FYI.

This story is over 5 years old.

guide

So redest du mit Menschen, die du hasst

Wir erklären euch, wie ihr beim Weihnachtsessen mit den nervigen Verwandten immer die rhetorische Oberhand behaltet.

Eine glückliche Stock-Foto-Familie feiert Weihnachten | Foto: imago | Westend61

Dieser Artikel ist zuerst bei Tonic erschienen. Folge Tonic bei Facebook.

Es war Hass auf den ersten Blick. Der Typ saß in einem Flughafenrestaurant und stopfte gerade irgendwas in sich hinein, als meine gute Freundin Heather und ich uns zu ihm an den Tisch setzten. Er war nämlich Heathers Schwager und wir hatten uns alle zum Frühstück verabredet.

Ich nenne den Typen jetzt einfach mal Buff. Buff hatte ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen, trug einen teuren Anzug, hatte eine Rolex am Handgelenk und präsentierte stolz einen Button, mit dem er seine Unterstützung für den inzwischen designierten US-Präsidenten ausdrückte.

Anzeige

Ich fragte Buff, wie er seinen Lebensunterhalt verdiente. Es stellte sich heraus, dass Buff ein hohes Tier in einem privaten Gefängnisunternehmen war, das von der Regierung den Auftrag bekommen hatte, die Menschen einzubuchten, die illegal über die Grenze kommen. Während des Frühstücks machte Buff dann einen sexistischen Witz, in dem auch seine Frau vorkam. Und anschließend wollte er mich in Sachen Politik belehren und mir erklären, wie ein schwarzer Präsident die USA gespalten hat.

Wie sollte ich mit Buff umgehen? Ich rief mir lieber ein paar Vorgehensweisen ins Gedächtnis, die ich schon seit Jahren viel netteren Menschen beibringe. Diese Vorgehensweisen stammen aus der Rhetorik und sollen die Kunst der Überzeugung lehren. Glaubt mir, wenn nur genügend Leute diese Kunst erlernen würden, dann gäbe es auf dieser Welt viel weniger Ärger. Und von den angenehmeren Mahlzeiten mit Arschloch-Verwandten will ich hier gar nicht erst anfangen.

Ich habe die Vorgehensweisen für eine solche Begegnung in fünf Bereiche unterteilt: Ziel, Umfeld, aggressives Interesse, Sympathie und Nettigkeit. Aber keine Angst, selbst die Nettigkeit ist bei uns von Wut getrieben.

1.) Setze dir ein Ziel

Der größte Fehler, den du bei einer Meinungsverschiedenheit begehen kannst, ist es, einfach ohne Plan loszustreiten. Deshalb musst du dich bei der Konfrontation mit einem Vollidioten zuerst fragen, was du dir davon überhaupt versprichst. Willst du deinen Gesprächspartner bloßstellen? Schon nicht schlecht, aber langfristig gesehen willst du ja auch keinen Serienmörder erschaffen. In meinem Fall hatte ich außerdem keine Lust darauf, der Ehe der Schwester meiner Freundin zu schaden. Bei wütenden Diskussionen mit Idioten besteht nämlich immer ein Kollateralschaden-Risiko. Welches Ziel solltest du dir also setzen?

Ein Ziel könnte eine bessere Beziehung sein—und wenn schon nicht mit dem Feind, dann mit irgendjemand anderem. In meinem Fall war das meine Freundin Heather.

Anzeige

Ein anderes Ziel könnte darin bestehen, etwas zu lernen. Buff kannte sich mit einer (leider gemeinen, hässlichen und womöglich korrupten) Seite des Lebens aus, von der ich nicht viel wusste. Während des Frühstücks fragte ich ihn deshalb ein bisschen darüber aus, wie es in den privatisierten Gefängnissen aussieht und wen man dort so einsperrt. Er erzählte mir daraufhin Dinge, die er vor einem Journalisten bestimmt niemals preisgeben würde.

