Ein Rückblick auf die Zeit, in der Wien noch eine Elektro-Hochburg war
Header: Miss Kittin. Alle Fotos zur Verfügung gestellt von Gerwin Kante. 

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Ein Rückblick auf die Zeit, in der Wien noch eine Elektro-Hochburg war

Heute stehen vom einstigen Prachtpalast nur mehr ein paar Mauern.

1991 haben sich Peter Kruder und Richard Dorfmeister kennengelernt. Damals war Wien ein verschlafenes Kaff am Rande des aufgehenden eisernen Vorhanges. Weggehen war auf tiefem Niveau möglich – im Bermudadreieck beispielsweise. Es sei denn, man hatte das Geld oder die Connections, um in den Volksgarten oder in das U4 zu gehen – die Diskopaläste der damaligen Zeit.

Vor allem der Volksgarten war damals noch lange nicht der Hochglanz-Club, wie wir ihn heute kennen. Montags wagte sich der junge Veranstalter Alexander Hirschenhauser mit seiner Soul Seduction relativ weit hinaus und brachte den Laden jeden Montag zum Platzen – mit Sounds, die weit weg vom Disko-Gehupe der späten 80er waren. Soul, Funk, Acid Jazz und HipHop waren die neuen Sounds, die damals für Furore sorgten.

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Peter Kruder stand damals noch im Neandertaler-Kostüm mit seinen Kumpels DSL, Sugar B und Rodney Hunter mit den Moreaus auf der Bühne. Richard Dorfmeister spielte noch mit Andy Orel in der Band SIN.

Der Rest ist Geschichte: Stets auf Sample-Jagd fanden die Beiden zueinander. Dorfmeister, der Musiker und Kruder, der Tüftler. 1993 folgte die erste EP G Stoned – nach der Grundsteingasse und ihrem Label benannt. In der Grundsteingasse stand auch eines ihrer Studios und dort wurde auch der Wiener Sound geboren.

Vom Schlafzimmerstudio in die Stretch-Limo

K&D schafften es in Folge, Wien vom Popmusik-Importeur zum -Exporteur zu machen – und die Stadt erstmals auch abseits der Klassik von Mozart, Strauß und Co auf der internationalen Musiklandkarte zu etablieren. Das verstärkte sich damals von Jahr zu Jahr: 1996 folgte die legendäre DJ-Kicks auf K7 – die davor Carl Craig gemacht hatte.

1998 dann das legendäre 4-fach Vinyl The K&D Sessions und 2000 das G Stone Book. Dazwischen lagen Vergleiche mit den Beatles (von Gilles Petersen auf BBC), Remixe für Depeche Mode und Madonna, unzählige bekiffte Interviews, die noch besser fürs Image waren und stets volle Häuser, wo immer sie auch spielten und auftraten.

Miss Kittin

Ihr Sound, der später gerne spöttisch als "Wiener Melange" oder Fahrstuhlmusik bezeichnet wurde, wird in der Fachsprache unter Downbeat zusammengefasst. Labels wie Ninja Tune oder Wall of Sound beherrschten damals die Szene. London war der Nabel der Welt und Wien war gleich daneben. Das von allen heiß ersehnte Album kam leider nie, dafür releasten beide (Dorfmeister als Tosca und Kruder als Peace Orchestra) Soloalben mit ihren ebenfalls äußerst erfolgreichen Sideprojekten. Peter Kruder hatte gemeinsam mit Fauna Flash und Rainer Trüby sogar noch ein zweites Projekt namens Voom Voom.

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London war der Nabel der Welt und Wien war gleich daneben.

Aber es war nicht nur der Vienna Groove, der damals so einschlug – parallel dazu gab es auch große Technoproduzenten, die Wien zur Hypestadt verhalfen: DJ Pure und Christopher Just waren als Ilsa Gold ein umjubeltes Live-Techno-Duo, das sich selbst nicht immer so ernst nahm.
Das alles hatte damals auch seine Räume: Die Gasometer etwa waren damals wirklich noch alte, riesige Gasbehälter. Von 1992 an fanden dort Europas berühmteste Großraves abseits der englischen Warehouse-Partys statt. Alles war noch vom Kommerz befreit und man sah Rave noch als Aufbruch und nicht als reinen Lifestyle.

