzugeben. Meine Versuche, Bambaataa durch Tozaki und Social Media zu erreichen, waren erfolglos. Zulu King EL One sagt über Bambaataa: "Er ist einfach völlig von der Bildfläche verschwunden."

Es gibt Anzeichen dafür, dass die Bronx-River-Community, in der Savage, Campbell und Troy aufwuchsen, langsam beginnt, die Traumata, die dieser Skandal verursacht hat aufzuarbeiten.

An einem heißen Spätsommertag in East Harlem bietet sich auf einem Spielplatz eine Szene wie aus der Anfangszeit des HipHop. Popper und Locker üben konzentriert ihre Moves auf dem Asphalt. Junge Männer schwitzen beim Handball. Am DJ-Pult steht der Turntable-Pionier DJ Jazzy Jay.

Jeden Donnerstag finden auf Spielplätzen in der ganzen Bronx die "Park Jams" statt, die Nachfolger der legendären Partys damals im Center. Sie sind wie ein lebendes Museum für HipHop-Geschichte und ziehen eine Menge wichtige Personen aus der Szene an, von denen viele Zulu-Nation-Mitglieder sind. Bambaataa ging jahrelang auf Park Jams, doch seit die Vorwürfe laut wurden, hat er sich nicht mehr blicken lassen.

Savage lächelt und nickt mit dem Kopf, als Jazzy Jay einen Breakbeat-Groove von The Meters auflegt. Trotz der Anwesenheit von Zulus und Black Spades, unter denen einige langjährige Freunde Bambaataas sind, ist er entspannt. Er nennt die anwesenden Zulus seine "Freunde" und sagt, er habe keinen Groll gegen die Organisation als Ganzes. Wie die anderen beiden mutmaßlichen Opfer, die ich interviewt habe, plant er keine rechtlichen Schritte gegen Bambaataa, aber wünscht sich ein Eingeständnis und eine Entschuldigung.

Seit er an die Öffentlichkeit gegangen ist, hat Savage sich den Schutz der neuen Generation der Bronx auf die Fahne geschrieben. Er erzählt mir von seiner Firma ULULY, die seine Kinderbücher vertreibt, und hat eine neue Aufklärungskampagne über sexuellen Kindesmissbrauch gestartet, die er zum Teil des New Yorker Lehrplans machen will.

Ganz in der Nähe plantschen Kinder in einem Brunnen. "Ich bin froh, dass ich geredet habe", sagt Savage. "Aber ich wünschte, ich hätte schon früher den Mut dazu gehabt und damit vielleicht andere Kinder gerettet."