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Interviews

Ein Rechtsextremismus-Experte erklärt, wie die Schweiz mit Islamisten umgehen sollte

Spoiler: Verbote bringen wenig.

In den vergangenen Tagen und Wochen werden immer wieder Stimmen laut, die fordern, salafistische und radikal-islamische Organisationen zu verbieten und deren Treffpunkte zu schliessen. Vor einigen Wochen stand die An'Nur Moschee in Winterthur im Fokus der Aufmerksamkeit, in dieser Woche die Organisation "Die wahre Religion", die vor allem von ihrer Koran-Verteilaktion "Lies!" bekannt ist. Letztere wurde diese Woche in Deutschland verboten. Auch in der Schweiz wird gegen einzelne Personen dieser Organisation ermittelt, jedoch nicht gegen die Organisation selbst.

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Doch wie wirksam ist es, extremen gesellschaftliche Strömungen mit der harten Hand des Staates zu begegnen? Um der Antwort auf diese Frage näher zu kommen, haben wir mit jemandem gesprochen, der eine dieser extremen Strömungen seit Jahrzehnten beobachtet. Hans Stutz ist Journalist und betreibt einen Blog, auf dem er rassistische Vorfälle in der Schweiz dokumentiert und einordnet. Ich habe mit ihm darüber gesprochen, welche Erfahrungen die Schweiz im Umgang mit der rechtsextremen Szene gemacht

Foto vonmetropolico.org|Flickr|CC BY-SA 2.0

VICE: Schaut man auf die jahrelangen Erfahrungen der Behörden mit Rechtsextremismus zurück: Was sehen Sie als das sinnvollste Vorgehen gegen extremistische Strömungen an?
Hans Stutz: Ganz so generell kann man das nicht sagen. Aber auf jeden Fall bin ich für den Grundsatz: Nicht Verbieten, aber konsequent sanktionieren. Konkreter: Veranstaltungen beispielsweise sollen nicht verboten, aber strafbare Handlungen sollen konsequent sanktioniert werden. Nur geschieht dies häufig nicht, wie zum Beispiel bei den rechtsextremen Konzerten der vergangenen Wochen. Einige Polizisten waren zwar vor Ort, aber dem dringenden Tatverdacht, dass Widerhandlungen gegen die Rassismusstrafnorm begangen werden könnten, sind sie nicht nachgegangen. Genau dies, macht die Schweiz zu einem bevorzugten Konzertort.

Wieso ist das in Deutschland anders?
Dieser Staat lebt wegen den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus das Prinzip der wehrhaften Demokratie. Dort wird sehr stark eingegriffen, sowohl durch Polizeieinsätze bei Veranstaltungen als auch mit Verboten von Organisationen. durch politische Behörden.

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Das führt gelegentlich dazu, dass aufgelöste Organisationen kurze Zeit später mit einer neuen Führung wieder entstehen. Man hat auch Hinweise gefunden, dass eine Gruppe oder eine Partei, der ein Verbot drohte, diesen Prozess bereits im Voraus durchlaufen hat. So konnte sie in neuen Strukturen sofort weiter aktiv sein.

Grundsätzlich kann man also sagen, dass durch Verbote eine Bewegung und Neuorganisierung stattfindet, aber kein Verschwinden?
Die Erfahrung aus Deutschland zeigt, dass das häufig passiert ist.

Wie geht die Schweiz mit dem Aussprechen solcher Verbote um?
In der Schweiz gibt es zwei Möglichkeiten, eine Organisation zu verbieten beziehungsweise auflösen. Bei der gerichtlichen Möglichkeit stellt ein Gericht fest, dass ein Verein oder ein Unternehmen gesetzeswidrige Ziele hat und sich folglich auflösen muss. Das ist bei Rechtsextremen einmal passiert. Vor etwa 15 Jahren hat das Bezirksgericht in Châtel-Saint-Denis die Vereinigung Verité et Justice aufgelöst, weil ihr Anspruch gesetzeswidrig war—nämlich die Unterstützung von Holocaust-Leugnern. Der Vereinsvorstand bestand aus drei Leuten, zwei von ihnen waren weiterhin aktiv.

Es gab auch einen Moment, in dem ein Gericht die Partei National Orientierter Schweiz (PNOS) gerichtlich hätte auflösen können. Damals wurden Parteiexponenten wegen Widerhandlung gegen die Rassismusstrafnorm verurteilt. Sie standen als Parteivertreter vor den Richtern wegen eines Passus' des Parteiprogramms. Damit stelle sich auch die Frage der gesetzeswidrigen Vereinsziele. Das Gericht hat das aber nicht gemacht, wohl auch weil PNOS in der Zwischenzeit das Parteiprogramm geändert hatte.

Die Möglichkeit, dass eine politische Behörde Verbote ausspricht, gibt es in der Schweiz nicht?
Auch in der Schweiz gibt es die Möglichkeit, dass politische Behörden—also der Bundesrat—Parteien oder Organisationen verbieten. Der Bundesrat ist da aber sehr zurückhaltend.

Vor wenigen Wochen wurde bezüglich der An'Nur Moschee gefordert, dass diese geschlossen werden sollte. Wie sind die Erfahrungen mit Orten, an denen extremistisches Gedankengut verbreitet wird?

Vorab: Alles, was im Zusammenhang mit Religion ist, kann und soll man nicht verbieten. Man kann sagen, dass einzelne Imame verbotene Werbung für verbotene politische Organisationen machen. Aber dann soll man das Verhalten von einzelnen Leuten sanktionieren, nicht religiöse Räume verbieten. Auch bei Rechtsextremen gab es Versammlungs- und Veranstaltungsräume, zum Beispiel um das Jahr 2000 bei Luzern den Nibelungensaal der Hammer-Skins. Dort wurde Druck auf den Vermieter ausgeübt, dass er den Mietvertrag kündigte, was er auch gemacht hat. Von einem neuen Versammlungsraum der Hammer-Skins ist mir nichts bekannt—die Organisation existiert bis heute. Ein anderer Fall, der ist typisch schweizerisch, geschah ebenfalls in der Nähe von Luzern. Dort hat ein rechtsextremer Aktivist einen Versammlungs- und Partyraum betrieben, wo auch rechtsextreme Konzerte stattfanden. Die Behörden haben dann einmal genauer hingeschaut und wegen baurechtlichen Mängeln den Raum geschlossen. Man muss aber auch sagen: Später war dieser Raum wieder in Betrieb. Zum Abschluss: Wie hat sich die Gesetzeslage bezüglich Extremismusbekämpfung über die letzten Jahrzehnte verändert?
Was Verbote betrifft, gibt es keine Veränderungen. Wenn ich das vollständig überblicke, ist die Gesetzeslage seit Ende des Zweiten Weltkrieges bis auf ein kleines Detail gleichgeblieben. In diesem Detail geht es aber nicht um das Verbot von Organisationen, sondern von einzelnen Veranstaltungen. Es gab von 1948 bis in die 1990er-Jahre die Möglichkeit, ausländischen Rednern den Auftritt in der Schweiz zu untersagen. Diese Möglichkeit wurde vor allem in den 60er- und 70er-Jahren gegen Linke verwendet. Dieser Paragraf wurde aufgehoben. Und das ist gut so! Sebastian auf Twitter.
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