1993 folgte der erste Lifeball – ein weiteres Event, das Wien auf die Landkarten brachte. Auch musikalisch: Die schicke Houseszene hatte in Wien mit Peter Rauhofer damals eine echte Ikone. Der Mann war produktionsmäßig das Pendant zu K&D und startete Ende der 90er in den USA eine Weltkarriere. 1999 erhielt er einen Grammy (Non-Classical für Chers "Believe") und 2000 bekam er eine weitere Nominierung für Christina Aguilera – er starb leider viel zu früh im Jahr 2013.

Diese Art von Tribal beziehungsweise Progressive ließ den Volksgarten in den Mittneunzigern zu einer der besten House-Diskos Europas auferstehen. Kinky Disco und Sodom & Gomorrha waren damals die Veranstaltungen für genau diesen Sound.

Das Gegenstück von all dem war Tomtscheks H.A.P.P.Y, das ebenfalls 1993 in der Blue Box begann und alsbald das WUK mit seinen aktionistischen Ideen bis auf den letzten Platz füllte. Tomtschek förderte ausschließlich die heimische (Deep)House-Szene und galt als klassischer Gegenpol zur schicken, ibizadominierten Clubbingszene. H.A.P.P.Y gab es noch lange – den Hype der 90er wollten die Macher aber bald selber nicht mehr, da sie von Adabeis und Landjugend gleichsam überrannt wurden.

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Und überhaupt: Es tat sich jedes Jahr etwas Neues in Wien

FM4-Senderchefin Monika Eigensperger | Foto: Christopher Glanzl

1995 startete mit FM4 der erste staatliche Radiosender abseits der Mainstream- beziehungsweise Klassiklinie. Formate wie Swound Sound, FM4 Unlimited, La Boum Deluxe, Tribe Vibes und High Spirits prägten den Musikgeschmack der ÖsterreicherInnen und somit das Nachtleben ganz wesentlich. Und auch wenn er mittlerweile ein wenig resistent gegenüber Innovation ist – um diesen Sender beneidet man uns immer noch europaweit. Die Art der Moderation war früher einzigartig: feuilletonmäßige Beiträge, in humorlosem, leicht nasalem Stakkato – das waren Werner Geiers sagenumwobene Moderationen.

Er machte HipHop salonfähig. DJ DSL – seine rechte Hand in den ersten Tribe Vibes-Sendungen (damals noch bei Ö3 ) – erlernte unglaubliche Skills. Rodney Hunter, sein engster Weg- und Studiobegleiter gründete mit ihm das Uptight Studio und sie förderten unzählige Künstler.

Electric Indigo

Viele internationale Topstars kamen regelmäßig nach Wien und arbeiteten eng mit Werner Geier zusammen (Stereo MCs). Die Aphrodelics waren kurz aber doch eine der umjubeltsten (englischsprachigen) HipHop-Bands aus Wien. Deutsche HipHop-Formationen gab es ja ebenfalls jede Menge: Schönheitsfehler, Texta, Waxolutionists, etc. Auch Werner Geier verließ uns viel zu früh.

Techno war aber bald die größte Underground-Musikmacht des Landes geworden. Selbst als die große Zeit der Gasometer-Raves Mitte der 90er zu Ende ging. Es gab mehr oder weniger anerkannte Labels. Beispielsweise Pomelo von Dan Lodig oder TRUST von DJ Glow.

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Techno war aber bald die größte Underground-Musikmacht des Landes geworden.

Der Space Jungle im U4 war damals einige Jahre lang die Anlaufstelle für die aufkommende Wiener Raveszene, die sich zumeist noch sehr an den Gründervätern aus Detroit und Chicago orientierte, während die Großveranstalter-Raveszene auf andere Fabriken und Gelände auswich und auch die trancigen und deutschen Einflüsse zuließ.