Und noch ein anderes Ziel könnte es sein, irgendetwas zu finden, das man mit dem Gegenüber gemeinsam hat. Daraus kannst du gerne eine Art Ratespiel machen. Wie sich herausstellen sollte, war Buff ganz vernarrt in seine Kinder. Immerhin etwas. Dabei war Buff eigentlich gar nicht mein tatsächliches Zielobjekt. Nein, mein tatsächliches Zielobjekt wird im nächsten Punkt angesprochen.

2.) Überzeuge dein Umfeld

Abraham Lincoln kommt einem jetzt nicht sofort in den Sinn, wenn man drauf und dran ist, einen unausstehlichen Menschen zu erwürgen. Aber darum geht es hier gar nicht. Gegen Ende von Lincolns Präsidentschaft sagten viele Leute, dass er nicht nur den Bürgerkrieg, sondern die ganze Debatte gewonnen hatte. In anderen Worten: Du solltest dich nicht darauf konzentrieren, deinen Gegner (verbal) zu schlagen, sondern darauf, die Zuhörer auf deine Seite zu ziehen.

Wie du das am besten anstellst? Indem du einfach der bessere Mensch bist. Wenn dein Gesprächspartner tatsächlich ein richtiges Arschloch ist, dann wird das auch euer Umfeld bemerken. Bleibe also immer höflich und werde nicht ausfällig. Als Buff zum Beispiel damit prahlte, wie viel Geld man mit der Inhaftierung von "illegalen Grenzgängern" verdienen kann, gab ich ihm kein Kontra. Stattdessen heuchelte ich Interesse vor und stellte Fragen. Und als er sich vor der Schwester seiner Frau über seine Frau beschwerte, meinte ich nur: "Meine Frau könnte auch stundenlang jammern, aber sie hält sich lieber zurück." Heather fing daraufhin direkt an, ebenfalls von meiner lammfrommen Frau zu erzählen—und warf mir einen dankbaren Blick zu.

Anzeige

Dieser Moment der Besonnenheit hielt jedoch nicht lange an. Buff wurde es nämlich schnell langweilig und er fing an, über die US-Präsidentschaftswahl zu sprechen. Dabei ließ er sich auf rassistische Art und Weise über Barack Obama aus und lobte Donald Trump für Standpunkte, bei denen Trump selbst schon zurückgerudert hatte. Habe ich jetzt Gegenargumente geliefert? Nein. Das lässt mich jetzt vielleicht wie einen Feigling dastehen, aber in der Rhetorik gibt es eben noch eine effektivere Waffe.

3.) Zeige Interesse—und zwar auf aggressive Art und Weise

Ich fing an, intensiv nachzuhaken. Dabei konzentrierte ich mich vor allem auf Definitionen, Details und Tendenzen. Als Buff zum Beispiel sagte, dass Mexikaner niemals richtige US-Amerikaner sein könnten, machte ich einen faszinierten Gesichtsausdruck und fragte, wen genau er denn mit "Mexikaner" meinte. In Mexiko geborene Menschen? Mexikanischstämmige US-Amerikaner der zweiten Generation? Der dritten Generation? Der vierten Generation? Dann erzählte ich ihm, dass die Familie meiner Mutter irgendwann im 18. Jahrhundert von Kuba in die USA ausgewandert war. Können Kubaner jemals richtige US-Amerikaner sein? Und als Buff mich darüber informierte, dass alle Ehefrauen doch nur mehr Taschengeld abgreifen wollen, fragte ich ihn, was er hier mit "Taschengeld" meinte und ob seine Frau arbeitete.

Warum sollte man sich aber überhaupt so viel Mühe geben? Weil die Leute, die ihre Ansichten genauer erklären sollen, sehr häufig plötzlich weniger drastische Ansichten haben. Buff gab beispielsweise sehr schnell zu, dass sich die Kinder von mexikanischen Einwanderern gut anpassen können. Und er verwendete statt "Taschengeld" auf einmal den Begriff "Haushaltsgeld".

Anzeige

In Bezug auf Details lässt sich das gleiche Phänomen beobachten. Buff lobte die Mauer, die Trump während seines Wahlkampfs immer wieder gefordert hatte. Ich hakte daraufhin nach, wie diese Mauer Buffs Meinung nach aussehen könnte, wo genau sie entlanglaufen sollte, aus was sie gebaut wäre und wer überhaupt dafür bezahlen würde. Genauso wie Trump verwandelte Buff die Mauer schnell in einen Zaun und gestand ebenfalls ein, dass die Mexikaner das ganze Unterfangen niemals bezahlen würden.

