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In Südkorea boomt die Anti-Kater-Industrie

So lange es einen Markt für hemmungsloses Betrinken gibt, wird es auch einen Markt für Mittel geben, die versprechen, am nächsten Tag die Schmerzen zu lindern.

Foto: Ecodallaluna | Flickr | CC BY-SA 2.0

Park Sung Min wacht fast jede Woche zweimal mit einem Kater auf, nachdem er am Vorabend mit seinen Kollegen von der SL Corporation aus war. So oft einen Kater zu haben, lässt ihn aber kalt, denn er ist dagegen gewappnet.

Die Waffe, die Park und unzählige andere Menschen in Südkorea in so einem Fall zücken, ist ein Anti-Kater-Getränk, das dabei hilft, Alkohol schneller abzubauen und sich so besser von einem feucht-fröhlichen Feierabend zu erholen. Dieses Getränk ist ein Teil der koreanischen Kultur des Haejanghada, des Überwindens von Katern. Zusammen mit speziellen Kaugummis und Tabletten bildet es eine riesige Industrie in der notorisch trinkfreudigen Nation.

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Diese Kater-Industrie, die 2014 mehr als 200 Milliarden Won (ca. 150 Millionen Euro) eingebracht hat, wird hauptsächlich angetrieben von dem koreanischen Brauch, sich durch Trinken näherzukommen. Hierbei werden Soju-Shots und große Gläser Maekju geteilt und „Bomben" gereicht, die beides kombinieren—und zwar auch mit Chefs und Chefinnen. Solche Trinkabende können mehrmals die Woche stattfinden und gelten als unerlässlicher Teil der Firmenkultur. Für viele Koreaner und Koreanerinnen ist es schlicht und ergreifend keine Option, nicht mitzutrinken.

„In der koreanischen Kultur ist es wirklich keine höfliche Geste, das Trinken abzulehnen", sagte Jay Lee, ein Filmproduktionassistent, der in Seoul lebt. „Sie müssen am nächsten Tag auch zur Arbeit und dabei so auf zack sein wie möglich, denn der Chef wird auch da sein."

Es ist ein wirkliches Dilemma—und die Haejanghada-Industrie hat sich als die Antwort darauf positioniert.

Das erste Getränk, das ausschließlich als Katermittel vermarktet wurde, gab 1992 sein Debüt, ohne besonders viel Wirbel zu erzeugen. Die Leute in Korea waren es gewöhnt, ohne solche Unterstützung zu trinken, und blieben lieber bei ihren althergebrachten Lieblingsgerichten: fleischige, fettige Eintöpfe wie Haejangguk—buchstäblich „Katersuppe". Doch nun, da es in Korea einen wachsenden Fokus auf Wellness-Trends gibt, gewinnen die Anti-Kater-Getränke an Boden. 1998 fuhren die Drinks 20 Milliarden Won ein und 2006 waren es bereits mehr als 60 Milliarden. Inzwischen, nach etwas mehr als 15 Jahren, haben sich die Verkäufe mehr als verzehnfacht.

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Die moderne Katermittel-Landschaft in Korea ist von mehr als einem Dutzend Sorten bevölkert, mit Zutaten wie Rosinenextrakt, rotem Ginseng, Mariendistel, Lotus und koreanischem Birnensaft. Doch aus dieser Vielfalt gibt es drei Marken, die mehr als 90 Prozent des gesamten Markts für sich eingenommen haben: Heotgae Condition, das etwa die Hälfte aller Verkäufe ausmacht, ist laut Nielsen Korea das beliebteste Getränk des Landes, gefolgt von Dawn 808 und Morning Care.

Diese Katermittel werden als passendes Getränk für jeden Abschnitt der durchzechten Nacht beworben. Manche sollen konsumiert werden, bevor es losgeht, um für die bevorstehende Strapaze zu stärken, andere sollen am Ende der Nacht getrunken werden, um hoffentlich ohne Kater aufzuwachen, und wieder andere sind dazu da, den Schaden einzudämmen, wenn der dröhnende Schädel am nächsten Morgen bereits da ist. Manche Produkte gibt es als Einzelprodukt, andere gehören zu einem mehrstufigen Prozess mit Getränken und Pillen.

MUNCHIES: Ein kleines Pflaster könnte dich vorm nächsten Kater bewahren

Laut einer koreanischen Marktforschungsstudie von 2011 verlassen sich etwa zwei Drittel der Koreaner regelmäßig auf diese Mittel. Ob sie tatsächlich effektiv sind, ist nicht ganz klar: Eine Handvoll Studien hat gezeigt, dass asiatischer Birnensaft gut geeignet ist, um Kater abzuwehren; andere Studien legen nahe, dass roter Ginseng und Zitrone-Limetten-Limonade dabei helfen können, Alkohol schneller abzubauen. Viele Menschen in Korea geben ohne zu zögern zu, dass die Produkte wenig mehr bieten als einen Placebo-Effekt—doch sie kaufen sie trotzdem, denn das gehört alles zu den Aktivitäten, die zwischenmenschliche Bindungen stärken.

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Haejanghada-Produkte selbst sind tatsächlich inzwischen ein Teil des Team-Buildings. Kollegen und Kolleginnen trinken sie oft gemeinsam auf dem Weg vom Büro ins Restaurant oder in die Bar, oder sie halten auf dem Heimweg schnell noch auf eine Kater-Pille. Am nächsten Morgen kämpfen alle im Büro gemeinsam gegen den Kater und nutzen ganz offen ihre Heilmittelchen, als seien sie Ehrenabzeichen.

„Leider gilt es als gut, nach einem Firmenessen einen Kater zu haben, denn das bedeutet, dass man ein Teamplayer ist. Es ist eine komplexe kulturelle Sache", sagte Jiyeon Juno Kim, eine ehemalige Ingenieurin aus Seoul.

Manche Kritiker machen sich Sorgen, dass die Haejanghada-Kultur ein bereits sehr alkoholaffines Land dazu bringt, noch mehr zu konsumieren und Themen wie Komasaufen und Alkoholismus nicht ernst genug zu nehmen. 2014 haben Statistiken von der Weltgesundheitsorganisation WHO und Euromonitor gezeigt, dass Korea weltweit den ersten Platz beim Konsum hochprozentiger Getränke belegt. Die durchschnittliche Person in Korea trinkt in der Woche 13,7 Shots und damit mehr als das Doppelte der nächstplatzierten Nation: Bei den Russen sind es nur 6 Shots die Woche. Zum Vergleich: In Deutschland sind es wöchentlich 3,0 Shots. Selbst die Landesregierung schätzt, dass 1,6 Millionen Menschen in Südkorea alkoholsüchtig sind.

All das Schütten hinterlässt seine Spuren, und die sind nicht billig. Das Ministerium für Gesundheit und Sozialhilfe sagt, schweres Trinken würde das Land im Jahr mehr als 23 Billionen Won an Ausgaben und Verlusten kosten—das sind umgerechnet etwa 17,5 Milliarden Euro.

Doch nicht alle glauben dem Anti-Kater-Hype. Manche leben auch einfach mit den Nachwirkungen des Rauschs. „Ich nutze diese Getränke selbst nicht, denn sie kosten [fünf Euro], und von dem Geld kaufe ich mir lieber Alkohol", sagte Lee.