Gerwin, Tina 303 und Slack Hippy

Es gab aber immer noch immens starke österreichische Residents: Etwa DJ LX oder die FAB 5 rund um Joro, Sdricci, Felipe und Co, die auch eigene CDs und erste Vorstufen einer CI entwarfen und sonnenbrillengetarnt – die damals noch äußerst zahlreichen – Landdissen unsicher machten. Clemens Neufeld – einer der Wegbereiter des Space Jungle – gründete damals das viel beachtete und heute von Nostalgikern gerne noch gesammelte Label Fön und tourte um die Welt. Heute besticht er leider meistens nur mehr durch leicht melancholische Posts.

Electric Indigo kehrte nach einigen Berlinjahren nach Wien zurück, gründete die Plattform Female Pressure und ihr eigenes Label Indigo Inc. Der Aktionskünstler Robert Jelinek gründete 1993 das Wiener Label Sabotage Communications, das unter den Namen Sabotage Recordings, Subetage Records und Craft Records in den Jahren 1994 bis 1999 über 60 Tonträger veröffentlichte. Das Musiklabel war eine Plattform für junge Bands, DJs und Gruppen aus mehreren Ländern.

Darunter waren aber auch viele Soloveröffentlichungen und Beiträge von heimischen Acts, die damals für Furore sorgten. Zum Beispiel Adult., Ectomorph, Texta, Dorfmeister, Pommassl, Alois Huber, Fennesz oder Patrick Pulsinger. Seine Releasepartys waren stets auch ein optischer Augenschmaus. 1999 löste er das Label auf und betonierte die Restbestände in den Boden des Wiener Flex ein.

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Ebenfalls Weltruhm erlangte das DJ- und Produzenten-Duo Pulsinger & Tunakan mit ihrem Label Cheap Recordings. Vor allem ihr Album Porno gehört heute noch zu den Technoklassikern. Die beiden ließen sich in keine Schublade sperren, machten elektronische Musik von Ambient bis Techno und widmeten sich daneben auch noch zahlreichen weiteren Bandprojekten (My private Lightening Six, Sluts'n'Strings) und Klassikvertonungen wie Schwanensee Reloaded.

Apropos Flex: Auch das begann 1995 eine neue Plattform für all die Acts, Labels und Künstler zu werden, die hier zum Teil aufgezählt wurden. Der montägliche Dub-Club war jahrelang gerammelt voll, wenn Kruder und Dorfmeister (auch getrennt) oder Werner Geier auflegten – heute unvorstellbar.

Sven Väth in der Meierei

Dazu gesellte sich ab den Mittneunzigern die äußerst lebendige Drum'n'Bass-Szene, die damals – im Unterschied zu heute – nicht ausschließlich aus Kindern bestand. Zugegeben, sie ist die einzige der genannten, die heute noch kontinuierlich für international anerkannten Output sorgt.

Dazu gesellte sich ab den Mittneunzigern die äußerst lebendige Drum'n'Bass-Szene, die damals – im Unterschied zu heute – nicht ausschließlich aus Kindern bestand.

1998 eröffnete die Meierei nach kurzer Schließpause erneut – diesmal auf 2 Floors, nachdem sie in den Jahren davor nur im Keller bespielt wurde. Und machte so dem Flex kurzzeitig Konkurrenz. Jeden Freitag und Samstag geigte dort – im Plüschcafe im Stadtpark – die heimische, gepaart mit der internationalen Szene auf. Hier und da wurde auch House gespielt. Unter anderem die Labels Grow von Jeremiah, der Discogott Elin, Electric Indigo und teils die schon oben angerissene Downbeat- und Midtempo-Szene, die mittlerweile reichlich Zuwachs bekommen hatte. Das Duo Dzihan und Kamien hatte "Couch Records" gegründet und fungierte als wohl organisierter Gegenpart zu G-Stone.

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Soulglo

Acts wie Soap & Skin begannen dort ihre Karriere. Dziahan und Kamien schafften es sogar auf die legendäre Compilation Café del Mar. Ihre beiden Alben Freaks & Icons und Gran Riserva sind heute noch Kult. Klein Records war die Wiege der Sofa Surfers, es gab die Vienna Scientists und Sunshine Records, die neben heimischen Acts wie Madrid de los Austrias sogar viele ausländische Acts signten. Zum Beispiel Nigel Hayes und Frankie Valentine, .