Schließen haben wir noch die Tendenzen. Buff behauptete wie Donald Trump, dass Mexikaner in Scharen über die Grenze in die USA strömten. Ich fragte, wie viele genau und ob diese Zahl ansteigen würde. "Das alles verwirrt mich", sagte ich. Zwar gab Buff nie zu, dass es in den USA tatsächlich mehr mexikanische Auswanderer als Einwanderer gibt, aber immerhin bemerkte er, dass in seinen Gefängnis tatsächlich weniger Mexikaner säßen.

Kurz gesagt: Je mehr ich Buff nach Definitionen, Details und Tendenzen fragte, desto mehr wich er von seinen eigentlichen Aussagen ab. Das ist jedoch nicht der einzige Grund für diese Vorgehensweise. Meine Fragen gingen ihm so sehr auf die Nerven, dass er das Ende unseres gemeinsamen Frühstücks kaum erwarten konnte. Und er bezahlte meine Rechnung. Oh Gott, ich spürte ja schon fast so etwas wie Mitleid. Und das führt und direkt zum vierten Punkt.

4.) Nutze die Macht der Sympathie

Bei der Rhetorik geht es nicht um dich. Wenn du überzeugen willst, dann musst du mit den Ansichten und Erwartungen der Zuhörer spielen. Das bedeutet jetzt nicht, dass du alles verstehen musst, was sie denken. Das nennt man Einfühlungsvermögen—ein feiner Charakterzug, der rhetorisch gesehen jedoch völlig nutzlos ist. Sympathie bedeutet hier, dass du erkennst, was die Zuhörer gut finden. In meinem Fall war Heather die Zuhörerin. Im Laufe des Frühstücks bemerkte ich jedoch, dass sich auch Buff mir ein kleines bisschen annäherte. OK, er war jetzt nicht kurz davor, in Tränen auszubrechen und Trump zu verteufeln, aber meine Fragen zeigten doch auf, dass er eigentlich nur das Beste für die USA wollte und (trotz seines Macho-Gehabes) nur nicht genau wusste, was dieses Beste nun genau war. Das machte den fünften und letzten Punkt etwas einfacher.

5.) Liebe deinen Nächsten

Zu meiner Tätigkeit als Berater gehört es auch, meine Kunden auf TED-Talks oder Präsentationen vorzubereiten. Einer meiner besten Tipps lautet dabei: Überzeuge dich vor der Rede davon, wie sehr du die Zuhörer magst. Dieses Prinzip kann man auch auf einen feindseligen Gesprächspartner anwenden. Stelle dir einfach vor, wie der Idiot mit einem kleinen Kätzchen schmust oder mit verheulten Augen den Tod von Leonard Cohen betrauert. Denke an reine Liebenswürdigkeit. Und verteile diese Liebenswürdigkeit mit vollen Händen.

Also damit meine ich jetzt nicht, dass du das dir gegenübersitzende Arschloch wirklich mögen musst. Wir reden hier immer noch von Rhetorik und nicht von Religion. Tue stattdessen nur so, als ob du das Arschloch magst. Euer Umfeld wird dich dann nämlich für einen sehr netten Menschen halten. Es kann aber auch davon ausgehen, dass du einer Meinung mit dem Arschloch bist—und dann fängst du besser schnell an, Fragen zu stellen.

Vorgetäuschte Nettigkeit kann im Grunde genauso funktionieren wie die Fragen: Es entsteht eine gewisser Magneteffekt, der deinen Gegner ein wenig in deine Richtung zieht. Wenn man diesem Cocktail jetzt noch rhetorische Sympathie sowie ein Gefühl für die Zuhörer beifügt, dann wird die ganze Situation etwas angenehmer und weniger komisch.

Vielleicht machst du dann ja sogar einen so guten Eindruck wie meine Frau—und die ist wahrlich eine Heilige.