Der immer schneller werdenden Technotracks überdrüssig, starteten Peter Rehberg und Ramon Bauer wenig später das Label Mego. Sie machten Musik mit Kühlschränken und befreiten abstrakte Elektronik vom akademischen Mief. Noise, Drones, Ambient, Avantgarde-Elektronik, Psychoakustik, abstrakte Glitch-Sounds – das alles und noch viel mehr passte unter einen Hut.

Dazu kamen Festivals, von denen wir heute nur mehr träumen können. Etwa das Phonotaktik, (1995, danach 1999 bis 2003). Wer erinnert sich noch an Richie Hawtin im Wagenwerk oder im Volksgarten? Oder das Sequence, das ab 1999 in der ganzen Stadt passierte oder später dann das TEMP in Korneuburg (auch mit angeschlossenem Label)?

Es gab Partys an Wochentagen und Warehouseevents. Elektronische Musik gehörte zur Kunst und war nach den schweren Geburtswehen kurzzeitig Everybody's Darling.

Doch in den Nullerjahren – mit der Globalisierung und den sozialen Medien – und dem Niedergang der DJ-Culture, die sich mehr und mehr dem Kommerz verschrieb, zog die Karawane weiter. Klar, es gibt sie noch, die lebendige, elektronische Musikszene, es gibt viel HipHop, Drum'n'Bass und einige kleine, aber feine Techno- und House-Labels (Bare Hands, Schönbrunner Perlen, Luv Shack), aber vom Glanz des Hypes vom damaligen Aktionismus ist nicht mehr viel übrig. Auch weil im Gegensatz zu damals die Acts und Labels nicht mehr so eng zusammenarbeiten.

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Es gibt viele Clubs, unzählige DJs und noch mehr nichtssagende Musik, die von Beatport und Konsorten angeschwemmt wird. Einige waren von der Musikflut überfordert, andere scheiterten am Großauftrag, sich mit einem Album künstlerisch zu verewigen. Aber es fehlt auch an genialen Networkern, wie es einst ein Werner Geier war. Hier hat Österreich die Entwicklung schlicht verschlafen.

Wien ist eine ruhige Stadt geworden, in der man fabelhaft leben und wohnen kann. Ausgehen kann man auch, aber es erinnert mich – gezeichnet durch die Gnade der frühen Geburt und des Wissens, bei vielen Dingen dabei gewesen zu sein – an die Frühneunziger, als es ein paar Sachen gab und der Rest Ödnis und Wüste war. Heute sind free Partys bei irgendwelchen Kunstevents der Höhepunkt für die heute von den Hipstern dominierte Kunst- und Opinionleader-Szene.

Wenn der Österreicher nämlich sagt: "Schau ma mal", dann heißt das: Es passiert nichts.

Wenn der Österreicher nämlich sagt: "Schau ma mal", dann heißt das: Es passiert nichts. Nein, noch weniger als nichts! Das mag der Grund für Wiens Rückfall in den letzten Jahren sein, aber auch die Tatsache, dass nun oft das Geld mehr entscheidet als der Einsatz. Heute dominiert Reichtum, wo damals noch die Reste der Anarcho-Punks regierten, die sich ihre Clubs noch selber bauten.

Oder es ist so, wie Patrick Pulsinger es einmal formulierte: Die Leute haben Musik immer schon so konsumiert, wie sie wollten. Heute machen sie sich ihr Programm einfach immer mehr selbst. Und Boiler Room, Spotify und YouTube gab es damals noch nicht. Es gab die Plattenläden wie den Black Market oder das 33-45 als Sozialisationszentralen und DJ-Treffpunkte. Die Plattenläden sind (fast) verschwunden, die österreichische Musik darin auch fast, die Landkarte ist wieder zurecht gerückt. Es kann ab jetzt also nur mehr schlechter werden.

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